Von Descartes zu Deckard – - Wolfgang Ruge
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<strong>Wolfgang</strong> <strong>Ruge</strong><br />
<strong>Von</strong> <strong>Descartes</strong> <strong>zu</strong> <strong>Deckard</strong> <strong>–</strong> Zur Identitätsfähigkeit künstlicher Intelligenzen im Science-Fiction-Film 14<br />
Gefühle und leiblichen Erfahrungen als Quelle der Täuschung sah und diese neutralisieren<br />
wollte, misst der Expressivismus diesen um ihrer selbst willen eine Bedeutung bei. „Wer<br />
die Bedeutung der Dinge nicht von innen her erfaßt hat und nur einen kalten, äußerlichen<br />
Begriff von der Vorbestimmtheit der Welt besitzt, hat den Sinn eigentlich gar nicht<br />
verstanden“ (Taylor 1996, 644). Das Verhältnis des Individuums <strong>zu</strong> sich ist fortan durch<br />
eine Unmittelbarkeit bestimmt, welche die in der Aufklärung postulierte desengagierte<br />
Haltung <strong>zu</strong>r Welt durch die „Erkenntnis der Naturordnung qua Innerlichkeit“ (Jörissen<br />
2000, 42) ersetzt. Diese Betonung der inneren Natur des Menschen,<br />
„impliziert das Gebot, dieser nach<strong>zu</strong>spüren: Ästhetik (oder Aisthesis) und Ethik verschmelzen <strong>zu</strong> einem<br />
revolutionären neuen Individuationsbegriff, nach dem jedes Individuum etwas Ureigenes ist, das der<br />
Originalität und Einzigartigkeit seiner inneren Natur gerecht <strong>zu</strong> werden verpflichtet ist“ (Jörissen 2000,<br />
42).<br />
Dabei ist die expressivistisch gedachte innere Natur etwas Verborgenes, das der<br />
Artikulation bedarf, um dem Bewusstsein <strong>zu</strong>gänglich <strong>zu</strong> werden (vgl. Jörissen 2000, 42).<br />
Hinter dieser Forderung, die Naturordnung qua Innerlichkeit <strong>zu</strong> erkennen, steht<br />
natürlich ein anderer Individualitätsbegriff als der der Aufklärung. Die „romantische<br />
Soziologie“ geht „von der unmittelbar wahrnehmbaren äußeren Erscheinung aus und<br />
würdigt das Individuelle in seiner Besonderheit und gleichen Wichtigkeit und rekonstruiert<br />
aus der engagierten Analyse des Einzelfalls seine spezifische Wirklichkeit“ (Abels 2006,<br />
152).<br />
Die Erkenntnis einer individuellen Wahrheit bzw. Wirklichkeit mag heut<strong>zu</strong>tage banal<br />
erscheinen. Das Entscheidende am Expressivismus ist jedoch nicht die Entdeckung<br />
individueller Unterschiede, sondern vielmehr die ihrer moralphilophischen Konsequenzen:<br />
„Der Begriff des Unterschieds zwischen den Individuen ist als solcher natürlich nichts Neues. Nichts ist<br />
einleuchtender oder banaler. Neu ist dagegen die Vorstellung, daß das wirklich einen Unterschied<br />
ausmacht im Hinblick darauf, wie wir leben sollten. Solche Unterschiede sind nicht bloß belanglose<br />
Variationen ein und derselben menschlichen Grundnatur bzw. moralische Verschiedenheiten zwischen<br />
guten und bösen Individuen, sondern sie ziehen die Konsequenz nach sich, daß jeder von uns seinen<br />
eigenen Weg hat, den er gehen soll“ (Taylor 1996, 653).<br />
Das expressivistische Individuum ist keine desengagierte Instanz mehr, die sich der<br />
leiblichen Erfahrungen entledigt, um eine objektive Wahrheit <strong>zu</strong> erkennen. Es ist ein<br />
qualitativ bestimmtes, einzigartiges Selbst, das in einer unmittelbaren Beziehung <strong>zu</strong> sich<br />
selbst steht und die Welt auch dementsprechend individuell erfährt.