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Schauplätze der Umweltgeschichte - Werkstattbericht - SUB Göttingen

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160<br />

Urte Stobbe<br />

lebenden Menschen“. 2 Folgte man diesem Ansatz, müsste diese Untersuchung<br />

streng genommen aus zwei großen Abschnitten bestehen: einem zur historischen<br />

Entwicklung <strong>der</strong> beschriebenen Handlungsorte (Rekonstruktion von Umweltbedingungen)<br />

und einem an<strong>der</strong>en zur Sichtweise <strong>der</strong> Zeitgenossen auf ihre Umwelt<br />

(Rekonstruktion von Wahrnehmung und Interpretation).<br />

Die erste umwelthistorische Analyseebene ist jedoch zum einen nicht nötig – Wingertszahn<br />

(2006) hat sich bereits umfassend um eine Dokumentation <strong>der</strong> Lebensstationen<br />

des Verfassers in Nie<strong>der</strong>sachsen bemüht – und zum an<strong>der</strong>en auch aus<br />

Gründen <strong>der</strong> Umfangbeschränkung kaum möglich. Dementsprechend soll sich<br />

hier nur auf die zweite Analyseebene konzentriert werden.<br />

Der Begriff „Umwelt“ kam, so weit es sich überblicken lässt, frühestens um 1800<br />

auf und fand Verwendung im Werk des dänisch-deutschen Dichters Jens Baggesen<br />

und wenig später auch bei Johann Wolfgang von Goethe. Das Wörterbuch <strong>der</strong> Deutschen<br />

Sprache von Joachim Heinrich Campe (1811, 113) führt erstmals den Begriff<br />

„Umwelt“ auf und versteht darunter „die umgebende Welt, die Welt um uns her“.<br />

Der im Lemma nachgestellte Beispielsatz „Fern von den begegnenden Blicken <strong>der</strong><br />

Umwelt“ gibt diesem Begriff jedoch noch die Komponente des sozialen Umfelds. 3<br />

Diese beiden Bedeutungskonnotationen zeigen sich bereits signifikant im rund<br />

zwei Jahrzehnte zuvor erschienenen Roman Anton Reiser.<br />

In <strong>der</strong> bisherigen literaturwissenschaftlichen Auseinan<strong>der</strong>setzung mit diesem Roman<br />

wurde die Darstellung und Bedeutung <strong>der</strong> „Natur“ für den Protagonisten<br />

bereits hinlänglich betont. Auch dass die beschriebenen Lektüregewohnheiten –<br />

etwa das Lesen in <strong>der</strong> Natur – auf zeittypische Kulturpraktiken rekurrieren, wurde<br />

mehrfach von <strong>der</strong> Leseforschung herausgestellt.<br />

Insgesamt wurde jedoch noch nicht hinlänglich berücksichtigt, dass sich ein Bruch<br />

in <strong>der</strong> Konstruktion <strong>der</strong> Figur Anton Reiser ausmachen lässt. Auf <strong>der</strong> einen Seite<br />

suggeriert <strong>der</strong> Text eine unmittelbare Perspektivierung durch den Protagonisten.<br />

So werden Reisers Gefühle und Empfindungen in den einzelnen Situationen und<br />

Lebensphasen ausführlich geschil<strong>der</strong>t. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite wird diese sehr stark<br />

subjektbezogene Erzählperspektive durch eine übergeordnete Erzählinstanz eingeklammert,<br />

die dem Geschehen seine Unmittelbarkeit nimmt.<br />

2 Winiwarter/Knoll beziehen sich dabei unter an<strong>der</strong>em auch auf einen Beitrag von Herrmann, demzufolge<br />

<strong>Umweltgeschichte</strong> „nicht nur materielle Phänomene […], son<strong>der</strong>n auch Normen und Handlungsanweisungen<br />

[…], einschließlich <strong>der</strong>en Folgen“ untersucht, was das direkte und intentionale Eingreifen<br />

des Menschen in die naturräumliche Umgebung viel stärker betont. (Herrmann 1996, 21,<br />

Hervorh. im Original).<br />

3 Zum Begriff <strong>der</strong> „Umwelt“ in <strong>der</strong> Biologie siehe unter an<strong>der</strong>em Herrmann (2008).

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