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Komplett. Das Sauerlandmagazin. Zwischen Verse und Sorpe. Ausgabe September/Oktober 2017

Themen u.a. Plettenberg und Herscheid werden demenzfreundliche Kommunen; Sie hängen noch: Kaugummiautomaten und andere Exoten; Leben im Kloster: vier Mönche in Werdohl

Themen u.a. Plettenberg und Herscheid werden demenzfreundliche Kommunen; Sie hängen noch: Kaugummiautomaten und andere Exoten; Leben im Kloster: vier Mönche in Werdohl

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In seiner Schlichtheit hat er auch etwas.<br />

Ja, er hat etwas, aber er ist natürlich nicht zu vergleichen<br />

mit dem Ursprungs-Altar. Leider. Etwas ganz ausgefallenes,<br />

sehr altes ist aber auch das Chorgestühl hier.<br />

Man sieht die Jahreszahl 1548. Eingeschnitzt sind die damaligen<br />

Stände. Man kann den Bauern, den Ritter <strong>und</strong><br />

auch den König erkennen. Besonders anzumerken ist<br />

übrigens die Dame des Ritters, die ihm die Zunge herausstreckt.<br />

Auch das ist etwas sehr Außergewöhnliches<br />

in unserer Kirche hier, das bisher nicht erklärt werden<br />

konnte. Man geht aber davon aus, dass die Damen hier<br />

schon sehr früh die Hosen anhatten.<br />

Ein durchgängiges Motiv ist der Drachen, der mit Sankt<br />

Cyriacus in Verbindung gebracht wird. Den man wiederum<br />

dafür verantwortlich macht, dass er nicht nur böse<br />

Geister austreiben konnte, sondern eben auch ein Bezwinger<br />

der Drachen war.<br />

Hier sind auch über all noch Namen in die Bänke<br />

eingeritzt.<br />

Auch das gehört zu den Überbleibseln der vergangenen<br />

Jahrh<strong>und</strong>erte. Zusammen z.B. mit Grabplatten, die jetzt<br />

an den Wänden hängen. Die man bei Restaurierungsarbeiten<br />

im Boden fand. Dazu gibt es auch noch eine kuriose<br />

Geschichte. Die Sakristei nebenan, ist ja der älteste<br />

Teil der Kirche.<br />

Am Anfang des vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts standen Konfirmanden<br />

aufgeregt in dieser Sakristei. Eines der Mädchen<br />

zappelte wohl besonders heftig mit den Füßen hin<br />

<strong>und</strong> her. Für alle völlig unerwartet, brach der Boden zusammen,<br />

<strong>und</strong> sie stand inmitten von Gebeinen <strong>und</strong> Totenschädeln.<br />

Man hatte einen alten Friedhof gef<strong>und</strong>en.<br />

Die Konfirmation war dann wohl erst einmal gelaufen.<br />

<strong>Das</strong> Mädchen hatte einen echten Schock.<br />

Tatsache ist, dass um die Kirchen herum früher immer<br />

Friedhöfe waren. Und da die Kirche ständig erweitert<br />

wurde, hat man sie wohl über den Friedhof gebaut. Eine<br />

recht unheimliche Erfahrung für ein 14-jähriges Mädchen,<br />

dass eigentlich nur konfirmiert werden wollte.<br />

Wie sieht es jetzt aus mit der Kirche? Steht sie nach<br />

1000 Jahren jetzt möglicherweise genauso auf der Abschussliste<br />

wie so manch anderes Kirchengebäude?<br />

Nein, das ist wirklich das letzte, was wir tun werden, uns<br />

von dieser Kirche zu trennen. Sie ist gut besucht, gerade<br />

auch sonntags in den Gottesdiensten, die Gemeinde<br />

ist lebendig. Die Kirche ist denkmalgeschützt. Und wir<br />

planen gerade, die sie noch weiter zu restaurieren. Zudem<br />

muss dringend einiges erneuert werden. Zum Beispiel<br />

die Heizung.<br />

Aber dabei wird die ursprüngliche Bausubstanz erhalten<br />

bleiben, oder?<br />

Natürlich! Und wer weiß, was wir noch so finden werden.<br />

Spannend ist <strong>und</strong> bleibt es auf jeden Fall.<br />

Bemerkenswert ist ja auch die barocke Orgel, die wir<br />

hier noch haben. Und natürlich die Kanzel.<br />

Ja, diese beiden sind auch eine Attraktion. Und sehr gut<br />

erhalten. Alles in allem gibt es in dieser Kirche für den<br />

Besucher viel zu entdecken. Geschichtsträchtiges <strong>und</strong><br />

auch weniger rühmliches. Im zweiten Weltkrieg gab es<br />

hier einmal einen Pastor, der sich den Nationalsozialisten<br />

sehr verpflichtet fühlte. Die Herscheider an sich<br />

konnte das aber nicht lange überzeugen, es gab viel<br />

Wiederstand dagegen. Besonders von der Frauenhilfe.<br />

Viele Herscheider wurden dann auch zwangsrekrutiert.<br />

Mussten zum Beispiel am Bau der <strong>Verse</strong>talsperre mitarbeiten.<br />

Auch das gehört zu einer fast 1000-jährigen Geschichte<br />

dazu. Rühmliches, aber auch unrühmliches. All<br />

das hat diese Kirche bereits gesehen <strong>und</strong> überstanden.<br />

Was mich einfach immer wieder berührt <strong>und</strong> andächtig<br />

macht, ist die Vorstellung, wie viele Menschen hier gehofft,<br />

gelitten, gelebt <strong>und</strong> gebetet haben. So eine lange<br />

Reihe von Menschen, die dieses Gotteshaus getragen<br />

haben. Und das Haus sie. Man kann manchmal fast ein<br />

Echo aus diesen 1000 Jahren hören. So etwas nicht zu<br />

erhalten, wäre schon so etwas wie ein Sakrileg.<br />

Sind Sie glücklich hier?<br />

Ja, ich bin glücklich <strong>und</strong> stolz, hier zu arbeiten. Diese Kirche<br />

ist ein echter Schatz, der gar nicht so richtig wahrgenommen<br />

wird. Noch nicht. Aber wir arbeiten dran. Auch,<br />

um diesen Schatz zu erhalten. Vielleicht die nächsten<br />

1000 Jahre. Wer weiß ...<br />

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