(SILAS) für die minimal invasive Chirurgie - Universität zu Lübeck
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uns auferlegt ist, ist <strong>zu</strong> schwer <strong>für</strong> uns, es bringt uns <strong>zu</strong><br />
viele Schmerzen, Enttäuschungen, unlösbare Aufgaben.<br />
Um es <strong>zu</strong> ertragen, können wir Linderungsmittel nicht<br />
entbehren. (...) Solcher Mittel gibt es dreierlei: mächtige<br />
Ablenkungen, <strong>die</strong> uns unser Elend geringschätzen lassen,<br />
Ersatzbefriedigungen, des es verringern, Rauschstoffe,<br />
<strong>die</strong> uns <strong>für</strong> dasselbe unempfindlich machen.<br />
Irgend etwas <strong>die</strong>ser Art ist unerlässlich“. Und etwas<br />
weiter, nachdem er <strong>die</strong> „ungezählte Male gestellte Frage<br />
nach dem Lebenszweck“ aufgenommen hat, bemerkt<br />
er, es sei „einfach das Programm des Lustprinzips, das<br />
den Lebenszweck setzt. Dieses Prinzip beherrscht <strong>die</strong><br />
Leistung des seelischen Apparates vom Anfang an. An<br />
seiner Zweck<strong>die</strong>nlichkeit kann kein Zweifel sein, und<br />
doch ist sein Programm im Hader mit der ganzen Welt,<br />
mit dem Makrokosmos ebensowohl wie mit dem Mikrokosmus.<br />
Es ist überhaupt nicht durchführbar, alle<br />
Einrichtungen des Alls widerstreben ihm“. Hier kommt<br />
Freud <strong>zu</strong>m Schluss, den ich schon zitiert habe: „Dass<br />
der Mensch ‚glücklich’ sei, ist im Plan der ‚Schöpfung’<br />
nicht enthalten“.<br />
1b) Der Hunger nach Glück unter Bedingungen der<br />
Maßlosigkeit<br />
Die gesellschaftspolitische, ideologisch geprägte Entwicklung<br />
geht einher mit der technologischen und wissenschaftlichen<br />
Entwicklung unsere Gegenwartszeit,<br />
<strong>die</strong> als Endzeit der „Postmoderne“ bezeichnet wird.<br />
Vom Begriff her hat sie <strong>die</strong> Moderne, mit welcher <strong>die</strong><br />
vielfältig kritische, gesellschaftliche Öffnung einsetzte,<br />
weit hinter sich <strong>zu</strong>rück gelassen, in allen Bereichen<br />
menschlichen Lebens. Die sozialen und wirtschaftlichen<br />
Zusammenhänge der technologischen Entwicklung,<br />
auf welche schon eingegangen wurde, der industriellen<br />
Produktion an Hand virtueller Potenzen, der<br />
dadurch bewirkten Massenarbeitslosigkeit, der digitalisierten<br />
Kommunikation, der Aufhebung zeitlicher und<br />
räumlicher Distanz, der kosmischen Erkundungs- und<br />
Besitzansprüche, der biologischen und medizinischen,<br />
physikalischen und chemischen Innovationen von Leben,<br />
der digitalen Täuschungsmöglichkeiten von Information<br />
mit der damit verbundenen Steigerung medialer<br />
Massenbetörung, der ökologischen Überbelastungen<br />
und Verluste sowie der klimatischen Störungen, der<br />
computermäßig gesteuerten militärischen Angriffs- und<br />
Zerstörungsmethoden über größte Distanzen, mit der<br />
Anonymisierung der Angreifer und der kaum mehr beachteten,<br />
realen Leidensfolgen etc. etc. - alle <strong>die</strong>se Entwicklungen<br />
beeinflussen Lebensalltag und Lebensempfindung<br />
der Menschen <strong>die</strong>ser Zeit.<br />
Die Grenzen der Aufklärung sind längst vielfach überschritten.<br />
Kritische Untersuchungen werden zwar <strong>zu</strong>gelassen,<br />
jedoch kaum ernst genommen. Die „Subversion<br />
des Wissens“ (4) wie Michel Foucault sich ausdrückt,<br />
kann nur in kleinen Kreisen Beachtung finden, resp. das<br />
Wissen um <strong>die</strong> Brüchigkeit und Un<strong>zu</strong>länglichkeit allen<br />
Wissens, das Misstrauen gegenüber allumfassenden<br />
Rezepten und Heilslehren, überhaupt <strong>die</strong> Absage an das<br />
„Totale“. Ich verweise auf Freuds eindrücklichen Essay,<br />
in welchem er 1915 „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“<br />
(5) analysierte und der noch immer Beachtung ver<strong>die</strong>nt,<br />
ebenso auf Walter Benjamins Aufsatz „Über den Begriff<br />
der Geschichte“ (6) , den er unter der wachsenden<br />
Bedrängnis des Krieges 1940 schrieb, als eine Art<br />
Vermächtnis kurz vor seiner Flucht aus dem besetzten<br />
Frankreich und seinem Selbstmord an der Grenze <strong>zu</strong><br />
Spanien. Eindrücklich ist <strong>die</strong> Knappheit und Intensität<br />
seiner Warnung, mit welcher er <strong>die</strong> Interpretation von<br />
Paul Klees „Angelus Novus“ als Engel der Geschichte<br />
verbindet. „Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund<br />
steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. (...) Er<br />
hat das Antlitz der Vergangenheit <strong>zu</strong>gewendet. (...) Aber<br />
ein Sturm weht vom Para<strong>die</strong>s her, der sich in seinen<br />
Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel<br />
sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn<br />
unaufhaltsam in <strong>die</strong> Zukunft, der er den Rücken kehrt,<br />
während der Trümmerhaufen vor ihm <strong>zu</strong>m Himmel<br />
wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist <strong>die</strong>ser<br />
Sturm“ (7).<br />
Wie lässt sich der Trümmerhaufen abbauen, der Sturm<br />
mäßigen? Ist Glück im Sinn von Wohlbefinden und innerer<br />
Übereinstimmung noch möglich? Wie lässt sich<br />
der psychische Hunger<strong>zu</strong>stand zahlloser Menschen<br />
korrigieren? Was braucht es, damit Grenzen des Fortschritts<br />
im Sinn Walter Benjamins beachtet werden,<br />
das Diesseits und Jenseits der Grenzen, <strong>die</strong> Folgen<br />
der Grenzüberschreitungen, <strong>die</strong> Dringlichkeit der<br />
Machtkritik und des Widerstandes? Es soll gewiss keine<br />
Regression in <strong>die</strong> Vormoderne angestrebt werden. Die<br />
Zielset<strong>zu</strong>ngen, um <strong>die</strong> es geht, setzen <strong>die</strong> Klärung von<br />
Ertragbarkeit und Sinnhaftigkeit voraus. Sie beruhen<br />
auf der Klugheit einer Grammatik des menschlichen Zusammenlebens,<br />
in welcher Maß anstelle von Maßlosigkeit<br />
sowie Reziprozität von Respekt <strong>zu</strong> den Grundregeln<br />
gehören, durch welche das Leben jedes Menschen in<br />
seinem Bedürfnis nach Glück nicht mehr gefährdet ist,<br />
sondern Beachtung findet. Ist <strong>die</strong>s erreichbar? – oder ist<br />
es eine Illusion, so wie Freud 1927 in seinen kritischen<br />
Überlegungen über <strong>die</strong> damalige Entwicklung der unglücklichen<br />
und glückshungrigen Menschen fragte?<br />
118 FOCUS MUL 24, Heft 2 (2007)