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mein/4 März 2020

mein/4 Stadtmagazin, Ausgabe März 2020

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Sie heißt Phở

Eine Kolumne von Wladimir Kaminer

Die asiatische Küche hat unseren Bezirk längst erobert, sie taugt perfekt für Jung und Alt, nur dorthin kann

ich mit meiner Mutter und ihren Enkelkindern zusammen essen gehen. Die Essgewohnheiten und Geschmäcker

der Generationen unterscheiden sich nämlich inzwischen gewaltig. Für meine Mutter spielt

die Festigkeit des Essens eine herausragende Rolle. Die Zahnärztin, die das Gebiss meiner Mutter

im vorigen Jahrhundert anfertigte, hatte schon damals den gesetzlichen Rentenalterseintritt

überschritten und schon längst keine Sprechzeiten mehr. Die Zähne haben im Laufe

der Zeit etwas an Schärfe und Bissigkeit verloren. Eine neue Ärztin zu suchen,

dazu fehlt meiner Mutter das Vertrauen in die moderne Medizin.

Die Enkelkinder verstehen die Sorgen der Oma nicht, sie stopfen das Essen

schnell in sich hinein, sie sind in der Regel mit dem Essen fertig noch bevor

die Oma die Speisekarte zu Ende gelesen hat und wollen das Dessert.

Angesichts dieser Schwierigkeiten suchen wir für ein gemeinsames Essen

eine Küche mit dem Schwerpunkt „Suppe“, damit jeder auf seine Kosten

kommt. Die Suppe muss groß, heiß und sättigend sein, möglichst viele

Zutaten und Kräuter beinhalten, damit jedes Familienmitglied darin

etwas für sich finden kann.

Wir haben das nepalesische Street-Food-Restaurant direkt im Erdgeschoss

unseres Hauses, wo man beim Rausgehen drei Mal

einen goldenen Buddha im Uhrzeigesinn drehen muss, für

Glück, Reichtum und eine bessere Verdauung, wie mir der

nepalesische Kellner vertrauensvoll erzählte. Der Laden

hatte erst vor Kurzem aufgemacht und galt selbst für

meine Kids, die sonst für jede neue Gastronomie

offen sind, als „zu exotisch“. Bei dem Nepalesen

werden nämlich dem Gast auf einem großen

hölzernen Tablett allerlei Gaben der Natur

serviert, wie sie vor der Erfindung

der Mikrowelle aussahen: rohe Erbsen,

Nüsse, Körner, verfeinert mit irgendwelchen

Tierhaaren und zu Staub

zermahlene Reiskörner auf sehr

dünnen, zusammengepressten

Blättchen, die mal dunkelrot

und mal hellblau angemalt

sind. Ich habe

schon mal beim Verzehr

der nepalesischen

Köstlichkeiten

aus

Versehen in

30 mein/4

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