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Procycling 02.19

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SAN REMO<br />

© Yuzuru Sunada<br />

Dass Mark Cavendish sich noch darauf<br />

konzentriert, neues Material zu schreiben,<br />

statt seine größten Hits zusammenzustellen<br />

und zu bewundern, kann man seinem<br />

Vorschlag entnehmen, dass diese <strong>Procycling</strong>-<br />

Ausgabe, in der er als Gastredakteur mitwirkte,<br />

eine Hommage an Mailand–San Remo beinhalten<br />

sollte. Oder vielmehr kann man es aus der Einschränkung<br />

folgern, die Cavendish sofort vorbrachte:<br />

„Es soll nur nicht über mein San Remo<br />

sein. Ich möchte nicht, dass alles über mich ist.“<br />

Einige Leser mag eine solche Zurückhaltung<br />

verblüffen. Immerhin ist dies ein Fahrer, dem zu<br />

Beginn seiner Karriere immer vorgeworfen wurde,<br />

arrogant zu sein, die Agressivität eines Boxers<br />

in einen Sport zu tragen, dessen Protagonisten<br />

traditionell für ihre Bescheidenheit gelobt würden.<br />

„Ich nenne Ihnen nur die Fakten: Ich bin der<br />

beste Sprinter der Welt“, argumentierte Cavendish<br />

üblicherweise, nicht bereit, sich den prüden<br />

Traditionen des Radsports zu unterwerfen. Dann<br />

hatte er seine Freude daran, seine Kritiker zum<br />

Schweigen zu bringen – vor seiner nächsten großen<br />

Absichtserklärung, der nächsten Runde zungenschnalzender<br />

Missbilligung und dem sich<br />

wiederholenden Zyklus.<br />

Dieses Problem beim Übertünchen seines Debütsiegs<br />

2009 bei der Classicissima ist nicht – wie wir<br />

ihm erklären werden –, dass es diese Facette seiner<br />

frühen Karriere illustrierte. Tatsächlich war<br />

San Remo 2009 ungewöhnlich insofern, als Cavendish<br />

Experten und Rivalen aktiv davon abgehalten<br />

hatte, ihn als potenziellen Sieger zu sehen,<br />

und sich freute, als sie seinem Rat weitgehend<br />

folgten. „Das hat mir sehr geholfen“, gibt er jetzt<br />

zu. „Niemand hatte einen Plan oder fuhr nach<br />

einem Plan, um mich loszuwerden. Ich habe vorher<br />

gesagt, dass ich nicht gewinnen kann, und alle<br />

sind darauf reingefallen.“<br />

Es mag untypisch gewesen sein, aber Cavendishs<br />

San Remo ist unmöglich zu ignorieren, weil<br />

es auf den Umschlag oder eine Doppelseite seines<br />

persönlichen Kanons, aber auch des Rennens<br />

selbst gehört – ein Band, der sich über 111 Jahre<br />

erstreckt. Weit davon entfernt, „ein weiterer<br />

Massensprint zu sein“, verkörperten die atemberaubenden<br />

Momente, in denen er von hinten<br />

ange stie felt kam, sich an Heinrich Haussler heransaugte<br />

und schließlich an ihm vorbeizog, die<br />

mittlerweile zentrale These des ersten Monuments<br />

des Jahres: „Es ist ein Rennen, wo alles,<br />

aber auch alles, was du von der Sekunde an<br />

machst, wo du Mailand verlässt, zählt. Über einen<br />

Gullideckel auf der linken Seite zu fahren<br />

statt auf dem glatten Asphalt in der Mitte der<br />

Straße, kann über Sieg oder Niederlage entscheiden“,<br />

bemerkt Cavendish.<br />

Heute von den Ketzern als „langweiligster<br />

Klassiker“ verschrien, vereinte San Remo einst<br />

alle Kommentatoren zumindest in der Wertschätzung<br />

der Brutalität des Rennens. Bei der vierten<br />

Auflage anno 1910 brauchte der Sieger Eugène<br />

Christophe zwölf Stunden, um das Rennen zu<br />

beenden – und nur fünf weitere der 63 Starter sahen<br />

überhaupt die Ziellinie. Zwölf Monate zuvor<br />

als erster italienischer Meister gefeiert – und auch<br />

als erster Sieger des Giro d’Italia 1909 –, wurde<br />

Luigi Ganna Zweiter hinter Christophe und erzählte<br />

den Reportern, nachdem er sich durch<br />

Schneestürme am Turchino und einen Wolkenbruch<br />

an der Riviera del Ponente gekämpft hatte,<br />

prompt, dass er nie wieder an einem Radrennen<br />

Denkbar knapp gewinnt Cavendish<br />

vor Haussler bei San Remo 2009.<br />

56 PROCYCLING | FEBRUAR 2019

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