26.04.2022 Aufrufe

Wina Mai 2021

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Geordneter Wechsel<br />

© Emmanuel Dunand / AFP / picturedesk.com<br />

Legislaturperiode von<br />

vier Jahren nicht durchstehen<br />

kann. Wenn sie<br />

schon nach wenigen Monaten<br />

zerbricht, dann<br />

kommt eben doch gleich<br />

wieder die Wahl Nummer<br />

fünf und womöglich ein<br />

großes Comeback von Netanjahu. Wenn<br />

die Koalition ihr Ziel, Netanjahu endgültig<br />

aus der Politik zu drängen, erreichen<br />

will, muss sie so lange Zeit schinden, bis<br />

die Likud-Partei in der Opposition vielleicht<br />

die Geduld verliert und ihren Vorsitzenden<br />

austauscht. Auf eine eventuelle<br />

rechtskräftige Verurteilung Netanjahus<br />

braucht man vorläufig nicht zu schielen,<br />

denn der Weg durch die Instanzen wird<br />

einige Jahre dauern.<br />

Wie auch immer – wenn in manchen<br />

Kommentaren die Schwierigkeit der Regierungsbildung<br />

als Anfang vom „Ende<br />

der Demokratie“ in Israel gedeutet wurde,<br />

so ist das ein grober Denkfehler. Parteijahu<br />

loszuwerden. Und weil dieses Motiv<br />

so stark ist, liegt darin wiederum das Potenzial<br />

zu einem Aufbruch. Nein, Israels<br />

Politik wird sich nicht fundamental ändern,<br />

bloß weil Bennett statt Netanjahu an<br />

der Spitze steht. Alle israelischen Premiers<br />

haben, innerhalb einer gewissen Bandbreite,<br />

ungefähr dasselbe gemacht, weil<br />

sie denselben nahostpolitischen und gesellschaftlichen<br />

Sachzwängen unterworfen<br />

waren. Und Netanjahu kann auf eine<br />

blendende Wirtschaftsentwicklung, beachtliche<br />

außenpolitische Erfolge, die relativ<br />

gute Bewältigung von<br />

Sicherheitskrisen und zuletzt<br />

den Sieg über die Corona-Pandemie<br />

hinweisen.<br />

Aber nach zwölf Jahren Netanjahu<br />

in einem Stück (und<br />

obwohl Kreisky und Merkel<br />

demonstriert haben, dass<br />

man auch 13 und 16 Jahre in<br />

einem Stück regieren kann)<br />

war es einfach Zeit für neue<br />

Gesichter und einen anderen<br />

Ton. Die da und dort<br />

überbordende Gehässigkeit<br />

der Netanjahu-Gegner<br />

ist fehl am Platz, aber wegen<br />

seines kantigen, manipulativen<br />

Stils und der Überheblichkeit<br />

seiner Entourage<br />

hatte sich so viel Ärger<br />

aufgebaut, dass der Premier<br />

zu einer Belastung für sein Land geworden<br />

war. Letztlich liegt es an der Person<br />

Netanjahus, dass Israel in eine innenpolitische<br />

Dauerkrise geschlittert ist. Wäre<br />

Netanjahu nach der ersten Wahl oder spätestens<br />

nach seiner Korruptionsanklage<br />

im November 2019 zurückgetreten, dann<br />

hätte Israel schon längst eine „normale“<br />

Regierung.<br />

Bloß nicht wieder wählen. Für die Bildung<br />

der „unmöglichen“ Regierungen<br />

Netanjahu-Gantz und nunmehr Bennett-Lapid<br />

und die damit verbundenen<br />

peinlichen Wortbrüche gibt es natürlich<br />

eine plausible Rechtfertigung: Man wollte<br />

„Parteienvielfalt<br />

und häufige<br />

Wahlen,<br />

nach denen<br />

man nicht<br />

immer sofort<br />

weiß, wer gewonnen<br />

hat,<br />

sind kein Zeichen<br />

von zu<br />

wenig, sondern<br />

eher von zu viel<br />

Demokratie.“<br />

dem Land einen weiteren<br />

Wahlgang ersparen. Ob<br />

das diesmal gelingt, ist<br />

völlig offen. Die neue Regierung<br />

ist derartig heterogen,<br />

dass sie eine volle<br />

Israels neuer Premier, Naftali Bennett, wendet sich<br />

nach der Sondersitzung zur Abstimmung über die<br />

neue Regierung an den scheidenden Langzeit Premier<br />

Benjamin Netanjahu.<br />

envielfalt und häufige Wahlen, nach denen<br />

man nicht immer sofort weiß, wer<br />

gewonnen hat, sind kein Zeichen von zu<br />

wenig, sondern eher von zu viel Demokratie.<br />

In Diktaturen gibt es entweder überhaupt<br />

keine Wahlen, oder man weiß schon<br />

vorher, wer gewinnt. Wenn der angeblich<br />

allmächtige, ja von manchen schon zum<br />

„Diktator“* gestempelte Netanjahu zwei<br />

Jahre lang um die Macht rangeln musste<br />

und sie am Ende verloren hat, dürften<br />

die demokratischen Institutionen in Israel<br />

doch ganz gut funktionieren. Auch<br />

der Umstand, dass der Regierungschef<br />

vor Gericht gestellt wurde, sollte eigentlich<br />

jene beruhigen, die sich um Israels<br />

Demokratie sorgen. Trotz all der Komplikationen<br />

und Emotionen ist nun im<br />

israelischen Parlament ein geordneter<br />

Machtwechsel nach allen Regeln des<br />

Grundgesetzes abgewickelt worden. Das<br />

wird nichts daran ändern, dass Israel wegen<br />

seiner äußeren Bedrohung, seiner inneren<br />

Segmentierung und seines Wahlsystems<br />

schwer regierbar ist.<br />

* haaretz.com/israel-news/elections/.premium-with-netanyahu-victory-it-s-time-we-admit-israel-has-become-a-dictatorship-1.7107324;<br />

israeltoday.co.il/read/netanyahu-is-a-dictatorsay-israelis-in-black-flag-protest/<br />

wına-magazin.at<br />

7<br />

sommer_doppel1.indb 7 29.06.<strong>2021</strong> 10:04:48

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!