„GENAU SO WILL ICH ARBEITEN“ Nach zwei mageren Jahren bei Katusha-Alpecin fährt Tony Martin ab 2019 für die niederländische Equipe Jumbo-Visma – und will sich dort auf alte Stärken besinnen, um große Ziele zu erreichen. Wir sprachen den mehrfachen Zeitfahrweltmeister kurz vor dem Jahreswechsel, als er mit seinem neuen Team im spanischen Girona trainierte. Interview Chris Hauke Tony, lass uns zu Beginn kurz auf 2018 zurückschauen. Wie würdest du das Jahr für dich beschreiben? Gab es spezielle Wende- oder Knackpunkte? Tony Martin: Ich bin mit sehr viel Motivation gestartet und hatte gehofft, dass die Fehler aus 2017 erkannt und entsprechend ausgebessert wurden und dass 2018 besser laufen würde. Aber der Stein ist nicht wirklich ins Rollen gekommen. Es gab ein paar Baustellen – meinerseits und auch seitens des Teams –, die wir einfach nicht beheben konnten. Das Paket hat am Ende einfach nicht mehr gestimmt. Irgendwo war der Wurm drin – ohne jetzt explizit sagen zu können, warum. Der einzige wirkliche Lichtblick war der zweite Platz beim langen Giro-Zeitfahren, wo ich nach längerer Zeit mal wieder in die Weltspitze reinfahren konnte. Aber der Rest ist ausgeblieben. Ich denke, dass ich bei der Tour richtig gut in Form war und sicherlich hinten raus ein bisschen was hätte zeigen können, aber dort kam dann der Sturz dazwischen [Tony musste das Rennen nach der 8. Etappe aufgrund einer Wirbelkörperkompressionsfraktur aufgeben und fiel danach lange aus], dementsprechend war die Saison nach hinten raus ein bisschen zäh. Aber das soll keine Ausrede sein. Ich habe mir vorher auf jeden Fall wesentlich mehr erwartet. Das ist richtig. Das Schöne dabei war, dass Robert auf mich zugekommen ist. Und nicht andersrum. Das Team hatte ihm mitgeteilt, dass es dich gerne verpflichten würde. Robert ist ein ganz feiner Kerl, wir kennen uns schon seit Jahren und sind bereits in der U23 zusammen gefahren. Er hat gehört, dass das Team an mir Interesse hat, und mich absolut uneigennützig kontaktiert, als ich nach dem Tour-Sturz in der Reha war. Ohne im Namen des Teams zu sprechen oder mich zu irgendwas zu drängen, hat er mir zu Jumbo geraten, da er mich als Fahrertyp kennt und weiß, was ich will – und natürlich auch, wie das Team arbeitet und was es mir bieten kann. Wir haben ein sehr langes Gespräch gehabt, für das ich ihm sehr dankbar bin. Das war wirklich das Zünglein an der Waage. Stand Lotto zu diesem Zeitpunkt auf deiner Liste möglicher Arbeitgeber? Ich sage es mal so: Ich war immer ein heimlicher Bewunderer ihrer Performance. Es ist ja bekannt, dass sie nicht das Team mit dem größten Bud- get waren oder sind, aber sie haben einfach das Beste aus den Möglichkeiten gemacht. Und eigentlich sogar noch mehr. Ja, sie standen auf meiner Liste – ohne dass der Kontakt direkt von mir ausging. Was hat dich abgehalten? Ich dachte, die Mannschaft ist so gut aufgestellt, dass vielleicht gar kein Interesse besteht und ich nicht unbedingt das fehlende Glied bin. Doch das Team hat mir genau das mitgeteilt – vor allen Dingen in Richtung Mannschaftszeitfahren, wo die Klassementfahrer immer wieder Zeit liegen lassen, die sie dann auch teilweise in den Bergen nicht mehr einholen können, etwa bei der Tour 2018 [Lotto verlor auf der 3. Etappe eine Minute und elf Sekunden auf Sky, Primož Roglic fehlte am Ende knapp eine Minute auf Chris Froome und damit zum Podium]. Ich habe mich natürlich sehr gefreut, dass das Team nach einem nicht gerade optimalen Jahr Interesse an mir zeigt, und war da sehr schnell auch Feuer und Flamme. Wir sind uns auch ziemlich schnell einig geworden. Wann war denn klar, dass du nicht bei Katusha bleiben wirst? Schon vor der Tour? [Pause] Nein. Ich wollte die Tour auf jeden Fall noch abwarten und schauen, wo die Entwicklung 2019 gehst du für Jumbo-Visma, das ehemalige Team LottoNL–Jumbo, an den Start. Ausgangspunkt war ein Gespräch mit Robert Wagner, der sechs Jahre dort gefahren ist. „ICH HABE MICH SEHR GEFREUT, DASS DAS TEAM NACH EINEM NICHT GERADE OPTIMALEN JAHR INTERESSE AN MIR ZEIGTE, UND WAR SEHR SCHNELL FEUER UND FLAMME.“ 20 PROCYCLING | FEBRUAR 2019
© Roth-Foto FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 21