(SILAS) für die minimal invasive Chirurgie - Universität zu Lübeck
(SILAS) für die minimal invasive Chirurgie - Universität zu Lübeck
(SILAS) für die minimal invasive Chirurgie - Universität zu Lübeck
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
schnelle Wechsel und eine <strong>zu</strong> große Menge von Be<strong>zu</strong>gspersonen,<br />
Mangel an verlässlichen Gesprächen, an Spiel<br />
und an Ruhe, an vertieftem Lernen, Ersatz durch technologische<br />
Kommunikation, ein Abgleiten in <strong>die</strong> irreale<br />
Realität der Virtualität, gleichzeitig ein Druck von Me<strong>die</strong>n,<br />
Mode und Markt, der mit Anpassungsforderungen<br />
an vorgegebene Kriterien des Glücks einhergeht – all<br />
<strong>die</strong>s bewirkt ein Ausmaß an persönlicher Unsicherheit,<br />
<strong>die</strong> <strong>zu</strong>r Leere wird und in der Leere <strong>zu</strong>m nicht mehr benennbaren<br />
Hunger nach Glück. Geht <strong>die</strong>s einher mit der<br />
Suche nach Identität? Wie lassen sich <strong>die</strong>se zentralen<br />
Fragen lösen?<br />
1a) Die Suche nach dem eigenen Ich<br />
Identität in der konventionellen Bedeutung ist ein relationaler<br />
Begriff, dessen verschiedene Teile klar benennbar<br />
sind. Auch in älteren philosophischen oder religiösen<br />
Ansätzen verbindet sich <strong>die</strong> Frage: Wer bin ich? mit der<br />
Frage: Wer bin ich in Relation <strong>zu</strong> wem? Es mag sich dabei<br />
um eine metaphysische, geistige Relation zwischen<br />
dem absoluten Sein und dem menschlichen Sein handeln,<br />
oder um eine religiöse Relation der Glaubens<strong>zu</strong>gehörigkeit,<br />
oder um eine soziale und politische, letztlich<br />
existentielle Relation wie früher zwischen Fürsten und<br />
Untertanen, heute zwischen Staat und Staatsangehörigen,<br />
zwischen Partei und Parteimitgliedschaft, zwischen<br />
Arbeitgeber und Arbeitnehmer etc. Oder es mag sich<br />
um <strong>die</strong> Familien<strong>zu</strong>gehörigkeit handeln resp. um <strong>die</strong> mit<br />
Herkunft und Namen verbundene Relation. Von größter<br />
Bedeutung ist <strong>die</strong> Relation des Menschen <strong>zu</strong> sich selbst,<br />
<strong>zu</strong> seinem eigenen Ich, <strong>die</strong> in der Frage nach der Identität<br />
jedoch kaum Beachtung fand noch findet. Sie gehört<br />
<strong>zu</strong>r zentralen Frage in der Psychoanalyse.<br />
Die relationale Struktur von Identität bestand seit jeher<br />
in der Angleichung (lat. „idem-eadem-idem“ – gleich)<br />
des einen Teils an den anderen, des Abbilds an das Bild<br />
oder an das Vorbild, des Untergeordneten an den Übergeordneten,<br />
des Sohnes und der Tochter an Vater und<br />
Mutter, des Lehrlings an den Meister, der Frau an den<br />
Mann. Der hierarchisch gelenkte Angleichungsdruck<br />
hatte eine Disziplinierungsfunktion gegenüber dem bedrohlichen<br />
Wilden der Individualität, gegenüber dem<br />
Unbekannten, Anarchischen, das möglicherweise allein<br />
schon Kindsein oder Weiblichkeit, überhaupt das Andere<br />
beinhaltete. Darauf beruht der <strong>zu</strong>meist verschwiegene,<br />
zweckgerichtete Teil der patriarchalen Geschlechterordnung<br />
sowie der Normativität vieler Erziehungstheorien.<br />
Hinter den mit hohem Angleichungsdruck verbundenen<br />
Identitätsforderungen stand - und steht <strong>zu</strong>m Teil erneut-<br />
<strong>die</strong> Tatsache, dass das Ungleiche und Fremde im anderen<br />
Menschen als bedrohlich erscheint. Die Nicht-An-<br />
passung wird mit Ausschluss aus einer Zugehörigkeit<br />
bestraft, mit Feinderklärungen und mit Strategien deren<br />
Bekämpfung.<br />
Es ist eine geheime Diktatur, <strong>die</strong> selbst in demokratischen<br />
Verhältnissen <strong>zu</strong>nehmend überhand nimmt. Sie<br />
stützt sich generell auf ein ideologisch genährtes Weltbild<br />
ab (auch das neoliberale Weltbild gehört da<strong>zu</strong>), das<br />
sich nicht nach Normen der gleichen Lebensrechte und<br />
Freiheitsrechte – letztlich des gleichen Rechts auf Glück<br />
– aller Menschen ausrichtet, sondern nach kategoriellen<br />
Bedingungen. Menschlicher Wert wird nach Maßstäben<br />
ideologisch definierter Anpassung, nach gesundheitlicher<br />
und gesellschaftlicher Brauchbarkeit, nach Einkommenshöhe<br />
und ethnischer Zugehörigkeit berechnet.<br />
Die jüngste Vergangenheit setzt sich unter anderen Namen<br />
fort.<br />
Individualität geht unter <strong>die</strong>sen Bedingungen mit Einsamkeit<br />
einher; das Bedürfnis nach Glück wird, wie<br />
schon erklärt wurde, <strong>zu</strong>m Hunger nach Glück, der als<br />
nicht mehr stillbar auf dem Menschen lastet; er ist Teil<br />
der schwer tragbaren Einsamkeit. Die Flucht in Ersatz<br />
von Glück bewirkt jene überhandnehmende Abhängigkeit<br />
junger wie älterer Menschen von Psychopharmaka,<br />
von Alkohol und anderen Drogen – mit erschütternden<br />
Folgen. Der Selbstbetrug, der damit einhergeht, äußert<br />
sich in Depressivität und Aggressivität, in manischen<br />
Zuständen, in <strong>zu</strong>nehmenden somatischen Leiden, in<br />
wachsender Lebensangst bis hin <strong>zu</strong> Suizidalität.<br />
Meine klinischen Erfahrungen stimmen mit jenen anderer<br />
Forscherinnen und Forscher überein. Ich verweise<br />
auf Raymond Battegay (2), der in zahlreichen Fallbeispielen<br />
<strong>die</strong> mit psychischen oder physischen „Unersättlichkeiten“<br />
verbundenen „Hungerkrankheiten“<br />
belegt. Es gehören <strong>für</strong> Battegay alle Esstörungen da<strong>zu</strong><br />
– <strong>die</strong> Anorexia nervosa, <strong>die</strong> Adipositas u.a.m., ebenso<br />
der „Hunger“ nach Fusion bei narzisstisch Gestörten,<br />
<strong>die</strong> unersättliche, destruktive Tendenz <strong>zu</strong> einer totalen<br />
Fusion mit einem Objekt und dessen Zerstörung, auch<br />
Herz- und Kreislauferkrankungen bei behindertem oder<br />
übersteigertem Tatenhunger, der emotionale Hunger bei<br />
lebensbedrohenden Krankheiten und weitere mehr. Es<br />
ist <strong>die</strong> Unersättlichkeit der Workaholics, <strong>die</strong> einbezogen<br />
werden kann, oder jene der Konsum-, Kauf- und Sammelsüchtigen,<br />
vor allem auch der ungezügelte, maßlose<br />
Machthunger, der mit vielerlei Gewalt einhergeht.<br />
Auf das Verhängnis existentieller „Ersatzbefriedigungen“<br />
beim Hunger nach Glück (resp. auf <strong>die</strong> „Hilfskonstruktionen“,<br />
wie sie in Theodor Fontanes Roman<br />
„Effi Briest“ erscheinen) hatte Sigmund Freud schon<br />
1929-30 (3) aufmerksam gemacht. „Das Leben, wie es<br />
FOCUS MUL 24, Heft 2 (2007) 117