Procycling 02.19
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RETRO<br />
1992<br />
DIE LOTUS-POSITION<br />
Boardmans Form war hervorragend und er hatte<br />
den mentalen Vorteil, das neue Rad zu fahren.<br />
Lotus’ Behauptung, es spare zwölf Sekunden, war<br />
eine Marketing-Übertreibung, und einige Experten<br />
vermuteten, dass Boardmans neue geduckte<br />
Haltung, nicht das Rad selbst, das meiste brachte.<br />
Aber die Kombination war furchteinflößend.<br />
Bei einer Trainingssession im Velòdrom d’Horta<br />
fuhr Boardman drei Kilometer in 3:18 Minuten.<br />
Sollte er diese Geschwindigkeit einen weiteren<br />
Kilometer lang halten, wäre er im niedrigen<br />
4:20er-Bereich, vergleichbar mit Lehmann bei der<br />
Weltmeisterschaft im Vorjahr, aber auf einer Outdoor-Bahn<br />
gegenüber Lehmanns Indoor-Zeit.<br />
Es gab vier Rennen: Qualifikation, Viertelfinale,<br />
Halbfinale und Finale. Boardman gewann in der<br />
Qualifikation. Mit 4:27 war er langsamer, als er<br />
und Keen gehofft hatten, aber das waren bei der<br />
großen Hitze auch alle anderen. Er war drei Sekunden<br />
schneller als der nächste Fahrer, ein riesiger<br />
Vorsprung auf einer so kurzen Distanz. Im<br />
Viertelfinale holte Boardman den dänischen Fahrer<br />
Jan Bo Petersen ein und legte eine Zeit von<br />
4:24 hin, richtete sich in der letzten Runde aber<br />
auch sichtbar auf, um seinen Rivalen zu zeigen,<br />
dass er schneller fahren konnte.<br />
Die britische Presse hatte Wind von den Leistungen<br />
bekommen und spürte, dass sich die Geschichte<br />
der Spiele entfaltete. Boardman für seinen<br />
Teil bekam Panikattacken, und er schrieb<br />
seine Leistung später dem BCF-Psychologen John<br />
Syer zu. Abseits der Bahn fühlte sich Boardman<br />
nervös, doch im Rennen war er meisterhaft, fuhr<br />
im Halbfinale gegen den Mann statt gegen die<br />
Uhr, um frisch ins Finale zu gehen. Keen und<br />
Boardman hatten sich für das Finale 4:26 vorgenommen,<br />
um gegen Ende noch zulegen zu können,<br />
sollte Lehmann auch nur annähernd herankommen.<br />
Als die Uhr zum Start heruntertickte,<br />
war Boardman bereit.<br />
Es war nach einer Runde vorbei – Keen sagte<br />
später, dass er nach einer Runde im Velodrom<br />
wusste, dass Boardman gewinnen würde. Er war<br />
nach einem Viertel der Distanz eine Sekunde<br />
schneller und lag nach 2.000 Metern drei Sekunden<br />
vorne. Als die volle Distanz fast zurückgelegt<br />
war, näherte sich Boardman dem Deutschen und<br />
holte ihn dann ein. Die deutschen Zeitungen titelten<br />
am nächsten Tag: „Ihr F1 hat unseren Trabant<br />
geschlagen.“<br />
Die Geschichte, der Lotus überhaupt nicht widersprach,<br />
war, dass das Rad die Goldmedaille<br />
gewonnen hatte, dabei war es natürlich nicht ganz<br />
so einfach. Das Rad hatte einen klaren aerodyna-<br />
Boardman freut sich mit Gattin Sally-Anne<br />
über die soeben gewonnene Goldmedaille.<br />
mischen Vorteil, aber Lehmann<br />
fuhr ein FES-Rad aus<br />
Carbon, daher war der relative<br />
Vorteil nicht überragend.<br />
Shaun Wallace, als Radsportler<br />
ein Zeitgenosse von<br />
Boardman, der bei der Weltmeisterschaft<br />
1991 in der<br />
Verfolgung auf seinem normalen<br />
Rennrad Silber holte,<br />
fuhr bei den Titelkämpfen<br />
1992 auf dem Lotus. Das<br />
Ergebnis: noch eine Silbermedaille.<br />
Vielleicht machte<br />
das Rad gar nicht so viel<br />
aus. Das Lotus war auch<br />
schwer, und interessanterweise<br />
bildeten die Laufräder<br />
keine Linie – sie waren versetzt,<br />
weil die Bauweise es<br />
so erforderte.<br />
Man könnte argumentieren,<br />
dass eine direkte Linie<br />
von Boardmans Goldmedaille<br />
zu dem Erfolg führt,<br />
den der britische Radsport<br />
in den 2000ern genossen hat. Keens Meinung<br />
war, dass die Methode, mit der er bei Boardman<br />
arbeitete, auf jeden anwendbar sei, und das bewies<br />
er, indem er Yvonne MacGregor bei der Weltmeisterschaft<br />
2000 zu einer Goldmedaille in der<br />
Verfolgung führte. Als das Lotterie-Geld in den<br />
späten 1990ern in den Radsport floss, gründete<br />
er das World Class Performance Programme, das<br />
die Leistungen auf der Bahn bei Olympia von<br />
SIEGE<br />
Etappensiege<br />
Klassementsiege / Eintagesrennen<br />
JAHR<br />
Rad, Sitzposition und Zubehör<br />
machten Boardman 1992 schneller.<br />
SIEGE AUF DER STRASSE PRO JAHR<br />
In den Jahren nach den Olympischen Spielen war Chris Boardman auch auf der Straße erfolgreich.<br />
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2000 an stetig verbesserte. Dave Brailsford löste<br />
ihn 2003 als Performance Director ab, und es<br />
folgten Olympiasiege, das Team Sky und sechs<br />
Tour-de-France-Titel. Die Geschichte, die 1992<br />
endete, war der Beginn einer anderen.<br />
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1 1 1 1<br />
1989 1991 1993 1995<br />
1997<br />
1999<br />
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4<br />
5<br />
3<br />
© Hennes Roth (D) PhotoSport<br />
FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 87