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Procycling 02.19

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TONY MARTIN<br />

Kraft bin, vor allem was das Mannschaftszeitfahren<br />

angeht.<br />

Welche deiner Fähigkeiten ist dabei<br />

die wichtigste?<br />

Ich war dreimal Weltmeister in dieser Disziplin,<br />

habe also sehr viel Erfahrung. Dazu merke ich,<br />

dass der Punch immer noch da ist. Aber man<br />

kann so stark sein, wie man will – wenn man<br />

niemanden hat, der die Zügel in die Hand nimmt<br />

und der ganzen Sache einen gewissen roten Faden<br />

gibt, dann nimmt man das Team eher auseinander,<br />

als dass man eine schnelle Zeit abliefert. Das<br />

Team ist in dieser Hinsicht extrem von mir überzeugt,<br />

was mich natürlich sehr freut. Es ist auf<br />

jeden Fall ein großes Ziel von mir, die Mannschaft<br />

dabei nach vorne zu bringen.<br />

Der Cottbuser auf dem<br />

Weg zum vorerst letzten<br />

WM-Titel im Zeitfahren<br />

2016. An solche Erfolge<br />

will Martin anknüpfen<br />

– im Einzel- und im Mannschaftswettkampf.<br />

Gibt es schon erste Resultate oder<br />

Erkenntnisse in dieser Richtung?<br />

Wir haben im Windkanal getestet und sind dabei<br />

zu sehr erfreulichen Ergebnissen gekommen –<br />

jetzt gar nicht mal, was das Material an sich angeht,<br />

sondern vor allem meine Position. Allerdings<br />

bin ich da immer ein bisschen verhalten positiv<br />

gestimmt, weil ich in dieser Hinsicht schon sehr<br />

viel mitgemacht habe. Scherzhaft gesagt: Nach<br />

den ganzen Verbesserungen brauche ich fast gar<br />

nicht mehr zu treten, um 50 Kilometer pro Stunde<br />

zu halten. Ich hoffe natürlich, dass sich diese<br />

Zahlen auf der Straße in guten Ergebnissen widerspiegeln.<br />

Aber die Voraussetzungen erst mal<br />

sind sehr gut.<br />

Du hast zwischen 2011 und 2016 vier<br />

WM-Titel im Einzelzeitfahren gewonnen<br />

– danach lief es allerdings nicht mehr so<br />

gut in dieser Disziplin.<br />

Die Entscheidung, in Belgien [bei den Klassikern]<br />

anzugreifen, kam ja auch aus dieser Dominanzstellung<br />

im Zeitfahren. Bis 2015 habe ich im Zeitfahren<br />

so ziemlich alles gewonnen, was es zu gewinnen<br />

gab. Selbst WorldTour-Etappensiege im<br />

Zeitfahren haben mich, bis vielleicht auf die Tour<br />

de France oder andere Grand Tours, damals nicht<br />

mehr sonderlich motivieren können. Deswegen gab<br />

es die Suche nach einer Alternative. Wenn man<br />

jedoch gar keine Siege mehr einfährt, sehnt man<br />

sich natürlich nach den alten Erfolgen. Ich würde<br />

mich freuen, daran wieder anknüpfen zu können.<br />

Sind die Klassiker für dich damit ein für<br />

alle Mal abgehakt?<br />

Wenn sich alles andere gut entwickelt, können wir<br />

vielleicht schauen, ob Paris–Roubaix nicht doch<br />

noch mal interessant ist. Die anderen Klassiker<br />

sind nicht unbedingt was für mich, höchstens<br />

vielleicht an einem richtig guten Tag und in einer<br />

perfekten Ausgangsposition, aber das ist eher ein<br />

Lotteriespiel. Bei Roubaix denke ich nach wie vor,<br />

dass es auf jeden Fall passt und dass man es vielleicht<br />

doch noch mal irgendwann ins Programm<br />

integrieren könnte. Aber zunächst einmal will ich<br />

den sicheren Weg gehen und versuche, mich wieder<br />

auf altbewährte Weise aufzubauen.<br />

Die Option, deinen Kapitän mit einer guten<br />

Leistung beim Zeitfahren auf das Podium<br />

einer Grand Tour bringen zu können, muss<br />

dabei doch zusätzlich motivieren.<br />

Das ist auch das erklärte Ziel des Teams: Wir wollen<br />

in Frankreich das Gelbe Trikot angreifen. Das<br />

war für mich ein weiterer Grund, zuzusagen – um<br />

an diesem Projekt teilhaben zu können. Ich war<br />

noch nie Teil einer Tour-Mannschaft mit Klassementfahrer.<br />

Das motiviert mich auf jeden Fall und<br />

ich denke, dass es ungeahnte Kräfte freimachen<br />

kann, wenn man für einen Tour-Kapitän fährt, der<br />

eventuell um das Gelbe Trikot mitkämpft.<br />

Hinzu kommt, dass die Karten nach dem<br />

Rückzug von Sky Ende 2019 vielleicht noch<br />

mal komplett neu gemischt werden. Das<br />

könnte mittelfristig eine ganz andere Perspektive<br />

eröffnen.<br />

Warten wir erst mal ab, ob nicht noch ein Nachfolgesponsor<br />

gefunden wird. Viele werden vielleicht<br />

jubeln, aber ich finde es immer traurig, dass<br />

im Radsport solche erfolgreichen Teams eventuell<br />

einfach dicht machen müssen. Auch Quick-Step<br />

musste sehr lange kämpfen, um überhaupt einen<br />

neuen Sponsor zu bekommen. Es ist schon sehr,<br />

sehr traurig, wenn im Sport nicht mehr die Erfolge<br />

zählen. Ich habe das damals bei HTC-Highroad<br />

selber mitgemacht: Wir waren mit das erfolgreichste<br />

Team und mussten [Ende 2011] trotzdem<br />

schließen. Es ist schon ein trauriges Zeugnis<br />

für den Radsport, dass du nicht mehr sagen<br />

kannst: Wir bringen die Erfolge, und dann kommen<br />

die Sponsoren. Das scheint ja nicht mehr in<br />

Relation zu sein, und das ist auf jeden Fall ein<br />

bedenklicher Trend.<br />

Da gebe ich dir völlig recht. Es geht eher<br />

um mögliche Optionen für andere Teams.<br />

Wir wollen nicht die Tour gewinnen, weil Sky<br />

dicht macht. Ich messe mich lieber mit den<br />

Stärksten, als mir im Nachhinein sagen zu<br />

müssen: Du warst ja nur die drittstärkste Kraft.<br />

Das wollte ich damit sagen. Ich liebe unseren<br />

Sport und kann keine Jubelhymnen anstimmen,<br />

wenn Sponsoren aussteigen. Ich wünsche Sky<br />

auf jeden Fall, dass da eine Nachfolgelösung gefunden<br />

wird.<br />

Zum Abschluss noch mal zurück zu deinen<br />

neuen, meist niederländischen Kollegen.<br />

Robert Gesink wohnt unweit der Grenze und<br />

spricht sehr gut deutsch. Wie sieht es mit<br />

dem Rest aus?<br />

Ich spreche mit einigen Fahrern deutsch. Robert<br />

ist darin perfekt, dazu gibt es noch drei, vier<br />

andere, die das sehr gut können. Aber wenn<br />

25 Sportler am Tisch sitzen, wird auf jeden Fall<br />

holländisch gesprochen und nicht permanent<br />

englisch. Das ist dann doch ein Unterschied. Bis<br />

jetzt war ich mehr in internationalen Teams.<br />

Jumbo-Visma hingegen ist stolz auf seine holländische<br />

DNA. Da werde ich mich anpassen müssen<br />

– und auch wollen, denn ich sehe das als<br />

Chance, noch mal eine neue Sprache zu lernen.<br />

Ich werde es sicherlich nicht perfekt lernen, aber<br />

ich möchte schon irgendwann so weit sein, den<br />

Gesprächen folgen zu können.<br />

© Tim De Waele/Getty Images<br />

FEBRUAR 2019 | PROCYCLING 23

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