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Wina Mai 2021

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Keine Läuterung<br />

ALPINE AUFDECKER<br />

Wer sind die Herausgeber des Bandes?<br />

Lois Hechenblaikner ist ein bekannter<br />

Tiroler Fotograf, der sich vor allem mit<br />

den Auswüchsen des alpinen Tourismus<br />

in qualitätsvollen Reportagen einen<br />

Namen gemacht hat, nicht zuletzt<br />

über Ischgl. Er bemühte sich lange Zeit,<br />

von Rolf Zollinger, einem ehemaligen<br />

Direktor des Grandhotels Waldhaus,<br />

die von diesem noch vor dem Brand<br />

geretteten Karteikarten einsehen und<br />

veröffentlichen zu dürfen, auf deren<br />

Spur er zufällig gestoßen war. Andrea<br />

Kühbacher ist eine Kulturwissenschaftlerin<br />

und Autorin aus Innsbruck.<br />

Sie war etwa Pressesprecherin des Tiroler<br />

Landesmuseums Ferdinandeum<br />

und hat gastrosophische Bücher herausgegeben.<br />

Großbürger, Adelige, Unternehmer und<br />

erfolgreiche Künstler. Die Promiliste war<br />

lang, von Theodor Heuss, dem deutschen<br />

Bundespräsidenten, über den Sänger Richard<br />

Tauber, vom israelischen Staatschef<br />

Chaim Weizmann bis zum Schriftsteller<br />

Friedrich Dürrenmatt (der übrigens einmal<br />

einen Hotel-Großbrand beschrieb,<br />

recht kurz vor jenem in Vulpera).<br />

heit gewesen sein dürften,<br />

war das Handeln um die<br />

Zimmer- und Pensionspreise<br />

wohl eher die Regel<br />

denn die Ausnahme: „Findet<br />

Zimmerpreis zu hoch“,<br />

liest man da, und immer<br />

wieder die Worte „Preisdrücker“<br />

oder „Schinder“.<br />

Das wird allerdings nie mit<br />

der Tatsache in Zusammenhang<br />

gebracht, dass es<br />

keine Fixpreise gab, sondern<br />

eine Fülle an Nachlässen,<br />

Abschlägen und<br />

Sonderkonditionen. Jene,<br />

die das wussten und danach<br />

ökonomisch rational<br />

handelten, wurden dann<br />

vom Personal verachtet.<br />

Über die Konditionen-Verhandlungen<br />

pirschen sich die Herausgeber dann an<br />

den harten Kern des Buches heran, den<br />

Judenhass. Erst beginnt es mit versteckten<br />

Qualifizierungen, immer wieder ist<br />

von „Tirolern“ zu lesen, oder „großen Tirolern“.<br />

„Gemeint waren nicht reale Nord-,<br />

Ost- oder Südtiroler, sondern es waren<br />

verklausulierte Hinweise darauf, dass es<br />

sich um jüdische Gäste handelte.“ Die Autoren<br />

vermuten, es ging dabei um eine<br />

Anspielung auf die damals sprichwörtliche<br />

Geschäftstüchtigkeit der Tiroler Wanderhändler<br />

vor allem aus dem Zillertal.<br />

Und tatsächlich klingt es seltsam, wenn<br />

von einem Dr. med. Friedlich Fischl aus<br />

der Rothausstraße (wohl der Rathausstraße)<br />

in Wien I zu lesen ist, „wollte alle<br />

Platten des Menu wechseln/Tiroler“, oder<br />

zu Paul Hecht aus Berlin, „großer Tiroler“.<br />

Ab 1929 wird dann der Ton klarer,<br />

schärfer, das Umschreiben scheint nicht<br />

mehr nötig. Da taucht dann schon wiederholt<br />

der „Stinkjude“ auf, es heißt:<br />

„Jude, zahlt nicht“, „großer Jud“ oder<br />

„ziemlich frech, Juden“. Man muss auch<br />

nicht mehr jeden Gast umwerben. Während<br />

die Deutschen wohlgelitten sind,<br />

schreibt jemand auf eine Karte: „Geht<br />

ins Kurhaus, was wir nicht bedauern, da<br />

Gemeint waren<br />

nicht reale<br />

Nord -, Ost- oder<br />

Südtiroler, sondern<br />

es waren<br />

verklausulierte<br />

Hinweise darauf,<br />

dass es<br />

sich um jüdische<br />

Gäste handelte.<br />

„Problemgäste“. Auch Wiener Namen finden<br />

sich immer wieder in den Karteikarten,<br />

etwa jene der Brauerei-Kuffners. Da<br />

sind Herr und Frau Professor Moritz Rosenthal,<br />

„ein bekannter Pianist“ oder der<br />

„Minister a. d.“ Univ. Prof. Dr. Joseph Redlich,<br />

„Herr Generaldirektor“, Frau und<br />

Tochter Bánó-Gabor aus dem vierten Bezirk<br />

oder Herr Heinrich von Boschan und<br />

Mutter aus dem dritten, und bei Richard<br />

Tauber steht als Adresse Wien-Staatsoper.<br />

Der Dramaturgie der Herausgeber folgend,<br />

wird es aber schnell härter, nun<br />

tauchen zunehmend Problemgäste auf:<br />

„er Snob, sie nett“, „spinnt auf Hochtouren“,<br />

„frech, schimpft beständig über<br />

die Küche, Preisdrücker“, „liebt nächtliche<br />

Besuche und billige Zimmer“, „Hochstapler!<br />

Wurde von einem Hotel in Meran<br />

wegen Zechprellerei gesucht“. Während<br />

die wirklichen Gauner eher die Seltenschönstes<br />

Exemplar seiner<br />

Rasse.“<br />

Diese Sorgen brauchten<br />

sich die Rassisten<br />

an der Rezeption auch<br />

nicht mehr lange machen,<br />

immer wieder<br />

trugen sie in den Jahren<br />

ab 1933 ein nüchternes<br />

„parti“ ein, verreist oder<br />

einfach weg. Manchen<br />

dieser Gäste mag wohl<br />

die Flucht nach Übersee<br />

gelungen sein, aber<br />

bei einem Großteil handelte<br />

es sich doch um<br />

die endgültig Fahrt in<br />

die Vernichtungslager<br />

des NS-Regimes. Ähnliche<br />

Schlüsse konnte man auch aus dem<br />

titelgebenden Marketinginstrument „Ostergrüße“<br />

ziehen. Zunächst hatte auf<br />

manchen Karteikarten gestanden, „keinen<br />

Ostergruß mehr“, man sollte unangenehme<br />

Gäste nicht dazu animieren<br />

wiederzukommen. Doch ab 1932 nahmen<br />

die Einträge zu: „Ostergruß zurück“. Es<br />

gab die Adressaten und ehemaligen Gäste<br />

nicht mehr an diesen Wohnorten.<br />

Wer nun denkt, nach dem Zusammenbruch<br />

Großdeutschlands habe sich<br />

bei den Schweizer Hotelangestellten eine<br />

Läuterung gezeigt, der irrt. Nun trauen<br />

sie sich nicht mehr, von „Saujuden“ zu<br />

schreiben, es gibt einen neuen Code: P,<br />

PP oder PPP. Das war schon vor Kriegsende<br />

in den Schriftgebrauch hereingesickert:<br />

„Prachtvolles Palestina-Exemplar<br />

[!] und benimmt sich danach.“<br />

Später hieß es etwa: „Hat ziemlich viele<br />

Bekannte, alles Palestina-Schweizer.“ Die<br />

Anzahl der großen Ps „gibt Aufschluss<br />

darüber, wie ‚jüdisch‘ die Gäste wahrgenommen<br />

wurden. Nur eben umgekehrt:<br />

Je mehr P, umso negativer die dabeistehenden<br />

Bemerkungen.“ Aber es<br />

ging auch bald wieder deutlicher. 1951<br />

schrieb ein Concierge auf seine Karteikarte:<br />

„Schießt den Vogel aller Juden ab<br />

… kein Ostergruß.“<br />

13 wına | Juni/Juli <strong>2021</strong><br />

sommer_doppel1.indb 13 29.06.<strong>2021</strong> 10:04:57

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