SOCIETY 354 /2010
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KUNST UND KULTUR<br />
SALZBURG<br />
engagierte ihn Max Reinhardt trotz seines<br />
italienischen Akzents und wegen seines<br />
Sprachduktus: Moissi sang eher, als dass er<br />
sprach. Dies verstörte zwar die ersten Kritiker,<br />
entzückte aber das Publikum. Für den<br />
Dichter Stefan Zweig war seine Stimme<br />
Musik, Franz Werfel nannte ihn einen Zauberer<br />
und Franz Kafka schrieb: „Trotzdem<br />
so viele Melodien zu hören waren, die Stimme<br />
gelenkt schien wie ein leichtes Boot im<br />
Wasser, war die Melodie der Verse eigentlich<br />
nicht zu hören. Manche Worte wurden<br />
von der Stimme aufgelöst, sie waren so zart<br />
angefasst worden, dass sie aufsprangen<br />
und nichts mehr mit der menschlichen<br />
Stimme zu tun hatten…“ Moissi war der berühmteste<br />
und bestbezahlte Bühnenschauspieler<br />
seiner Zeit, war Frauenschwarm<br />
und Abenteurer und führte ein rastloses Leben.<br />
Dass Theatergene vererbbar sind, kann<br />
man an seinem Urenkel, dem Schauspieler<br />
Gedeon Burkhard sehen.<br />
***<br />
Das vorläufige Ende des „Jedermann“<br />
1932 fällt Moissi, dessen dekadent-morbider<br />
Jedermann Legende ist, einer antisemitischen<br />
Kampagne zum Opfer. Mit Erlaubnis<br />
des zuständigen Direktors des<br />
Salzburger St. Johannesspitals hatte er,<br />
zwecks der Recherche für sein Buch, einer<br />
Entbindung beigewohnt, was zum Skandal<br />
hochgespielt wurde. Reinhardt holt als<br />
nächsten Jedermann den „Reichsdeutschen“<br />
Paul Hartmann vom Wiener Burgtheater.<br />
Auch im Film ist Hartmann eine<br />
Größe, unter anderen spielt er neben Hans<br />
Albers in „F.P.1 antwortet nicht“. Sein Jedermann<br />
ist jungenhaft heiter, sich keiner<br />
Schuld bewusst, aber dem Schicksal sich<br />
ergebend. Als Hartmann 1934 nach Berlin<br />
zurück an das Preußische Staatstheater<br />
beordert wird, folgt ihm der Österreicher<br />
Attila Hörbiger, den Reinhardt als seinen<br />
„wahren Jedermann“ – volksnah und<br />
schlicht – feiert. Bis heute ist unklar, ob<br />
Reinhardt wusste, dass Hörbiger illegaler<br />
Nationalsozialist war.<br />
Nach dem Anschluss Österreichs an<br />
Deutschland sollen laut dem deutschen<br />
Reichsminister für Volksaufklärung und<br />
Propaganda und Präsidenten der Reichskulturkammer<br />
Joseph Goebbels, die Festspiele<br />
„ihrer jüdisch-kosmopolitischen<br />
Fratze“ entkleidet werden. Zwar kann man<br />
in dem katholischen Mysterienspiel „Jedermann“<br />
kaum etwas „typisch jüdisches“<br />
finden, dennoch bleibt der Domplatz von<br />
1938 bis 1945 unbespielt und dient den Nazis<br />
lediglich zur Vereidigung der NS-Funktionäre.<br />
***<br />
Berühmte „Jedermänner“<br />
Nur wenige Monate nach Kriegsende beginnen<br />
in Salzburg wieder die Sommeraktivitäten.<br />
1946 spielt der Wiener Burgschauspieler<br />
und gebürtige Deutsche<br />
Ewald Balser den Jedermann, vital und<br />
voll Lebenslust. Das Jahr darauf kehrt Attila<br />
Hörbiger zurück. Ihm folgt Will Quadflieg,<br />
einer von wenigen Künstlern, die<br />
sich nach dem Krieg mit dem Nationalsozialismus<br />
selbstkritisch auseinandersetzen<br />
und um Aufklärung bemüht sind.<br />
Heute noch schwärmen manche Salzburger<br />
von Quadfliegs wohlmodulierter und<br />
ausdrucksvoller Sprechweise. Sein moderner<br />
und sehr persönlicher Jedermann ist<br />
ein Entfesselnder voll Sinneslust, später<br />
ein von Angst Getriebener.<br />
Der durch die Filmtrilogie „Sissi“ in<br />
der Rolle als ungarischer Graf Andrassy<br />
oder als „Der Arzt von Stalingrad“ einer<br />
breiten Masse bekannte Schauspieler Walter<br />
Reyer, ein geborener Tiroler, der bereits<br />
1956 als „Guter Gesell“ bei den Salzburger<br />
Festspielen zu sehen war, ist von 1960 bis<br />
1968 der unbekümmerte Genießer Jedermann,<br />
der es auf vier Buhlschaften bringt,<br />
gefolgt von Ernst Schröder, der ab 1969 das<br />
Salzburger Publikum als emotionslosen,<br />
klaren und harten Jedermann beindruckt.<br />
Er galt als einer der größten Charakterköpfe<br />
des deutschen Theaters und liebte vor allem<br />
kraftvolle Rollen, die er durch Statur<br />
und Stimme völlig ausfüllte.<br />
***<br />
Authentisch: Curd Jürgens<br />
Unvergessen sind der Auftritt und die<br />
markante Stimme des Münchners und<br />
Wahlösterreichers Curd Jürgens, der wegen<br />
seiner Kühle und Statur von der französischen<br />
Filmschauspielerin Brigitte Bardot<br />
den Beinamen „der normannische<br />
Schrank“ erhielt. Er verkörpert die Rolle<br />
des Jedermann auf der Bühne wie auch im<br />
Leben geradezu authentisch. Jürgens hatte<br />
zahlreiche Geliebte, war fünfmal verheiratet,<br />
unterhielt mehrere luxuriöse Wohnsitze,<br />
unter anderen in Wien, im südfranzösischen<br />
Saint-Paul de Vence, im<br />
schweizerischen Gstaad und auf den Bahamas,<br />
war Gastgeber und Gast unzähliger<br />
Partys, erregte mit seinen Rolls-Royce-Limousinen<br />
Aufsehen und blieb seinem aufwändigen<br />
Lebensstil trotz zahlreicher Herzoperationen<br />
bis zuletzt treu. 27 Jahre<br />
nach seinem Tod, 2005, wurde er von der<br />
Bild-Zeitung auf Platz 2 der Liste der „Männer<br />
mit dem meisten Sexappeal“ gereiht.<br />
Bis heute verkaufen sich sein Buch „Sechzig<br />
Jahre und kein bisschen weise“ sowie<br />
das gleichlautende Chanson bestens.<br />
***<br />
Grübler, Leichtsinniger, Neurotiker<br />
Sein Erbe tritt 1978 Maximilian Schell<br />
an, Sohn des Schweizer Schriftstellers Hermann<br />
Ferdinand Schell und der Wiener<br />
Schauspielerin Noé von Nordberg sowie<br />
jüngerer Bruder des Filmstars Maria Schell.<br />
Auch Maximilian Schell hatte bereits Filmgeschichte<br />
geschrieben und galt als einer<br />
der bekanntesten und erfolgreichsten<br />
Schauspieler weltweit. In Hollywood spielte<br />
er neben Marlon Brando im Film „The<br />
Young Lions“, für seine Rolle des Nazi-Ver-<br />
1983 Klaus Maria Brandauer 1990 Helmut Lohner<br />
1995 Gerd Voss<br />
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