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Schauplätze der Umweltgeschichte - Werkstattbericht - SUB Göttingen

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Urte Stobbe<br />

werden auch hier wie<strong>der</strong> keine Sinneseindrücke, son<strong>der</strong>n ein nahezu vollständig<br />

kulturell überformtes Landschaftsbild. Es ist letztlich das literarische Verfahren <strong>der</strong><br />

Verfremdung, dass Moritz hier insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> naturräumlichen<br />

Umwelt anwendet, er transformiert die einzelnen Elemente <strong>der</strong> naturräumlichen<br />

Umwelt zu einer idealen „Natur“.<br />

Gebrochen wird dies durch die übergeordnete Erzählinstanz, den auktorialen Erzähler,<br />

<strong>der</strong> Reiser rückblickend ein fehlendes Verständnis für das Zustandekommen<br />

bestimmter Empfindungen attestiert: „Auch konnte er [Anton Reiser, d.<br />

Verf.] damals nicht begreifen, warum die einzelnen auf <strong>der</strong> Wiese hin und her zerstreuten<br />

hohen Bäume mit ihrem Schatten in <strong>der</strong> Mittagssonne einen so wun<strong>der</strong>baren<br />

Eindruck auf ihn machten – er fiel nicht darauf, daß eben <strong>der</strong> einsame Stand<br />

<strong>der</strong>selben in großen und unregelmäßigen Zwischenräumen, <strong>der</strong> Gegend das majestätische<br />

feierliche Ansehn gab, wodurch sein Herz immer so gerührt wurde.“ (AR 291,<br />

Hervorh. im Original)<br />

Der reifer gewordene Erzähler stellt also in <strong>der</strong> Retrospektive fest, dass sich die<br />

Befindlichkeiten <strong>der</strong> Seele in <strong>der</strong> Außenwelt zu spiegeln vermögen – o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s<br />

gewendet, dass <strong>der</strong> Mensch Korrespondenzen zwischen <strong>der</strong> inneren Verfassung<br />

und <strong>der</strong> Außenwelt herstellen kann und diese sogar in <strong>der</strong> naturräumlichen Umgebung<br />

bewusst sucht: „Diese einsamen Bäume machten ihm seine eigne Einsamkeit,<br />

indem er unter ihnen umherwandelte, gleichsam heilig und ehrwürdig – sooft er<br />

unter diesen Bäumen ging, lenkten sich seine Gedanken auf erhabene Gegenstände,<br />

seine Schritte wurden langsamer, sein Haupt gesenkt, und sein ganzes Wesen<br />

ernster und feierlicher […].“ (AR 291) Die Schil<strong>der</strong>ung kreist um Einsamkeit und<br />

den Eindruck feierlicher Stille – sowohl in <strong>der</strong> Außen- als auch in <strong>der</strong> Innenwelt<br />

des Protagonisten. Die physische Bewegung wird dabei mit einer inneren Bewegtheit<br />

verschmolzen – wie<strong>der</strong>um ein Gedanke, <strong>der</strong> sich in ähnlicher Form in <strong>der</strong><br />

zeitgenössischen Debatte über das Spazierengehen und die neuesten Gartenkunstvorstellungen<br />

finden lässt. 8<br />

Festzuhalten ist, dass in diesem Beispiel die gesamte Wahrnehmung des „angenehmen<br />

Waldes“ aus unterschiedlichen Diskursen zusammengesetzt ist, die parallel<br />

dazu in Bil<strong>der</strong>n, Gartenbeschreibungen, Guckkästen und literarischen Texten<br />

transportiert worden sind. Diese ohnehin schon kulturell überformten Wahrnehmungsweisen<br />

werden zudem noch einmal aus <strong>der</strong> Retrospektive seitens des Erzählers<br />

um Erklärungen und Reflexionen etwa zur Wirkung von allein stehenden<br />

Bäumen ergänzt. Erst durch dieses literarische Kaleidoskop relativ variabler Wahrnehmungs-<br />

und Deutungsweisen wird die außerstädtische Umwelt in eine ideale<br />

„Natur“ transformiert.<br />

8 Parshall (2003) hat am Beispiel von Hirschfelds Theorie <strong>der</strong> Gartenkunst dargelegt, dass dieses Sichbewegen<br />

und innerlich Bewegt-werden im Garten miteinan<strong>der</strong> in Einklang gebracht werden sollte.<br />

Auf den zeitgenössischen Diskurs des Spaziergangs siehe König (1996).

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