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Medien- und Massenkommunikation: Begriffe und Modelle

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http://www.mediaculture-online.de<br />

Urbanisierung, Verelendung der unteren sozialen Schichten sowie der Erosion personaler<br />

Strukturen <strong>und</strong> traditioneller Wertorientierungen löst sich die herkömmliche<br />

Gesellschaftsordnung offensichtlich auf, die auf formellen, verwandtschaftlichen<br />

Bindungen <strong>und</strong> normativen, organischen Beziehungen geruht hat. An ihre Stelle treten<br />

situative, indifferente soziale Konstellationen, die sich entsprechend unterschiedlicher<br />

Gegebenheiten <strong>und</strong> Zwecke bilden: über Arbeit, Wohnung, Bildung, Freizeit, funktionale<br />

Organisationen, Situationen des Alltags <strong>und</strong> altersspezifische Interessen. Sie erzeugen<br />

aber keine überdauernden, ganzheitlichen <strong>und</strong> emotionalen Bindungen mehr. Auch die<br />

Massenmedien rechnen zu diesen Faktoren. Insbesondere besetzen sie – so die<br />

Annahme – das durch die Bindungslosigkeit entstandene emotionale wie wertbezogene<br />

Vakuum <strong>und</strong> können so die Menschen, die sich wie Atome abstoßen <strong>und</strong> anziehen, also<br />

‘atomistisch leben’, nachhaltig steuern oder manipulieren: Wie subkutane Injektionen<br />

(“hypodenmic needles”) stoßen die <strong>Medien</strong>botschaften angeblich in das Unterbewusste<br />

der Rezipienten vor, Treibriemen (“transmission belts”) gleich umschlingen sie sie mit<br />

ihren Verlockungen – <strong>und</strong> was dergleichen mehr an verbalen Anleihen aus<br />

Naturwissenschaften <strong>und</strong> Technik bemüht wurde (Naschold 1969).<br />

Unterstützung erfahren diese Sichtweisen von der konservativen Gesellschafts- <strong>und</strong><br />

Kulturkritik. Spätestens seit Gustave Le Bons (1841 – 1931) Psychologie der Massen<br />

(1895) ist “Masse” zum Synonym für attavistische Instinkthaftigkeit <strong>und</strong> irrationale<br />

Beeinflussbarkeit, für den Verlust von Individualität <strong>und</strong> Mitte geworden. Der Soziologe<br />

Ferdinand Tönnies (1855 -1936) formuliert 1887 mit der Trennung von Gesellschaft <strong>und</strong><br />

Gemeinschaft ein prägendes Paradigma der Gesellschaftstheorie <strong>und</strong> -politik. Er wertet<br />

die (Massen)Gesellschaft als rationale Lebensführung (mit “Kürwillen”, eine der Willkür<br />

nachempf<strong>und</strong>ene Wortschöpfung) ab, da sie sich zum Ideal der durch innere, seelische<br />

Verb<strong>und</strong>enheit der Mitglieder (dem “Wesenwillen”) prinzipiell zusammengehaltenen<br />

Gemeinschaft “wie ein künstliches Gerät oder eine Maschine [verhalte], welche zu<br />

bestimmten Zwecken angefertigt wird, zu den Organsystemen <strong>und</strong> einzelnen Organen<br />

eines tierischen Leibes” (Tönnies 1935, 125, zit. nach Kunczik 1979 2 , 18).<br />

Es gehört wohl zu den verhängnisvollsten, mindestens mitzuverantwortenden Folgen<br />

solchen wissenschaftlichen Denkens, dass sich die Nationalsozialisten seiner mentaler<br />

Gr<strong>und</strong>lagen bedienten, beliebige theoretische Versatzstücke herausgriffen <strong>und</strong> mit ihnen<br />

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