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Wina Mai 2021

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© Emmanuel Dunand / AFP / picturedesk.com<br />

ter rotieren dürfen. Machtteilung wurde zum Prinzip<br />

erhoben.<br />

Krasser könnte der Gegensatz zu Bibi wahrscheinlich<br />

nicht sein. In Netanjahus Welt gab es nur<br />

schwarz oder weiß, man war entweder für oder gegen<br />

ihn. Dieses binäre System ist durch ein multipolares<br />

ersetzt worden. In der Einheitsregierung<br />

gehe es „nicht um mich, sondern um uns“, versprach<br />

Bennett. Netanjahu war ein Einzelkämpfer,<br />

zutiefst misstrauisch selbst seinen engsten Mitarbeitern<br />

gegenüber, alle Karten immer nah bei<br />

sich haltend. In der One-Man-Show gab es allenfalls<br />

Platz für Statisten. Seine Anhänger, und davon<br />

gibt es immer noch viele, sehen darin Führungsqualitäten,<br />

die ein Staatsmann besonders im Nahen<br />

Osten brauchen würde.<br />

Bennett,49, steht hingegen für Teamgeist. Er ist<br />

22 Jahre jünger als Bibi, hat eine erfolgreiche Karriere<br />

als Start-up-Unternehmer hinter sich, dort<br />

zählen flache Hierarchien. Bennett müsse jetzt seinen<br />

eigenen Führungsstil ausformen und für sich<br />

beanspruchen, riet ein Kommentator, „als ein professioneller<br />

Premier und Technokrat, jung, zeitgemäß,<br />

zugänglich und sehr hightech“.<br />

Offen aber ist, wie lange die neue heterogene Regierung<br />

überhaupt halten kann. Was kontroverse<br />

Fragen angeht, wird man sich darauf einigen müssen,<br />

sie – soweit das möglich ist – zu umgehen. Angesagt<br />

ist konstruktive Politik. Man will sich auf das<br />

Machbare und Notwendige konzentrieren, vor allem<br />

die Wirtschaft, es geht darum, Posten zu besetzen,<br />

die vakant geblieben waren, Infrastrukturprojekte<br />

auf den Weg zu bringen. Zunächst aber muss<br />

erst einmal ein Haushaltsetat für <strong>2021</strong>–2022 verabschiedet<br />

werden.<br />

Viele Beobachter geben der neuen Koalition<br />

keine lange Lebensdauer. Politische Landminen<br />

Israels Präsident<br />

Reuvin Rivlin (M.),<br />

flankiert von Ministerpräsident<br />

Naftali<br />

Bennett (l.) und dem<br />

stellvertretenden<br />

Ministerpräsidenten<br />

und Außenminister<br />

Yair Lapid (r.) beim Fotoshooting<br />

der neuen<br />

Koalitionsregierung in<br />

der Residenz des Präsidenten<br />

in Jerusalem<br />

am 14. Juni <strong>2021</strong>.<br />

und Sicherheitsfragen, die schnell zu Zerreißproben<br />

werden könnten, gibt es genug. Und Netanjahu<br />

hat versprochen, auf der Oppositionsbank alles zu<br />

tun, um seine(n) Nachfolger zu stürzen. Seine fortdauernde<br />

Präsenz könnte aber auch weiterhin für<br />

den nötigen Zusammenhalt halten.<br />

Man darf gespannt sein, wie und wie lange sich<br />

die Kooperation gestalten wird zwischen einem religiösen<br />

Ministerpräsidenten, seinem säkularen Co-<br />

Premier, einer überzeugten Feministin an der Spitze<br />

der Arbeitspartei, einem bekennenden Homosexuellen<br />

als Vorsitzenden der Meretz-Partei und einem<br />

konservativen Muslim an der Spitze der Raam-Partei.<br />

Der Kreis ließe sich um eine äthiopischstämmige<br />

Ministerin und eine gehörlose Abgeordnete<br />

erweitern. So viel Diversität war noch nie.<br />

Dazu waren Werte, die man schon aus dem<br />

kollektiven Vokabular verschwunden geglaubt<br />

hatte, wie Teamgeist, Kompromissbereitschaft<br />

und Konsensfindung zum Prinzip<br />

erhoben worden.<br />

In jedem Fall aber hat mit dem Bennett-Team<br />

schon jetzt eine neue Art von Politik Einzug gehalten,<br />

die eine Zäsur signalisiert. Es könnte sein,<br />

dass es genau das ist, was das Land für einen Reset<br />

braucht, um nicht wieder an einem toten Punkt<br />

anzugelangen. Und neben einem anderen Tonfall<br />

ist noch etwas an der neuen Koalition anders – die<br />

geografische Verortung ihrer Mitglieder. Denn bis<br />

auf Mansour Abbas, der in Galiläa wohnt, und Avigdor<br />

Lieberman mit seinem Haus in einer Siedlung<br />

jenseits der Grünen Linie, leben alle anderen im<br />

Großraum Tel Aviv.<br />

wına-magazin.at<br />

9<br />

sommer_doppel1.indb 9 29.06.<strong>2021</strong> 10:04:53

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