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mein/4 März 2020

mein/4 Stadtmagazin, Ausgabe März 2020

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Kevin Kühnert im Interview

möchte solchen Leuten auch gar nicht meine Reichweite

schenken. Das hat etwas mit Mediensensibilität zu tun.

Ansonsten geht es auch darum, vorzuleben, wie eine

vernünftige Debattenkultur aussehen kann. Wenn wir

als Politiker und Politikerinnen, die wir im Netz unterwegs

sind, immer nur senden, aber gar nichts empfangen,

nicht in den Austausch treten, dann entsteht natürlich

schnell der Eindruck: Ich kann schreiben, was ich will,

der liest es ja sowieso nicht. Doch die meisten lesen

das schon, man sollte es die Leute nur merken lassen.

Ich mische mich in meinen Kommentarspalten in Diskussionen

ein, ich signalisiere der Community: Na klar

lese ich das. Erstens aus Respekt, denn ihr macht euch

Gedanken, ihr schreibt eure Frage. Und natürlich versuche

ich, diese zu beantworten. Zweitens möchte ich

Sensibilität schaffen. Ich merke nämlich, dass meine

Followerinnen und Follower auch viel aufmerksamer reagieren

bei einem Shitstorm. Sie schreiten oft bei einer

Beleidigung ein, bevor ich das tun kann. Weil sie genau

wissen, dass ich es auch selbst lese. Ich soll sehen, dass

es hier Solidarität gibt, dass es nicht die Mehrheitsmeinung

ist. Vormachen sorgt meistens auch für Nachmacher.

Das ist ganz erfreulich zu sehen.

Sondern indem ich mich auseinandersetze mit anderen

demokratischen Weltsichten, die es zuhauf gibt und die

manchmal zu leise sind, weil sie nicht mit Schimpfwörtern

daherkommen. Wir alle müssen gucken, worauf

wir reagieren. Ist es sinnvoll, Hasskommentare, die uns

erschreckt haben, noch weiter zu verbreiten, indem wir

sie kommentieren? Ich muss das nicht multiplizieren. Da

fehlt es uns in der Gesellschaft, auch nach 20 Jahren mit

dem Internet als Massenphänomen, manchmal an Medienkompetenz,

um klug damit umzugehen.

mein/4: Hat dein Tag mehr als 24 Stunden?

Wenn du sagst, du diskutierst in deinen

Kommentaren selbst?

Kevin Kühnert: Ich kann natürlich nicht alles beantworten.

Aber ich kann versuchen, den Kern der Kritik oder

der Fragen zu erkennen und zu beantworten. Ich suche

mir dann drei bis vier repräsentative Punkte raus, die ich

stellvertretend beantworte. Ich empfinde das nicht als

Extraarbeit oder -zeit. Für mich ist es Teil meines Alltags.

Es gibt nicht die politische Arbeit, die aus Akten

lesen und Konzepte entwickeln besteht, während so ein

bisschen Social-Media-Chi-Chi nebenbei gemacht wird.

Es gehört beides zusammen. Wenn ich Politik mache

und nicht darüber rede, dann kann ich es auch sein lassen.

Demokratie besteht daraus, Ideen weiterzutragen

und eine Haltung zu transportieren, gegen Kritik zu

argumentieren und sich auch selbst dabei zu hinterfragen.

Es ist ja auch für mich ein Argumentationstraining,

wenn ich in den Austausch mit anderen Leuten trete und

mich zwinge, meine Filterblase zu verlassen, die ich im

Alltag auch habe. Natürlich bin ich bei den Jusos und

in der SPD mit Leuten zusammen, die die Welt eher so

sehen wie ich. Deshalb haben wir uns ja in einer Partei

zusammengeschlossen. Aber ich muss in dieser Blase

nicht verharren, sondern kann sie immer wieder gezielt

verlassen, mich anderen Perspektiven aussetzen. Allerdings

nicht, indem ich mir Hasskommentare durchlese.

Die sind nicht Teil der demokratischen Debattenkultur.

mein/4: Wo ist Kevin Kühnert in fünf Jahren?

Lokalpolitik? Bundespolitik?

Kevin Kühnert: Keine Ahnung. Ganz ehrlich: Ich mache

grundsätzlich keine Jahrespläne. Ich habe das noch

nie gemacht. Meine Erfahrung ist, wenn man seine Sache

ordentlich macht, dann passieren Dinge ein Stück

weit von alleine. Ich möchte auch nicht in einen Modus

kommen, wo ich vor Ehrgeiz zerfressen auf irgendetwas

hinarbeite. Dann gerät nämlich auch der eigentliche

Kern der politischen Arbeit aus dem Blick und wird ausgetauscht

gegen persönliche Karriereziele. Ich bin nicht

naiv, ich weiß schon, dass man politische Verantwortung,

Macht, oder wie auch immer man das nennen mag, anstreben

sollte, wenn man etwas verändern will. Nur aus

Schöngeistigkeit ändert sich meistens nichts. Aber man

kann nichts erzwingen. Es ist kein Bewerbungsverfahren,

in dem nach objektiven Kriterien entschieden wird. Da

spielen so unberechenbare Faktoren wie Wählerinnen

und Wähler mit. Die gesellschaftliche Entwicklung haben

wir alle nur bedingt in der Hand. Was ich garantieren

kann, ist, dass ich politisch aktiv bleiben werde in

irgendeiner Art und Weise. Und dass der Ort, von dem

das herkommt, vielleicht auch noch ganz lange Tempelhof-Schöneberg

sein wird, weil das der Bezirk ist, um

den sich eigentlich mein ganzes Leben dreht.

mein/4: Kevin Kühnert, vielen Dank für

das Gespräch.

mein/4

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