Deutsche Bahn AG: Menschen bewegen – Welten verbinden
Deutsche Bahn AG: Menschen bewegen – Welten verbinden
Deutsche Bahn AG: Menschen bewegen – Welten verbinden
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
dem Rhein einsetzt, kann so seine Investition<br />
tätigen. Für Eisenbahnen<br />
aber reichten Darlehen von Freunden<br />
und Familienangehörigen bei<br />
weitem nicht aus.<br />
Unternehmerisches Wagnis<br />
Die Aktiengesellschaft hatte im Fall<br />
des Eisenbahnbaus nicht nur den<br />
Vorteil, dass das Risiko auf mehrere<br />
Schultern verteilt wurde, sondern sie<br />
war auch „Gesellschaft“. Dies in einem<br />
durchaus bürgerlichen, jedoch<br />
aus der Zeit des Vormärz heraus zu<br />
verstehenden Sinn. Von den insgesamt<br />
207 zeichnenden Aktionären<br />
der Nürnberg-Fürther-Eisenbahngesellschaft<br />
stammte der überwiegende<br />
Teil aus dem fränkischen Raum. Es<br />
investierten vor allem die wohlhabenden<br />
Kaufl eute aus der Region. Allein<br />
der Nürnberger Marktvorsteher<br />
Georg Zacharias Plattner erwarb<br />
Aktien im Wert von 11.000 Gulden.<br />
Aber auch Kleinaktionäre, mehrheitlich<br />
Gewerbetreibende, beteiligten<br />
sich an dem Vorhaben, indem sie 100<br />
Gulden aufbrachten, um eine Aktie<br />
zu erwerben. Die Aussicht auf eine<br />
gute Rendite spielte bei der Entscheidung,<br />
Teilhaber einer Aktiengesellschaft<br />
zu werden, ebenso eine Rolle<br />
wie die prinzipielle Bereitschaft, sich<br />
für ein lokales Projekt zu engagieren.<br />
Das liberale Credo der Zeit, dass sich<br />
private Interessen und öff entlicher<br />
Nutzen gut miteinander <strong>verbinden</strong><br />
ließen, schien sich gerade in der<br />
Finanzierung des Eisenbahnbaus zu<br />
beweisen. Man erwartete keine großen<br />
Gewinne, aber zumindest angemessene.<br />
Das eingesetzte Geld sollte<br />
so viel bringen, wie es die Zeichnung<br />
einer Staatsanleihe gebracht hätte.<br />
Unternehmerisches Wagnis, kaufmännisches<br />
Kalkül und die Überzeugung,<br />
den Wohlstand einer Region<br />
auf Dauer zu sichern, veranlassen die<br />
Bürger nicht nur in Nürnberg sondern<br />
auch in Leipzig, Dresden,<br />
Berlin sowie in Düsseldorf, Elberfeld,<br />
Magdeburg, Köln, München, Augsburg<br />
und Frankfurt am Main zur<br />
Gründung von Eisenbahnaktien-<br />
Begehrte Papiere Es herrscht „Eisenbahnwuth“.<br />
Kurszettel der damals an der Berliner<br />
Börse gehandelten <strong>Bahn</strong>gesellschaften.<br />
gesellschaften aufzurufen. Auf ein<br />
nationales Eisenbahnsystem, wie es<br />
Friedrich List propagiert hatte –<br />
eventuell durch die Staaten des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Bundes fi nanziert – warten die<br />
Kaufl eute und unternehmerisch gesinnten<br />
Bürger der Städte nicht. Abgesehen<br />
von den Schwierigkeiten,<br />
die konkurrierenden politischen und<br />
wirtschaftlichen Interessen der insgesamt<br />
33 Einzelstaaten und vier<br />
freien Städte unter einen Hut zu<br />
bringen, war den Initiatoren des Eisenbahnbaus<br />
auch bewusst, dass von<br />
den Finanzministern der deutschen<br />
Länder nicht die Summen aufgebracht<br />
werden konnten, wie sie für<br />
den Bau von Eisenbahnstrecken benötigt<br />
wurden.<br />
Konventionelle Modelle der Finanzierung<br />
von Infrastrukturleistungen<br />
über Staatsanleihen waren<br />
nicht mehr geeignet, die für den<br />
<strong>Bahn</strong>bau erforderlichen Kapitalmengen<br />
aufzubringen. Mit der Gründung<br />
von Eisenbahnaktiengesellschaften<br />
und der Zeichnung von frei handelbaren<br />
Aktien existierte aber eine<br />
Antwort auf die bisher unbekannten<br />
Bei 20 Prozent<br />
Rendite zeichneten<br />
neben Kaufleuten<br />
und Industriellen<br />
auch kleine Leute<br />
„Actien“.<br />
fi nanziellen Herausforderungen. Aktiengesellschaften<br />
waren geeignet,<br />
einen großen Kreis von Investoren<br />
zusammenzuführen. Darunter eben<br />
nicht nur Bankiers und Kaufl eute,<br />
sondern auch weniger wohlhabende<br />
Bürger. Über die Aktiengesellschaft<br />
konnten sich so die Bürger einer<br />
Stadt an einem Investitionsvorhaben<br />
beteiligen, das individuelles Geschäft<br />
mit der Aussicht auf ein allgemeines<br />
Wirtschaftswachstum miteinander<br />
verband.<br />
Das englische Vorbild und der unternehmerische<br />
Erfolg der sechs<br />
Kilometer langen Ludwigsbahn zwischen<br />
Nürnberg und Fürth – im<br />
ersten Jahr wurde eine Dividende<br />
von 20 Prozent ausgezahlt – lösten<br />
eine regelrechte Gründungswelle<br />
von Eisenbahnaktiengesellschaften<br />
aus. Und dort, wo die Gesellschaften<br />
genehmigt wurden, konnte man sich<br />
zunächst vor Interessenten kaum retten.<br />
In Frankfurt am Main, wo man<br />
traditionell das Geschäft mit Staatsanleihen<br />
betrieb und wo viel Erfahrung<br />
mit dem Handel von Wertpapieren<br />
existierte, sprach ein 1837<br />
erschienener Bericht von einer regelrechten<br />
„Eisenbahnwuth“, einer<br />
Krankheit, die off ensichtlich ansteckend<br />
war und die sofort nach Auslegung<br />
der Zeichnungslisten den Millionär<br />
ebenso erfasste wie den<br />
Proletarier. Vor allem Eisenbahngesellschaften,<br />
deren Strecken Gewinn<br />
versprachen, also zwischen den<br />
Zentren von Handel und Gewerbe,<br />
waren schnell überzeichnet.<br />
Allerdings durfte es bei der Realisierung<br />
von Eisenbahnstrecken nicht<br />
zu Schwierigkeiten wie Verzögerungen<br />
bei der Konzessionsvergabe, dem<br />
Bau oder der Inbetriebnahme kommen.<br />
Denn dann waren die Zeichner<br />
schnell nicht mehr dazu bereit, in das<br />
Unternehmen zu investieren. Etwa<br />
bei der Münchner-Augsburger-Eisen-<br />
bahngesellschaft und der Rheinischen<br />
Eisenbahn war dies der Fall.<br />
Erfolg und Misserfolg hingen also<br />
stark mit dem Geschick der jeweiligen<br />
Unternehmensführung, ihrem<br />
fi nanziellen Rückhalt bei kapitalkräftigen<br />
Bank- und Handelshäusern<br />
sowie der regionalen Herkunft der<br />
Aktionäre zusammen. Gerade die<br />
Anfangszeit des Eisenbahnbaus zeigte,<br />
dass es vor allem die Geldgeber<br />
der jeweiligen Region waren, die wesentlich<br />
zum Erfolg eines Unternehmens<br />
beitrugen. Auswärtige Zeichner<br />
neigten dagegen eher dazu, bei<br />
den ersten Schwierigkeiten sich zurückzuziehen.<br />
Entwicklung Kapitalmarkt<br />
Immer wieder traten Finanzierungsprobleme<br />
beim Eisenbahnbau auf.<br />
Das war dann auch mit ein Grund,<br />
weshalb zum Beispiel der bayerische<br />
Staat den Eisenbahnbau unter seine<br />
Regie nahm. Auch gab es kleinere<br />
Länder wie Braunschweig oder Baden,<br />
die sich aus grundsätzlichen<br />
staatspolitischen und fi skalischen<br />
Überlegungen für den Eisenbahnbau<br />
auf Staatskosten entschieden hatten.<br />
Ganz überwiegend aber bildeten die<br />
privaten Eisenbahn-Aktiengesellschaften<br />
das Rückgrat des Eisenbahnbaus<br />
und trugen darüber hinaus maßgeblich<br />
zum Siegeszug der Unternehmensform<br />
Aktiengesellschaft in<br />
Deutschland bei. So verdankte Berlin<br />
seinen Aufstieg zu einem wichtigen<br />
Börsenplatz ganz entscheidend den<br />
Eisenbahnaktien. Wurden 1841 an<br />
der Spree gerade mal die Papiere von<br />
drei Eisenbahngesellschaften gehandelt,<br />
waren sechs Jahre später bereits<br />
30 Eisenbahnaktiengesellschaften in<br />
51 Emissionen notiert. Tatsächlich<br />
hatte der Eisenbahnbau viel dazu beigetragen,<br />
dass sich in den deutschen<br />
Ländern überhaupt erst ein Kapitalmarkt<br />
entwickelte.<br />
Nach anfänglichem Zögern tat auch<br />
die preußische Regierung das Ihrige<br />
dazu, dass genügend Geld für den<br />
Bau der Eisenbahn aufgebracht werden<br />
konnte. Denn bei aller Euphorie<br />
und „Eisenbahnwuth“ der Anfangsjahre<br />
zeigte sich doch, dass in dem<br />
überwiegend ländlich geprägten<br />
Preußen nicht jede Strecke privat zu<br />
fi nanzieren war. Renditen wie sie im<br />
industrialisierten England erzielt<br />
wurden, ließen sich eben nur dort erreichen,<br />
wo auch mit dem entsprechenden<br />
Personen- und Güteraufkommen<br />
zu rechnen war. Um<br />
konservative Investoren überhaupt<br />
für den Eisenbahnbau zu interessieren,<br />
senkte die preußische Regierung<br />
die Renditen ihrer festverzinslichen<br />
Papiere. Sowohl die Verzinsung der<br />
Staatsschuldscheine wie auch der<br />
landwirtschaftlichen Pfandbriefe und<br />
Obligationen wurden auf 3,5 Prozent<br />
herabgestuft. Hinzu kam die 1842<br />
beschlossene Zinsgarantie auf einige<br />
Aktiengesellschaften von ebenfalls<br />
3,5 Prozent. Zusätzlich wurden die<br />
Eisenbahngesellschaften von der<br />
Grund- und Gewerbesteuer befreit.<br />
All diese staatlichen Maßnahmen<br />
pumpten frisches Geld in den Markt.<br />
Für Investoren minimierte sich das<br />
Risiko; zugleich partizipierten sie an<br />
den Gewinnchancen, die bei Erfolg<br />
der Unternehmung in Aussicht standen.<br />
Kein Wunder, dass 1843 die Eisenbahnaktien,<br />
für die staatliche<br />
Zinsgarantien vorlagen, sogar zu<br />
mündelsicheren Papieren erklärt<br />
Saxonia Die erste funktionstüchtige Lok<br />
wurde 1838 in Deutschland gebaut.<br />
Geschichtsträchtig Aus dem Gründungsjahr<br />
der deutschen Eisenbahn: Aktie der Nürnberg<br />
Fürther Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft.<br />
werden konnten. Das bedeutet, sie<br />
waren für die Anlage vormundschaftlich<br />
verwalteter Gelder – zum Beispiel<br />
von Witwen und Waisen – zugelassen,<br />
was ihrer Einstufung in die<br />
höchste Bonitätsklasse gleichkam.<br />
Damit aber war unwillkürlich eine<br />
neue Spekulationswelle losgetreten.<br />
Ludolf Camphausen, selbst Bankier<br />
und Finanzier von Eisenbahngesellschaften,<br />
schrieb: „Das Eisenbahnfi<br />
eber ist stärker als jemals, es grenzt<br />
an Wahnsinn.“ So wurde etwa das im<br />
Jahr 1844 ausgeschriebene Kapital<br />
der Köln-Krefelder Eisenbahn-Gesellschaft<br />
um das Zwanzigfache überzeichnet.<br />
Diese Entwicklung veranlasste<br />
die preußische Regierung<br />
erneut einzugreifen: Nun musste<br />
jede Eröff nung von Aktienzeichnungen<br />
vom Finanzminister ausdrücklich<br />
genehmigt werden. Ziel dieser<br />
neuen Regelung war es, den Kapitalmarkt<br />
wieder stärker zu steuern und<br />
auch die Kontrolle des Zentralstaats<br />
über den Eisenbahnbau zu stärken.<br />
Eine klare wirtschaftspolitische<br />
Linie war das allerdings nicht. Für<br />
potenzielle Investoren, auf deren<br />
68 69