Schauplätze der Umweltgeschichte - Werkstattbericht - SUB Göttingen
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20<br />
Wilhelm Raabe, Pfisters Mühle<br />
Musterbeispiel<br />
Raabes Erzählung „Pfisters Mühle“ kann als <strong>der</strong> erste „Umweltroman“ in Deutscher<br />
Sprache gelten. Der äußere Anlass für dieses 1884 erschienene Werk war ein<br />
Prozess, in dem die Mühlenbesitzer Müller aus Bienrode und Lü<strong>der</strong>itz aus Wenden<br />
aus <strong>der</strong> damaligen Umgebung Braunschweigs, die Zuckerfabrik in Rautheim wegen<br />
<strong>der</strong> Verschmutzung <strong>der</strong> Mühlengewässer verklagten. Das verschmutzte Wasser<br />
entließ die Zuckerfabrik in die Mittelriede, wodurch die Belastung <strong>der</strong> Mühlenbäche<br />
Wabe und Schunter in Gang gesetzt wurde. Das erstinstanzliche Urteil wurde<br />
zunächst am 14.3.1883 gesprochen. Raabe hat für seinen Roman die Prozessakten<br />
eingesehen. Mit <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> Umweltverschmutzung in seinem Erzählwerk,<br />
in dem er Realität und fiktives Geschehen verbindet, schien Raabe seiner Zeit voraus.<br />
Jedenfalls wird sein Roman auch von belesenen Naturwissenschaftlern und<br />
Ökologen, darunter August Thienemann, zu Beginn des 20. Jhs immer wie<strong>der</strong><br />
einschlägig herangezogen, so dass sich ein Bewusstsein bilden konnte, nach dem<br />
Raabe seinen Finger verdienstvoll in die Wunde <strong>der</strong> Umweltproblematik gelegt<br />
hatte. Immerhin bemüht Raabe einen Gutachter aus dem Freundeskreis, <strong>der</strong> zum<br />
Sachverhalt des Prozesses Stellung genommen hatte:<br />
„Die Kammern <strong>der</strong> Turbinen, beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> dem Mühlenbesitzer<br />
Müller in Bienrode gehörigen Mühle, wuchsen durch […] Wasserpilze<br />
völlig zu, so daß die Mühle zum Stillstand kam. Die gleichen Pilzwucherungen<br />
zeigten sich an den Ufern von Schunter und Wabe, sowie an<br />
allen in das Wasser eintauchenden Gegenständen, Zweigen von Bäumen,<br />
Schilf und <strong>der</strong>gl. Gleichzeitig trat in den Mühlen <strong>der</strong> Geruch von<br />
Schwefelwasserstoff auf. Diese Tatsachen gaben Anlaß zu <strong>der</strong> Klage<br />
und erregten damals berechtigtes Aufsehen, weil eine solche Verunreinigung,<br />
die auf den Betrieb einer Zuckerfabrik zurückgeführt werden<br />
mußte, in unserer Gegend noch nicht beobachtet war.“<br />
Im Roman selbst heißt es (S. 90, Braunschweiger Ausgabe): „..was das interessante<br />
Geschlecht <strong>der</strong> Algen anbetrifft, meistens kieselschalige Diatomeen, Gattungen<br />
Melosira, Encyonema, Navicula und Pleurosigma. Hier auch eine Zygnemacee.<br />
Nicht wahr, Meister, die Namen allein genügen schon, um ein Mühlrad anzuhalten?“<br />
Der Umwelthistoriker Günther Bayerl ist jedoch <strong>der</strong> Auffassung, dass Raabes<br />
Thema nur vor<strong>der</strong>gründig die Entrüstung über die Umweltverschmutzung ist, es<br />
dem Dichter vielmehr um die Gegenüberstellung <strong>der</strong> Technik „<strong>der</strong> alten und <strong>der</strong><br />
neuen Zeit“ gehe. Das reale Revisionsurteil zum Prozess, das eher die Position des<br />
Zuckerfabrikanten vertrat, lag nämlich wenige Tage nach <strong>der</strong> Fertigstellung des