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echtsprechung<br />
AiB 6 | <strong>2016</strong><br />
expertenrat<br />
Antworten auf<br />
Ihre Fragen<br />
Darf ein Frei willigen programm<br />
neben einem Sozialplan<br />
vereinbart werden?<br />
Dürfen Betriebsratsmitglieder<br />
vor einer Entwicklung<br />
»wie vor 70 Jahren« warnen?<br />
Silvia Mittländer ist Fachanwältin<br />
für Arbeitsrecht<br />
in Frankfurt am Main.<br />
www.steiner-mittlaender.de<br />
Sie beantwortet aus ge -<br />
wählte Fragen an dieser<br />
Stelle. Wenn Sie auch Fragen<br />
an unsere Expertin haben,<br />
schreiben Sie uns unter<br />
redaktion@<strong>aib</strong>-web.de<br />
antwort Ja, so hat es das Landesarbeitsgericht<br />
(LAG) München entschieden. 1 Ein Beschäftigter<br />
erhielt eine betriebsbedingte Kündigung,<br />
nachdem er zuvor einen Aufhebungsvertrag mit<br />
einer Abfindungszahlung angeboten bekam. Im<br />
Kündigungsschutzverfahren einigte er sich auf<br />
die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen<br />
die Zahlung einer Abfindung. Diese entsprach<br />
etwa der Abfindungszahlung, die in dem geltenden<br />
Sozialplan vereinbart war. Parallel zu<br />
diesem Sozialplan hatte sich der Betriebsrat mit<br />
der Arbeitgeberin auf eine freiwillige Betriebsvereinbarung<br />
verständigt, die zusätzliche Abfindungszahlungen<br />
vorsah, wenn die Beschäftigten<br />
einen Aufhebungsvertrag abschlossen. Der Kläger<br />
machte diese zusätzliche Abfindungszahlung<br />
aus der freiwilligen Betriebsvereinbarung<br />
vor dem Arbeitsgericht in einem weiteren Verfahren<br />
geltend und berief sich auf einen Verstoß<br />
gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Seine<br />
Klage wurde jedoch abgewiesen. Das LAG begründete<br />
dies damit, dass es zwar nicht erlaubt<br />
ist, die Zahlung einer Sozialplanabfindung von<br />
dem Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage<br />
abhängig zu machen. Es ist aber möglich, auf<br />
der Grundlage einer freiwilligen Betriebsvereinbarung<br />
(§ 88 BetrVG) zusätzliche finanzielle<br />
Anreize für ein freiwilliges Ausscheiden zu<br />
schaffen. Dies ist jedenfalls dann zulässig, wenn<br />
die Betriebsparteien ihrer Pflicht zur Aufstellung<br />
eines Sozialplans nachkommen, und der<br />
Dotierungsrahmen des Freiwilligenprogramms<br />
nicht so groß ist, dass der Sozialplan ausgehöhlt<br />
wird. Dies war aber nicht gegeben, so dass die<br />
Klage abgewiesen wurde. Das LAG folgt damit<br />
dem BAG. 2<br />
antwort Ja, so hat es zu Recht das Landesarbeitsgericht<br />
(LAG) Düsseldorf entschieden. 3<br />
Der Arbeitnehmer ist seit 1994 beschäftigt und<br />
seit 20 Jahren Mitglied des Betriebsrats und ferner<br />
Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Er<br />
erfuhr zufällig von Kollegen, dass der Arbeitgeber<br />
einseitig ohne Beteiligung des Betriebsrats<br />
Leistungs- und Verhaltenskontrollen durchführen<br />
wollte. Er wandte sich daher in einer E-Mail<br />
an den Betriebsleiter und die Aufsichtsratsmitglieder.<br />
Dort schrieb er mit Bezug auf die geplanten<br />
Überwachungsmaßnahmen wörtlich<br />
»Die Überwachung in einem totalitären Regime<br />
haben wir vor 70 Jahren hinter uns gebracht,<br />
auch wenn hier im Kleineren gehandelt wird, so<br />
ist dies der Anfang von dem, was dann irgendwann<br />
aus dem Runder laufen kann.« Der Arbeitgeber<br />
beantragte daraufhin die Zustimmung<br />
zur fristlosen Kündigung beim Betriebsrat gemäß<br />
§ 103 BetrVG. Da dieser die Zustimmung<br />
verweigerte, zog der Arbeitgeber vor Gericht<br />
und verlor sein Kündigungsbegehren in beiden<br />
Instanzen. Das LAG begründet dies damit, dass<br />
ein Vergleich der betrieblichen Verhältnisse mit<br />
dem Nationalsozialismus zwar regelmäßig eine<br />
fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Aber<br />
einen solchen Vergleich hat das Betriebsratsmitglied<br />
gerade nicht angestellt. Vielmehr hat<br />
er vor einer solchen möglichen Entwicklung<br />
gewarnt und aufgefordert, dieser Entwicklung<br />
so schnell wie möglich und mit Nachdruck entgegenzuwirken,<br />
was in dem Ausdruck »bevor es<br />
aus dem Ruder läuft« zu erkennen ist. Eine solche<br />
warnende Äußerung ist von der Meinungsfreiheit<br />
gedeckt. Das zeigt, dass auch harsche<br />
Kritik zulässig sein kann.<br />
1 LAG München 9.12.2015 – 5 Sa 591/15.<br />
2 Etwa BAG 9.12.2014 – 1 AZR 146/13.<br />
3 LAG Düsseldorf 4.3.<strong>2016</strong> – 10 TaBV 102/15.<br />
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