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Procycling 02.19

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MARK CAVENDISH<br />

ßen- und Bahnradsport sind. Zweieinhalb Wochen<br />

vor Olympia fuhr ich den Mont Ventoux<br />

hoch. Ich habe Glück – ich kann mich umstellen,<br />

aber es verlangt dem Körper viel ab.<br />

Ich habe doppelte Sessions auf der Bahn gemacht<br />

– die anderen Jungs haben sich zwischen<br />

den Sessions erholt, aber ich bin zwischendurch<br />

drei Stunden draußen locker Rad gefahren, dann<br />

war ich wieder drin und wir sind sofort in die hohen<br />

Intensitäten gegangen.<br />

Als ich es bekam, sagte meine Frau zu mir:<br />

‚Wenn jemand dir gesagt hätte, dass du schaffen<br />

würdest, was du 2016 geschafft hast, aber krank<br />

werden und eine ganze Saison verlieren würdest,<br />

hättest du es dann gemacht?‘ Und ich sagte:<br />

Weißt du was? Wahrscheinlich schon.“<br />

Cavendish hält inne und fügt dann hinzu:<br />

„Aber zwei Jahre verlieren und vielleicht mein<br />

Vermächtnis? Wahrscheinlich nicht.“<br />

Mein Eindruck, als ich mir die Tour 2018<br />

anschaute, war, dass sich bei Cavendish<br />

etwas geändert hatte. Nicht nur das<br />

Sprinten, obwohl klar war, dass er nicht annähernd<br />

das Niveau von Fernando Gaviria, Dylan<br />

Groenewegen und den anderen Sprintern hatte.<br />

In seinen täglichen Interviews mit ITV war er<br />

meistens komplett gleichgültig angesichts der<br />

Niederlage. Er war mehr als gedämpft – es sah<br />

aus, als sei das Feuer erloschen.<br />

Cavendish war von 2008 bis 2012 der beste<br />

Sprinter der Welt und erneut 2016. Es ist sehr<br />

plausibel zu argumentieren, dass er der beste<br />

Sprinter aller Zeiten ist. Er war aus einer Reihe<br />

von Gründen besser als die anderen – sein Tempo<br />

und die Fähigkeit, es zu halten, die einmalige Aerodynamik<br />

und die Teamleistung waren Weltspitze<br />

oder nicht weit davon entfernt. Doch seine wichtigsten<br />

Waffen waren seine Hingabe und sein<br />

Wettbewerbstrieb. Das zeichnete ihn in der Vergangenheit<br />

wirklich aus. Ohne sie, dachte ich,<br />

bekommt man den Cavendish der Tour 2018 –<br />

vorne mit dabei, aber unfähig, der allerletzten<br />

Schlussbeschleunigung der jüngeren, frischeren<br />

Beine etwas entgegenzusetzen.<br />

„Nein“, meint Cavendish, als ich ihm das sage.<br />

„Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Es war<br />

nicht so, dass ich einen Fehler gemacht hätte. Ich<br />

war bei dem Interview nach einer der Etappen ein<br />

bisschen stinkig, nach Groenewegens erstem<br />

Sieg, wo mir das Pedal von Kristoff in die Quere<br />

gekommen ist und ich es verbockt habe. Aber da<br />

konnte ich nichts machen.“<br />

Ich erwähne auch, dass der Cavendish von 2008<br />

oder 2009 nach solchen Niederlagen Feuer gespien<br />

und Helme geworfen hätte, doch auch das sieht er<br />

anders. „Das ist, weil ich damals – außer wenn ich<br />

einen Fehler gemacht habe – nie verloren habe. Damals<br />

habe ich nur verloren, wenn ich einen Fehler<br />

gemacht habe. Nie, weil ich nicht gut genug war.“<br />

Cavendish kann ein sehr plausibles Argument<br />

vorbringen. Seine Siegesquote bei der Tour von<br />

2013 bis 2018 ist nicht ganz das, was sie von<br />

2008 bis 2012 war, aber dafür gibt es gute Gründe.<br />

Er holte in der ersten Hälfte seiner Karriere<br />

im Schnitt über vier im Jahr, und als er das Team<br />

Sky Ende 2012 mit 27 Jahren verließ, hatte er<br />

23 Etappensiege zu Buche stehen. Zu dem Zeitpunkt<br />

schienen 34 eine reine Formalität zu sein.<br />

Aber dann wurde es schwerer. 2013 kam er nur<br />

auf zwei Etappensiege, nachdem er auf einen<br />

Marcel Kittel in Bestform getroffen war, und im<br />

folgenden Jahr war Kittel ebenso dominant, doch<br />

Cavendish hatte keine Chance, ihn herauszufordern,<br />

weil er auf der 1. Etappe in Harrogate nach<br />

einem Sturz ausschied. 2015 war enttäuschend<br />

– er gewann eine Etappe, während Greipel vier abräumte.<br />

Im folgenden Jahr nahm er die Tour das<br />

letzte Mal gesund in Angriff und gewann viermal.<br />

Null bei den letzten beiden Rennen ist eine besorg-­<br />

nis erregende Zahl, doch Cavendish glaubt, dass<br />

noch etwas drin ist. Und wenn er noch eine Etappe<br />

gewinnen kann, kann er auch zwei gewinnen …<br />

„Das ist alles, was mir bleibt“, sagt er. „Ich hatte<br />

andere Ziele, aber die Rennen haben sich geändert.<br />

Gent–Wevelgem ist nicht mehr das Rennen,<br />

das Cipollini gewann. Es ist nicht mal ein bisschen<br />

anders – es ist ein anderes Rennen.<br />

Ich habe keine Anzahl von Tour-Etappen, die<br />

ich gewinnen will. Wenn ich nur gut genug bin,<br />

um noch eine weitere zu gewinnen, ist es halt so.<br />

Wenn ich in den nächsten fünf Jahren fünf im<br />

Jahr gewinnen kann, versuche ich das. Ich werde<br />

sehen, was passiert, aber ohne Frage ist meine<br />

ganze Saison auf die Tour ausgerichtet.“<br />

Cavendishs Rivalen bei seinem Streben nach<br />

weiteren Tour-Etappensiegen sind offensichtlich.<br />

Viviani war der erfolgreichste<br />

Sprinter 2018, obwohl Cavendish betont, dass er<br />

den Italiener auf einer Etappe der Dubai Tour zu<br />

Beginn des Jahres schlug. Dann kommen Gaviria<br />

und Groenewegen, die Besten der Tour 2018; auch<br />

ein gut aufgelegter Kittel ist eine Gefahr (obwohl<br />

er seit über einem Jahr nicht gut aufgelegt war).<br />

Das ist eine starke Besetzung, und die Aufgabe<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 37

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