SOCIETY 354 /2010
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WISSENSCHAFT<br />
KOLUMNE<br />
Kolumne von HERBERT PIETSCHMANN<br />
Wer war Gustav Weißkopf?<br />
Alle Welt kennt die Brüder Orville und Wilbur Wright als die ersten Menschen, die es<br />
geschafft haben, sich mit einem motorisierten Flugzeug in die Lüfte zu heben. Doch<br />
dieser Anspruch ist nicht ganz unzweifelhaft…<br />
Die Brüder Orville und Wilbur<br />
Wright hatten 1903<br />
in Kitty Hawk, North Carolina,<br />
USA, das lange ersehnte<br />
Ziel erreicht: Am 17. Dezember<br />
gelang Orville ein Flug<br />
von 37 Metern Länge und bis<br />
zu drei Metern Höhe mit einer<br />
Maschine „schwerer als Luft“;<br />
noch am selben Tag verlängerten<br />
sie ihre Flugdistanz auf<br />
über sechzig Meter.<br />
***<br />
Flugpionier aus Bayern<br />
Im Oktober 2006 kam ich<br />
im bayrischen Altmühltal in<br />
ein kleines Städtchen namens<br />
Leutershausen. Zu meiner<br />
Überraschung zierte die Einfahrt<br />
in das Städtchen ein großes<br />
Denkmal, das dem „Flugpionier<br />
Gustav Weißkopf“<br />
gewidmet war. Da ich niemals von einem Flugpionier Gustav<br />
Weißkopf gehört hatte, begann ich mich dafür zu interessieren<br />
und entdeckte im Zentrum des Städtchens ein Museum.<br />
Dort erfuhr ich, dass Weißkopf schon im Jahre 1901 – also<br />
deutlich vor den Gebrüdern Wright – geflogen war. Das im Museum<br />
ausgestellte Modell – der Nachbau des Fluggerätes von<br />
Weißkopf mit der Nr. 21 – machte einen soliden Eindruck,<br />
mehr konnte ich freilich beim bloßen Betrachten nicht feststellen.<br />
Gustav Weißkopf ist nach seiner Schlosserlehre 1895 im Alter<br />
von 21 Jahren in die USA ausgewandert. Als Gustave Whitehead<br />
kam er über Boston, New York und Pittsburgh schließlich<br />
1900 nach Bridgeport im Staate Connecticut. Dort baute<br />
er sein Fluggerät mit der Nummer 21, dort soll auch sein Erstflug<br />
stattgefunden haben, am 14. August 1901. Immerhin<br />
brachte die Zeitung „Bridgeport Sunday Herald“ am 18. August<br />
1901 einen ganzseitigen Artikel über den Erstflug.<br />
***<br />
Täuschung oder Wahrheit?<br />
Sollte es möglich sein, dass die ganze Welt getäuscht wird<br />
über den ersten gelungenen Motorflug? Aber die Geräte im Museum<br />
zu Leutershausen und die dort aufliegenden Dokumente<br />
konnten wohl nicht allesamt Scherz oder gar Täuschung<br />
sein!<br />
Herbert Pietschmann und Andrew Kosch in Bridgeport<br />
Also beschloss ich, die Stadt Bridgeport zu besuchen und<br />
dort ein wenig nachzuforschen. Der kleine Flughafen trägt den<br />
stolzen Namen „Sikorsky Memorial Airport“, also könnte dort<br />
vielleicht auch Gustave Whitehead<br />
bekannt sein. In einem<br />
Nebengebäude war eine Flugschule<br />
untergebracht. Als ich<br />
eintrat, kam mir ein Fluglehrer<br />
entgegen und fragte mich nach<br />
meinem Begehr. Ich erklärte<br />
ihm, dass mich ein gewisser<br />
Gustave Whitehead interessiere,<br />
der vor den Brüdern Wright<br />
geflogen sei. Er hörte sich alles<br />
wortlos an und sagte einfach:<br />
„Correct!“. Dann nahm er einen<br />
Zettel, schrieb darauf „Andrew<br />
Kosch“ mit einer Adresse<br />
und sagte: „Dieser Mann weiß<br />
alles über ihn.“<br />
***<br />
Der „Deal“ der Wright-Brüder<br />
Ich fuhr also zu der angegebenen<br />
Adresse und traf dort Andrew<br />
Kosch. Als er hörte, was ich<br />
suchte, war er sofort hellauf begeistert. Er war es nämlich, der am<br />
7. Dezember 1986 den Nachbau der „Nr.21“ geflogen und sein Leben<br />
ganz dem Ziel gewidmet hatte, Gustave Whitehead die gebührende<br />
Ehre in der Geschichte des Fliegens zu verschaffen. So<br />
erfuhr ich auch den vermeintlichen Grund, warum die Wright-<br />
Brüder den gesamten Ruhm als Erstflieger zugesprochen bekommen.<br />
Demnach waren die Brüder Wright zwischen 1900 und 1903<br />
mehrmals in Bridgeport bei Gustave Whitehead, haben aber später<br />
diese Kontakte geleugnet. Nach dem Tod von Wilbur Wright<br />
im Jahre 1912 bemühte sich Orville um die öffentliche Anerkennung,<br />
für die in erster Linie das berühmte Smithsonian Institut<br />
in Washington zuständig war. Dieses lehnte aber Ende der<br />
Zwanzigerjahre die gewünschte Anerkennung ab, sodass der so<br />
genannte „Flyer I“, das Erstgerät der Brüder Wright, an das Museum<br />
of Science in London verliehen wurde. Offenbar um dieses<br />
wertvolle Ausstellungsstück zu erhalten, wurde im Jahre 1942 die<br />
Anerkennung seitens des Smithsonian Instituts erteilt und der<br />
„Flyer I“ für den symbolischen Preis von einem Dollar nach Washington<br />
gebracht. Aber das Smithsonian Institut musste einen<br />
Vertrag unterzeichnen, in dem es sich verpflichtete, niemals zuzulassen,<br />
dass ein anderes Gerät vor 1903 als flugtauglich bezeichnet<br />
würde. Andernfalls müsste der „Flyer I“ wieder an die<br />
Wright-Erben zurückfallen. Daher ist nach Meinung von Andy<br />
Kosch und seinen Begleitern einfach zu viel Geld im Spiel, um eine<br />
offizielle Anerkennung zu erreichen; für sie ist aber eindeutig<br />
bewiesen, dass Gustave Whitehead der erste erfolgreiche Motorflieger<br />
war.<br />
16 | <strong>SOCIETY</strong> 2_10<br />
Herbert Pietschmann ist Emeritus der Fakultät für<br />
Physik der Universität Wien und Buch-Autor.