Wie der fliegende Fuchs ins Schilstal kam Die einen leisten sich eine schöne Wohnung, ein schnelles Auto und Ferien im <strong>Luxus</strong>hotel. Davon hält Willy Beeler nichts. Ausgetretene Pfade lässt er links liegen und leistet sich stattdessen den <strong>Luxus</strong>, über Zeit und seinen Körper selbst zu bestimmen – auch wenn er dabei an seine Grenzen stösst. Marcus Balogh, Redaktion Bulletin Den Schurz dürfen alle tragen, die Kette nur, wer die Tattoo-Tortur würdig überstanden hat.
LUXUS Foto: Annemarie Oechslin «Ich habe schon als Kind vom Meer geträumt.» Fernweh – das ist an sich nichts Aussergewöhnliches. Willy Beeler, heute 36 Jahre alt, hat dieser Wunsch jedoch mehrmals um den Globus geführt. Vorzugsweise auf dem Seeweg. Tahiti, Neuseeland, Neukaledonien, Australien, Indonesien, Singapur, Malaysia, die Karibik, Hawaii, Tonga – die Liste seiner Destinationen liesse sich fast beliebig erweitern. Die Liste seiner Abenteuer ebenfalls. Beeler erzählt von einer Transatlantiküberquerung, auf der sich das Segelschiff bei stürmischer See langsam mit Wasser gefüllt habe. Er erzählt von einem langen Winter in Alaska. Fünfzig Grad unter Null sei es dort gewesen. So kalt, dass man mit nacktem Oberkörper aus der Hütte könne. «Du frierst nur kurz. Dann hat die Kälte die Nerven betäubt. Bald darauf bist du allerdings auch schon erfroren.» Zwischen den Reisen zieht es den Bergbauernsohn zurück an den heimatlichen Herd. Im Schilstal, in den Flumserbergen, greift er dem Vater unter die Arme oder arbeitet als Skilehrer. Bis es ihn wieder wegzieht. Für diese Unabhängigkeit hat Willy Beeler viel aufgegeben. «Ich bin arm an Besitz, dafür reich an Geschichten. Und ich bin mein eigener Herr und Meister. 1999 habe ich den grossen Schritt gemacht und alles, was ich nicht direkt zum Überleben brauche, losgeschlagen. Die Möbel, das Auto, die Wohnung. Sogar die Pensionskasse habe ich aufgelöst. Ich habe keine Familie zu ernähren und praktisch keine Verpflichtungen zu erfüllen. Und so kann ich es mir leisten, mir nichts zu leisten. Mein grösstes Vermögen ist in meinem Kopf und was ich sonst noch besitze, trage ich praktisch am Leib.» Erinnerungen statt Besitztümer. Der Entscheid habe sich gelohnt. In jeder Hinsicht. Das Reisen habe Spuren hinterlassen. «Nicht nur im Kopf, sondern auch unter der Haut», fügt Willy Beeler augenzwinkernd hinzu. Es geschah in Samoa In der Tat: Beelers Körper erzählt eine eigene Geschichte vom Reisen und von Abenteuern. Eine Geschichte in Bildern: Von den Hüften abwärts bis zu den Knien hat sich Beeler ein Pea unter die Haut hämmern lassen – eine samoanische Stammestätowierung. «Alles begann in Upolu – auf einer der schönsten Inseln, die es gibt. Hier sah ich den ersten traditionell tätowierten Samoaner. Sein Tattoo war fantastisch. Da habe ich mir sofort gesagt: Willy, das musst du auch haben.» Es dauerte ein Weilchen, bis die Samoaner das Ansinnen Beelers ernst nahmen. Die Tataus, wie sie in Samoa genannt werden, zeigen die Herkunft des Besitzers an und widerspiegeln sein Schicksal. Nach samoanischem Glauben ist das Einhämmern eines Pea Initiation und Wiedergeburt zugleich – das unumstössliche Zeichen, dass ein Mann zum Krieger gereift ist. Das geht man nicht leichtfertig an. Aber schliesslich habe der Tätowiermeister eingelenkt. «Fast alle Dorfbewohner haben mir allerdings davon abgeraten. Der Schmerz werde mich um den Verstand bringen, werde mich abhängig machen wie ein Baby. Was wisst ihr schon, habe ich mir gedacht. Der Atlantik hat mich nicht umgebracht, in Alaska habe ich dem Winter getrotzt, da schaff ich auch das. Heute muss ich sagen: Ich war naiv.» Die Haut steht in Flammen Die Tattoo-Sitzungen dauerten elf Tage – inklusive 48 Stunden Pause. Morgens und nachmittags hämmerte der Tätowiermeister – die Einheimischen nennen ihn Tafuga – mit Hilfe spitz geschliffener Eberzähne Willy Beeler jeweils drei Stunden lang eine Mischung aus schwarzem Russ, Wasser und einer Paste aus Früchten des Lamabaumes unter die Haut. Eine blutige Angelegenheit. «Nach den ersten Schlägen habe ich gedacht: Unmöglich, das hältst du nicht aus. Die Schmerzen waren unglaublich. Aber wenn du erst einmal angefangen hast, musst du auch weitermachen. Sonst bringst du Schande über das ganze Dorf.» Er habe während dieser Zeit kein Auge zugemacht. Seine Haut schien in Flammen zu stehen. Die hygienischen Verhältnisse in der Hütte des Tafuga waren alles andere als gut und die frischen Wunden entzündeten sich. Nun quälten Willy Beeler auch noch Fieberschübe. «Ich war vom ersten Tag an rund um die Uhr wach. So hat es sich zumindest angefühlt. Alles tat weh, meine Muskeln wurden hart, meine Gelenke versteiften sich. Ich war wach und doch irgendwie im Koma. Aber so ist das halt beim Stechen eines Pea. Deshalb bekommt man auch einen Helfer zur Seite gestellt. Einen persönlichen Schutzengel. Er ist die ganze Zeit über für mich da gewesen. Tag und Nacht hat er meinen Zustand beobachtet, nicht einmal auf die Toilette liess er mich alleine gehen.» Während Beeler im Fieberdelirium davon träumte, sich die Haut abzustreifen, wuchs das Tattoo auf seinem Körper weiter. Ein fliegender Fuchs, Symbol des Lebens, gesellte sich zu Ottern, zu Vögeln, Fledermäusen, Speerspitzen und Tintenfischen. Schliesslich wurde das letzte Teil des Pea um den Bauchnabel herum gestanzt. «Für die Einheimischen ist das der Moment der Wiedergeburt.» Hätte er damals gewusst, wie schmerzvoll das Ganze werden würde, er hätte nicht ja gesagt. Andererseits gebe es nichts zu bereuen. Sein Leben habe sich schon verändert. Alles sei leichter geworden. «Die meisten glauben, sie können ihrem Leben durch <strong>Luxus</strong> Sinn verleihen. Doch wie lange hält die Freude über ein neues Auto, einen schnellen Computer an? Schon bald willst du etwas Neues, etwas Besseres. Ein Leben jenseits der Trampelpfade, sein eigener Herr zu sein, zu einem Pea ja zu sagen und sich nicht um die Konsequenzen zu Hause oder auf der Arbeit kümmern zu müssen – das ist für mich echter <strong>Luxus</strong>. Ein <strong>Luxus</strong>, den man sich leisten, aber eben nicht kaufen kann.» ❙ 3 Mehr Beeler’sche Abenteuer und Fotos unter www.credit-suisse.com/emagazine Credit Suisse Bulletin 6-<strong>03</strong> 17