mein/4 März 2020
mein/4 Stadtmagazin, Ausgabe März 2020
mein/4 Stadtmagazin, Ausgabe März 2020
- Keine Tags gefunden...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Kevin Kühnert im Interview
möchte solchen Leuten auch gar nicht meine Reichweite
schenken. Das hat etwas mit Mediensensibilität zu tun.
Ansonsten geht es auch darum, vorzuleben, wie eine
vernünftige Debattenkultur aussehen kann. Wenn wir
als Politiker und Politikerinnen, die wir im Netz unterwegs
sind, immer nur senden, aber gar nichts empfangen,
nicht in den Austausch treten, dann entsteht natürlich
schnell der Eindruck: Ich kann schreiben, was ich will,
der liest es ja sowieso nicht. Doch die meisten lesen
das schon, man sollte es die Leute nur merken lassen.
Ich mische mich in meinen Kommentarspalten in Diskussionen
ein, ich signalisiere der Community: Na klar
lese ich das. Erstens aus Respekt, denn ihr macht euch
Gedanken, ihr schreibt eure Frage. Und natürlich versuche
ich, diese zu beantworten. Zweitens möchte ich
Sensibilität schaffen. Ich merke nämlich, dass meine
Followerinnen und Follower auch viel aufmerksamer reagieren
bei einem Shitstorm. Sie schreiten oft bei einer
Beleidigung ein, bevor ich das tun kann. Weil sie genau
wissen, dass ich es auch selbst lese. Ich soll sehen, dass
es hier Solidarität gibt, dass es nicht die Mehrheitsmeinung
ist. Vormachen sorgt meistens auch für Nachmacher.
Das ist ganz erfreulich zu sehen.
Sondern indem ich mich auseinandersetze mit anderen
demokratischen Weltsichten, die es zuhauf gibt und die
manchmal zu leise sind, weil sie nicht mit Schimpfwörtern
daherkommen. Wir alle müssen gucken, worauf
wir reagieren. Ist es sinnvoll, Hasskommentare, die uns
erschreckt haben, noch weiter zu verbreiten, indem wir
sie kommentieren? Ich muss das nicht multiplizieren. Da
fehlt es uns in der Gesellschaft, auch nach 20 Jahren mit
dem Internet als Massenphänomen, manchmal an Medienkompetenz,
um klug damit umzugehen.
mein/4: Hat dein Tag mehr als 24 Stunden?
Wenn du sagst, du diskutierst in deinen
Kommentaren selbst?
Kevin Kühnert: Ich kann natürlich nicht alles beantworten.
Aber ich kann versuchen, den Kern der Kritik oder
der Fragen zu erkennen und zu beantworten. Ich suche
mir dann drei bis vier repräsentative Punkte raus, die ich
stellvertretend beantworte. Ich empfinde das nicht als
Extraarbeit oder -zeit. Für mich ist es Teil meines Alltags.
Es gibt nicht die politische Arbeit, die aus Akten
lesen und Konzepte entwickeln besteht, während so ein
bisschen Social-Media-Chi-Chi nebenbei gemacht wird.
Es gehört beides zusammen. Wenn ich Politik mache
und nicht darüber rede, dann kann ich es auch sein lassen.
Demokratie besteht daraus, Ideen weiterzutragen
und eine Haltung zu transportieren, gegen Kritik zu
argumentieren und sich auch selbst dabei zu hinterfragen.
Es ist ja auch für mich ein Argumentationstraining,
wenn ich in den Austausch mit anderen Leuten trete und
mich zwinge, meine Filterblase zu verlassen, die ich im
Alltag auch habe. Natürlich bin ich bei den Jusos und
in der SPD mit Leuten zusammen, die die Welt eher so
sehen wie ich. Deshalb haben wir uns ja in einer Partei
zusammengeschlossen. Aber ich muss in dieser Blase
nicht verharren, sondern kann sie immer wieder gezielt
verlassen, mich anderen Perspektiven aussetzen. Allerdings
nicht, indem ich mir Hasskommentare durchlese.
Die sind nicht Teil der demokratischen Debattenkultur.
mein/4: Wo ist Kevin Kühnert in fünf Jahren?
Lokalpolitik? Bundespolitik?
Kevin Kühnert: Keine Ahnung. Ganz ehrlich: Ich mache
grundsätzlich keine Jahrespläne. Ich habe das noch
nie gemacht. Meine Erfahrung ist, wenn man seine Sache
ordentlich macht, dann passieren Dinge ein Stück
weit von alleine. Ich möchte auch nicht in einen Modus
kommen, wo ich vor Ehrgeiz zerfressen auf irgendetwas
hinarbeite. Dann gerät nämlich auch der eigentliche
Kern der politischen Arbeit aus dem Blick und wird ausgetauscht
gegen persönliche Karriereziele. Ich bin nicht
naiv, ich weiß schon, dass man politische Verantwortung,
Macht, oder wie auch immer man das nennen mag, anstreben
sollte, wenn man etwas verändern will. Nur aus
Schöngeistigkeit ändert sich meistens nichts. Aber man
kann nichts erzwingen. Es ist kein Bewerbungsverfahren,
in dem nach objektiven Kriterien entschieden wird. Da
spielen so unberechenbare Faktoren wie Wählerinnen
und Wähler mit. Die gesellschaftliche Entwicklung haben
wir alle nur bedingt in der Hand. Was ich garantieren
kann, ist, dass ich politisch aktiv bleiben werde in
irgendeiner Art und Weise. Und dass der Ort, von dem
das herkommt, vielleicht auch noch ganz lange Tempelhof-Schöneberg
sein wird, weil das der Bezirk ist, um
den sich eigentlich mein ganzes Leben dreht.
mein/4: Kevin Kühnert, vielen Dank für
das Gespräch.
mein/4
21