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BERLINER KURIER, Sonnabend, 27.April 2019<br />
MehrereTausend<br />
Polizisten stehen bereit,<br />
um Randalierer und<br />
Störer zu stoppen.<br />
Fotos: dpa, imago/Müller-Stauffenberg<br />
Die Idee scheiterte. Grottian<br />
wurde von Autonomen angegangen.<br />
Innensenator Erhart<br />
Körting (SPD) wollte die Polizei<br />
nicht aus dem Kiez raushalten,<br />
wenngleich er es mit etwas<br />
Deeskalation und dem Konzept<br />
der „ausgestreckten Hand“ versuchen<br />
ließ. Die Polizei verzichtete<br />
auf allzu sichtbare Präsenz.<br />
Genau deshalb konnten<br />
Randalierer am Oranienplatz<br />
einen Plus-Markt plündern –<br />
was der Startschuss für die traditionellen<br />
„Maifestspiele“ (so<br />
nannte es die linke Szene) war.<br />
Waren im Vorjahr die Krawalle<br />
nur auf den Mariannenplatz<br />
begrenzt, konstatierte der<br />
Einsatzleiter der Polizei dieses<br />
Mal einen „Flächenbrand“. In<br />
ganz SO 36 standen Autos in<br />
Flammen. Die inzwischen oppositionelle<br />
CDU und die Polizeigewerkschaften<br />
kritisierten<br />
die Polizeistrategie, die rot-rote<br />
Koalition sowie FDP und Grüne<br />
verteidigten sie. Immerhin<br />
wurden dieses Mal „nur“ 100<br />
Polizisten verletzt. Dieses Mal<br />
waren auch viele erlebnisorientierte<br />
türkisch- und arabischstämmige<br />
Jugendliche unter<br />
den Randalierern.<br />
2003 griffen Bezirkspolitiker,<br />
Gewerbetreibende und Anwohner<br />
die Idee eines politischen<br />
Kiezfestes auf. Rockkonzerte<br />
sollte es am 1. Mai in<br />
Kreuzberg geben, Straßentheater<br />
und Kleinkunst. Dieses Mal<br />
wollen die Initiatoren den Eindruck<br />
vermitteln, dass die Aktivitäten<br />
von unten wuchsen.<br />
Der Plan ging von Jahr zu Jahr<br />
mehr auf. Nicht nur Krawalltouristen<br />
sondern vor allem<br />
friedliche Menschen bevölkerten<br />
den Kiez. Die Polizei war im<br />
Hintergrund – und deshalb<br />
2003 nicht zur Stelle, als ein<br />
Autohaus schwer demoliert<br />
wurde.<br />
Dennoch verfeinerten die<br />
Ordnungshüter ihre Strategie<br />
der „ausgestreckten Hand“, mit<br />
der sie sich zurückhalten, bei<br />
Straftaten aber konsequent vorgehen.<br />
Auch ihre Taktik entwickelten<br />
sie weiter: Sie verstecken<br />
sich nicht mehr hinter einer<br />
Phalanx aus Plexiglasschildern.<br />
Wer randaliert, wird<br />
gefilmt, damit die spätere Festnahme<br />
beweissicher ist. Erst<br />
am Ende einer Demo werden<br />
Randalierer gefasst, um den Demoverlauf<br />
nicht eskalieren zu<br />
lassen.<br />
Ab 2003 ließ der damalige Polizeipräsident<br />
Dieter Glietsch<br />
mittels weiträumiger Halteverbote<br />
die Autos aus dem Kiez<br />
verbannen, ebenso die Glascontainer.<br />
Zum Ärger der Randale-<br />
Fans durfte Bier nicht mehr in<br />
Flaschen sondern nur noch in<br />
Bechern ausgeschenkt werden.<br />
Und so wurde der 1. Mai in den<br />
vergangenen Jahren für Schaulustige<br />
und unpolitische Randalierer<br />
immer unattraktiver.<br />
Auch die Zahl der Krawalltouristen<br />
sank.<br />
Auch wenn es nach der 18-<br />
Uhr-Demo immer noch vereinzelt<br />
Gewalt gab und anfangs das<br />
Myfest deshalb sogar abgebrochen<br />
werden musste, bildet dieses<br />
Befriedungsfest inzwischen<br />
einen Schutzwall aus Musik<br />
und Köfte. Allerdings drängten<br />
sich dort in den vergangenen<br />
Jahren bis zu 50000 Besucher<br />
gleichzeitig. Für Geschäftemacher<br />
wurde das MyFest zum<br />
größten Fest.<br />
Kritiker charakterisierten das<br />
Befriedungsfest zunehmend als<br />
Ballermann. Die politischen Inhalte<br />
wurden durch wummernde<br />
Bässe und wabernde Grillfeuerschwaden<br />
verdrängt. Das<br />
haben inzwischen auch die Initiatoren<br />
bemerkt, die das Fest<br />
dieses Mal kleiner und wieder<br />
politischer gestalten. Es soll besetzt<br />
werden mit Themen wie<br />
Migration, Homophobie und<br />
Gentrifizierung.