SOCIETY 354 /2010
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LATEINAMERIKA<br />
KOMMENTAR<br />
Europa und Lateinamerika rücken näher zusammen – Der EULAC-Prozess<br />
Eine Geschichte voller Höhen<br />
und Tiefen<br />
Vor vier Jahren herrschte in Wien geradezu eine Lateinamerika-Euphorie. Auch die Ziele der<br />
Staats- und Regierungschefs, die sich im Mai 2006 zum vierten EULAC-Gipfeltreffen der Staaten<br />
der Europäischen Union mit den Staaten Lateinamerikas und der Karibik an der Donau<br />
zusammenfanden, waren ambitioniert. Doch ohne Visionen geht es nicht. Nach den ziemlich<br />
unverbindlichen Erklärungen von Lima 2008 wurden jüngst in Madrid beim 6. EULAC-Gipfel<br />
immerhin etliche konkrete Vereinbarungen unterzeichnet. Von HERMINE SCHREIBERHUBER<br />
Die gemeinsame Geschichte Europas<br />
und Lateinamerikas ist eine Geschichte<br />
voller Höhen und Tiefen. Gerade<br />
jetzt, wo einige dieser Staaten den Beginn<br />
ihres Unabhängigkeitskampfes vor 200 Jahren<br />
gegen die damaligen europäischen<br />
Mächte feiern, rufen uns Historiker und<br />
Medien in Erinnerung, wie alles begann. Es<br />
mag kein Zufall sein, dass derzeit Spanien<br />
die Präsidentschaft in der EU innehat.<br />
Denn damals ging es in Hispano-Amerika<br />
um die Unabhängigkeit der Kolonien von<br />
der spanischen Krone.<br />
Heute ist es Spanien, das sich im EU-Vorsitz<br />
die Annäherung der beiden Regionen,<br />
die geografisch weit voneinander entfernt<br />
sind und ihr wirtschaftliches Potenzial<br />
längst nicht ausgeschöpft haben, auf die<br />
Fahnen geschrieben hat. Diese Bemühungen<br />
fallen in eine Zeit, in der die Staaten Lateinamerikas,<br />
allen voran jene, die von Regierungen<br />
des linken Spektrums geführt<br />
werden, große Anstrengungen unternehmen,<br />
sich aus der politischen und ökonomischen<br />
Umklammerung durch die benachbarten<br />
Vereinigten Staaten zu befreien.<br />
Doch werfen wir anlässlich des Jubiläums,<br />
des „bicentenario“, noch einen<br />
Blick zurück. Die Emanzipation von der<br />
Kolonialmacht Spanien erfolgte im Lichte<br />
der europäischen Aufklärung, der Begehrlichkeiten<br />
Napoleons und der Französischen<br />
Revolution. Ein Gemisch aus Ablehnung<br />
der französischen Machthaber in<br />
Spanien sowie regionalen Unruhen in den<br />
Kolonien mündete in Unabhängigkeitskämpfe<br />
vom Mutterland. Unterstützt von<br />
Großbritannien und den USA, die ihrerseits<br />
politischen Einfluss und Handelsvorteile<br />
im Auge hatten. Diese Zeit der Partikulärinteressen<br />
liegt hinter uns.<br />
In der globalen Welt von heute sind Lateinamerika<br />
und Europa gleichermaßen<br />
an engerer Verflechtung interessiert. Argentinien<br />
und Brasilien sind als Mitglieder<br />
der G-20-Gruppe zu wichtigen Marktakteuren<br />
aufgestiegen. Dem trug auch<br />
Außenminister Michael Spindelegger mit<br />
seinen jüngsten Visiten in Rio und Buenos<br />
Aires Rechnung, als er an den argentinischen<br />
Unabhängigkeitsfeiern teilnahm.<br />
Der „bicentenario“ wird heuer groß gefeiert,<br />
doch mit unterschiedlichen Akzenten.<br />
Venezuela eröffnete im April den Jubiläumsreigen.<br />
Im Beisein seiner Freunde<br />
aus Bolivien und Kuba monierte Staatschef<br />
Hugo Chavez die Vollendung der Bolivarischen,<br />
d.h. sozialistischen Revolution. Argentiniens<br />
Präsidentin Cristina Fernandez<br />
de Kirchner hatte im Mai das Gros ihrer<br />
Amtskollegen zu Gast. Sie appellierte an<br />
die Südamerikaner, mehr für die Integration<br />
zu tun. Weitere Feiern folgen, so in<br />
Chile, Kolumbien, Mexiko.<br />
Ende Mai tagte auch die Allianz der Zivilisationen<br />
in Brasilien, die 2004 von den<br />
Ministerpräsidenten Spaniens und der Türkei<br />
ins Leben gerufen worden war. Spaniens<br />
Premier im EU-Vorsitz und der Regierungschef<br />
des EU-„Prätendenten“ Türkei<br />
versammelten fast zeitgleich mit den 200-<br />
Jahr-Feiern in Argentinien den UNO-Generalsekretär<br />
und Spitzenpolitiker aus beiden<br />
Kontinenten am Runden Tisch, um<br />
über eine friedliche Koexistenz zwischen<br />
der westlichen und der muslimischen Welt<br />
zu diskutieren.<br />
Noch aber lässt selbst die Integration<br />
der lateinamerikanischen Nachbarn viel<br />
zu wünschen übrig. Oft mangelt es an<br />
wirtschaftlichen Kompromissen, oder<br />
Grenzdispute behindern den Dialog. Dies<br />
schließt politische Solidarisierung aber<br />
keineswegs aus. Das jüngste Beispiel lieferte<br />
Honduras, als es um die Teilnahme des<br />
auf demokratiepolitisch umstrittene Weise<br />
an die Macht gekommenen Präsidenten<br />
am Madrider EULAC-Gipfel ging. Die Solidarität<br />
der Mittelamerikaner, mit Costa Rica<br />
als Wortführer, setzte Gastgeber Spanien<br />
gehörig unter Druck.<br />
***<br />
Neuausrichtung gegenüber den USA<br />
Im Vorfeld des EULAC-Gipfels erfolgte eine<br />
Kurskorrektur der lateinamerikanischen<br />
Staatengemeinschaft gegenüber den<br />
USA, die zwar keinen direkten Zusammenhang<br />
mit der Annäherung an die EU hat,<br />
aber der transatlantischen Achse Lateinamerika-EU<br />
auch nicht schaden wird. Bei<br />
einem Treffen in Cancun einigten sich die<br />
Staaten Lateinamerikas und der Karibik<br />
auf die Schaffung eines neuen Bündnisses,<br />
das künftig die Rio-Gruppe und den karibischen<br />
Staatenbund Caricom ersetzen soll.<br />
Ein Gegengewicht zur OAS, denn die USA<br />
und Kanada sollen nicht mit dabei sein.<br />
Der künftige Zusammenschluss hat bisher<br />
weder Namen noch Struktur. All dies<br />
soll 2011/12 festgelegt werden. Leicht wird<br />
die Umsetzung des von Mexiko und Brasilien<br />
protegierten Vorhabens nicht werden.<br />
So sind in der Rio-Gruppe Differenzen zwischen<br />
Kolumbien und Venezuela an der Tagesordnung.<br />
Andererseits sitzt seit Dezember<br />
2008 Kuba wieder im Boot: Die auf<br />
Betreiben der USA 1962 aus der OAS ausgeschlossene<br />
Karibik-Insel wurde in die Rio-<br />
Gruppe zurückgeholt. Auch die EU hat ihre<br />
2003 auf Eis gelegten Beziehungen zu<br />
Kuba wieder normalisiert.<br />
***<br />
Eine Politik der kleinen Schritte<br />
Und wie ist es um das Verhältnis zwischen<br />
Europa und Lateinamerika heute<br />
bestellt? Dass es nicht leicht ist, die große<br />
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