<strong>Trans*</strong> <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>Soziale</strong> <strong>Arbeit</strong>Begriffe ‚Cissexualität / cisexuell‘ verwendet, sondern die Begriffe ‚Cis* / cis*‘ 3 . S<strong>ch</strong>irmer(2010) bes<strong>ch</strong>reibt den Asterisk(*) hinter Wörtern als Platzhalter für Selbstdefinitionen; indieser <strong>Arbeit</strong> wird er oft an Stelle der ansonsten fäls<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>erweise verwendeten Begriffe‚sexuell‘ oder ‚Sexualität‘ verwendet (vgl. S. 113 – 114).Darüber hinaus werden in dieser <strong>Arbeit</strong> trans* <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong> als <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong> verstanden, die beiihrer Geburt eindeutig einem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t zugeordnet werden konnten, si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> mit demGegenges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t identifizieren <strong>und</strong> dies dur<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsanglei<strong>ch</strong>ende Massnahmenändern mö<strong>ch</strong>ten oder diese Änderungen bereits vorgenommen haben, beziehungsweisevornehmen liessen.„Man kann <strong>Trans*</strong> auf zwei Ebenen betra<strong>ch</strong>ten: So, wie es Psy<strong>ch</strong>iater tun, als innerepsy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Störung oder so wie i<strong>ch</strong> es ma<strong>ch</strong>e, als hormonelle Störung des Körpers“,definiert ein trans* Mann seine Si<strong>ch</strong>tweise zu <strong>Trans*</strong>. Seine Aussage zeigt ein zentralessoziales Dilemma mit tiefgreifenden Folgen für trans* <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong> auf: Sie selbst betra<strong>ch</strong>tensi<strong>ch</strong> als psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> ges<strong>und</strong> <strong>und</strong> leiden darunter, si<strong>ch</strong> aufgr<strong>und</strong> ihrer ‚Störung‘ in psy<strong>ch</strong>iatris<strong>ch</strong>eBehandlung begeben zu müssen, um dur<strong>ch</strong> eine definitionsmä<strong>ch</strong>tige Fremdbeurteilungdiejenige Behandlung zu erhalten, die ihnen den hohen Leidensdruck nimmt, der ein Lebenin einem identitätsfremden Körper für sie mit si<strong>ch</strong> bringt. Darüber hinaus zeigt diese Aussageau<strong>ch</strong> auf, dass trans* <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong> aufgr<strong>und</strong> der pathologisierenden Zus<strong>ch</strong>reibung, ihreThematik beruhe auf einer psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Störung, vermehrt von Stigmatisierungs- <strong>und</strong>Diskriminierungstendenzen betroffen sind, denen allgemein <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong> mit psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en‚Störungen‘ im sozialen Umfeld unterworfen sind.„Eigenartig, dass plastis<strong>ch</strong>e Chirurgie psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Störungen heilen kann“ sagt trans* FrauBree (Felicity Huffmann) im Film ‚Transamerika‘ zu ihrem Psy<strong>ch</strong>iater, als es um ihreges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsanglei<strong>ch</strong>ende Operation geht (vgl. Tucker, 2005). Au<strong>ch</strong> diese Aussage zeigt dasgrosse Dilemma von trans* <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong> auf; es zeigt jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> das Dilemma derGesamtgesells<strong>ch</strong>aft auf, die si<strong>ch</strong> mit Individuen konfrontiert sieht, die si<strong>ch</strong> mit dem dur<strong>ch</strong>körperli<strong>ch</strong>e Merkmale festgelegten, zuges<strong>ch</strong>riebenen Geburtsges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t identifizierenkönnen.Im nä<strong>ch</strong>sten Unterkapitel wird auf die Klinis<strong>ch</strong>en Definitionen von <strong>Trans*</strong> eingegangen sowieauf die Auswirkungen derselben auf trans* <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong>, da es si<strong>ch</strong> dabei um Zus<strong>ch</strong>reibungen3 Cis* / Cissexualität: Wahrig (2010) übersetzt die Silbe ‚Cis‘ mit ‚diesseits, auf derselben Seiteliegend‘ <strong>und</strong> als Gegensatz von ‚Trans‘ (vgl. S. 331). Cis* ist demzufolge die Bezei<strong>ch</strong>nung für<strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong>, bei denen Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsidentität <strong>und</strong> körperli<strong>ch</strong>es Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t übereinstimmen, imGegensatz zu trans* <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong>, bei denen Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsidentität <strong>und</strong> körperli<strong>ch</strong>es Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>tübereinstimmen. Die Mehrheit der Bevölkerung besteht aus cis* <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong>, trans* <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong> stellendie Minorität dar. <strong>Trans*</strong> <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong> wei<strong>ch</strong>en also von der cis* Norm ab.Ba<strong>ch</strong>elorarbeit Jack Walker, WS08 Seite 11
<strong>Trans*</strong> <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong> <strong>und</strong> <strong>Soziale</strong> <strong>Arbeit</strong>in medizinis<strong>ch</strong>en Klassifizierungssystemen handelt, die au<strong>ch</strong> in der S<strong>ch</strong>weiz von trans*<strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong> behandelnden Psy<strong>ch</strong>iatern sowie weiteren Ärzten verwendet werden.2.1. Klinis<strong>ch</strong>e Definitionen„Es gehört in einen Katalog mit Sa<strong>ch</strong>en, womit die Leute zu einem Arzt gehen. Aber esgehört ni<strong>ch</strong>t zu den Mental Disorders (psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Störungen). Das ist ni<strong>ch</strong>t.. Das ist derfals<strong>ch</strong>e Ort. Wobei da jetzt ja au<strong>ch</strong> stark Bewegung rein kommt. Von der WHO ist jetzt s<strong>ch</strong>ondas erste Mal gesagt worden: ‚Oh, i<strong>ch</strong> glaube, da haben wir no<strong>ch</strong> was, was mir malans<strong>ch</strong>auen müssen!‘ Und sie werden es ans<strong>ch</strong>auen“ äussert si<strong>ch</strong> ein trans*Vorstandsmitglied von TGNS zu der momentanen Situation der klinis<strong>ch</strong>en Definitionen fürtrans* <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong>.Offiziell existiert ein Klassifikationssystem von klinis<strong>ch</strong> anerkannten körperli<strong>ch</strong>en <strong>und</strong>psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Störungen <strong>und</strong> Krankheiten:- ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related HealthProblems) der WHO (World Health Organization) (vgl. ICD-10, 2011).Ergänzt wird es dur<strong>ch</strong> ein Klassifikationssystem der psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Störungen <strong>und</strong>Erkrankungen:- DSM-IV-TR (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Textrevision2000) der American Psy<strong>ch</strong>iatric Association (vgl. DSM-IV-TR, 1994).Wie aber kam <strong>Trans*</strong> überhaupt in diese beiden Klassifikationssysteme? <strong>Trans*</strong> <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong>,als <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong> mit auffallenden psy<strong>ch</strong>osozialen Verhaltensweisen, gefährdeten mit ihremVerhalten die Stabilität des Heteronormativitäts-Systems 4 <strong>und</strong> wurden aufgr<strong>und</strong> dessen alspsy<strong>ch</strong>osozial beeinträ<strong>ch</strong>tigt dargestellt <strong>und</strong> pathologisiert, da sie den Erwartungen derheteronormativen Bevölkerung ni<strong>ch</strong>t entspra<strong>ch</strong>en. Ihr Verhalten destabilisierte dasHeteronormativitäts-System derart stark, dass das System trans* <strong>Mens<strong>ch</strong>en</strong> als ni<strong>ch</strong>t mehrsystemkompatibel erfuhr <strong>und</strong> daher aus dem System der Heteronormativen auss<strong>ch</strong>loss.4 Heteronormativität: Vetter (2010) bes<strong>ch</strong>reibt Heteronormativität als di<strong>ch</strong>otome Weltans<strong>ch</strong>auung miteinem binären Denksystem <strong>und</strong> einem zweipoligen Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tersystem, in dem Heterosexualität alsNorm postuliert wird. Heteronormativität besteht demzufolge aus heterosexuellen cis* Männern <strong>und</strong>Frauen mit den entspre<strong>ch</strong>enden körperli<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsmerkmalen <strong>und</strong> dem entspre<strong>ch</strong>endenmännli<strong>ch</strong>en oder weibli<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terrollenverhalten. Heteronormativität gilt in diesemDenkmodell als Standard, an dem alle anderen Formen von sexueller Orientierung, ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>erIdentität <strong>und</strong> ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Rollen-Nonkonformität gemessen werden. Au<strong>ch</strong> sonst geht dasheteronormative Weltbild von einer binären Weltordnung aus, wobei gewisse Abwei<strong>ch</strong>ungen von derNorm toleriert werden, da es si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> erst etablieren kann (vgl. S. 67 – 68). WeitereAusführungen zu Heteronormativität in Unterkapitel 3.6.3.Ba<strong>ch</strong>elorarbeit Jack Walker, WS08 Seite 12