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Wina Mai 2021

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Männerdominierte (Literatur)Welt<br />

© DVB Verlag<br />

deren Werke der Nationalsozialismus<br />

zunichtemachte. So ein eklatanter Fall<br />

ist auch Marta Karlweis, deren teils böse<br />

funkelnden Romane nach 1945 in Vergessenheit<br />

gerieten“, konstatiert der Literaturwissenschaftler<br />

Franz Haas.<br />

Die Buchfassung ihrer Erzählung Der<br />

Zauberlehrling erscheint 1913 in München.<br />

1919 erscheint bei S. Fischer der 440 Seiten<br />

starke Roman Die Insel der Diana, der<br />

ebenso wie der historische Roman Das<br />

Gastmahl auf Dubrowitza 1921 von der Kritik<br />

überaus positiv aufgenommen wird.<br />

Albert C. Eibl, dem Gründer des Verlages<br />

Das vergessene Buch (DVB) und dem<br />

Germanisten Johannes Sonnleitner als<br />

Herausgeber ist es zu danken, dass dieses<br />

Buch 2017 wieder aufgelegt wurde.<br />

Bereits 2015 wagte sich das Duo Eibl-<br />

Sonnleiter an eines der Spitzenwerke<br />

der Autorin: Ein österreichischer Don Juan.<br />

Florian Welle meint dazu in der Süddeutschen<br />

Zeitung: „Der bitterböse Roman handelt<br />

davon, wie ‚das Judenmädl‘ Cecile ins<br />

Verderben gestürzt wird. Karlweis’ Interesse<br />

liegt am Untergang der Monarchie.<br />

Doch liegt ihr jede Nostalgie fern. Großartig<br />

entlarvt wird eine bigotte, misogyne<br />

Operettengesellschaft.“<br />

Dass Marta Karlweis nach 1945 dennoch<br />

nicht mehr literarisch rehabilitiert<br />

wurde, sei hingegen vor allem der<br />

Nachkriegsgermanistik anzulasten, die<br />

„dezidiertes und aus heutiger Sicht beschämendes<br />

Desinteresse an der Literatur<br />

der Vertriebenen manifestierte“, stellt<br />

der Herausgeber fest. Auch der amüsante<br />

Roman Schwindel (1931) wurde 2017 im<br />

DVB Verlag wiederaufgelegt und mit einem<br />

kundigen Nachwort von Sonnleitner<br />

bereichert. Darin zeichnet die Autorin<br />

exemplarisch und parallel zum Zerfall<br />

der Donaumonarchie den Niedergang einer<br />

kleinbürgerlichen bis proletarischen<br />

Familie in drei Generationen auf. Der<br />

scharfsinnige Roman muss den Vergleich<br />

mit Ödön von Horváths zeitgleich erschienenen<br />

Geschichten aus dem Wiener Wald keinesfalls<br />

scheuen.<br />

Aktuell ist der vierte Band der von Verleger<br />

Albert C. Eibl und Germanist Johann<br />

Sonnleitner lobenswert betriebenen<br />

Karlweis-Renaissance erschienen,<br />

ihre Erzählung Der Zauberlehrling zusammen<br />

mit zwei späteren Novellen. Der Zauberlehrling<br />

ist der leichtsinnige Bonvivant<br />

Georg Hübner im Wien des Fin de Siècle,<br />

der Theater- und Kaffeehausbesuche,<br />

der „süßen Mädl“, der soignierten älteren<br />

Herren und der ungestümen Künstler.<br />

Es ist eine Gesellschaft im Aufbruch,<br />

die noch wenig von der nahen Katastrophe<br />

ahnt, jedoch insgeheim das Ende<br />

schon in sich trägt.<br />

Marta Karlweis, eine österreichische<br />

Schriftstellerin, die beeindruckende expressionistische<br />

Arbeiten schuf, war nicht<br />

nur ab 1926 Wassermanns zweite Frau,<br />

sondern auch seine erste Biografin. Wie<br />

sehr sie trotz ihrer literarischen Erfolge<br />

in der männerdominierten Welt eines Arthur<br />

Schnitzler, Hermann Bahr, Hugo von<br />

Hofmannsthal u. v. a. nicht gebührend<br />

zur Kenntnis genommen wurde, zeigt ein<br />

Auszug aus dem im Juli <strong>2021</strong> erscheinenden<br />

Buch der Historikerin Marie-Theres<br />

Arnbom mit dem Titel Die Villen vom Ausseerland:<br />

1929 erhält Jakob Wassermann<br />

Besuch von Egon Michael Salzer, einem<br />

Journalisten des Neuen Wiener Journals,<br />

der in zauberhafter Weise Einblick in die<br />

Idylle gewährt: Dort trifft der Journalist<br />

auf Marta Karlweis:„Inmitten eines Rosenbeetes<br />

steht die hübsche junge Hausfrau<br />

im kleidsamen Dirndl mit Schere<br />

und Korb bewaffnet, um die Rosenstöcke<br />

zu beschneiden, Unkraut auszujäten.<br />

Sie spricht von der Arbeit ihres Mannes:<br />

‚Und Sie, gnädige Frau, leben hier in diesem<br />

Paradies ganz weltabgeschieden?‘,<br />

frage ich. ‚Was fällt Ihnen ein!‘, repliziert<br />

die schöne Frau. Weist auf die Rosen hin,<br />

denen so viel Liebe gilt, erinnert an ihren<br />

entzückenden Jungen, der eben mit dem<br />

Vater einen Spaziergang macht. ‚Wohl ist<br />

hier unser Heim, die Arbeitsstätte meines<br />

Gatten.‘“<br />

Ist Karlweis zu bescheiden, oder passt<br />

sie sich nur den gängigen und von ihr<br />

erwarteten gesellschaftlichen Konventionen<br />

an? Leider können wir sie nicht<br />

mehr fragen.<br />

Nach der Machtergreifung Hitlers distanzierte<br />

sich die neue Verlagsleitung unter<br />

Samuel Fischers Schwiegersohn von<br />

seinem Erfolgsautor Wassermann. Außerdem<br />

ließ die erste Frau noch Wassermanns<br />

Verlagskonto sperren, daher muss<br />

er auch befürchten, das Haus in Altaussee<br />

zu verlieren. Am 1. Januar 1934 starb<br />

Wassermann an einem Schlaganfall, nachdem<br />

er vergeblich versucht hatte, einen<br />

Vorschuss für seine schriftstellerische Tätigkeit<br />

zu bekommen. Noch im Jänner zog<br />

Marta Wassermann nach Zürich, wo sie bei<br />

C. G. Jung ihr unterbrochenes Psychologiestudium<br />

fortsetzte. Von Julie Wassermann-Speyer,<br />

die in den Besitz des Hauses<br />

zu kommen versuchte, wurde sie mit<br />

Klagen überzogen. 1938 ebenfalls nach Zürich<br />

emigriert, mietete sich diese im gleichen<br />

Haus wie Karlweis ein, die nach ihrem<br />

Studienabschluss nach Kanada floh.<br />

1939 übernahm sie einen Lehrauftrag an<br />

der McGill-Universität in Montreal. Bis zu<br />

ihrem Tod arbeitete sie in ihrer psychiatrischen<br />

Praxis in Ottawa. Am 2. November<br />

1965 starb Marta Karlweis auf einer Reise<br />

nach Lugano, von wo aus sie ihre im Tessin<br />

lebende Tochter Bianca besuchen wollte.<br />

Als letztes Buch hatte die damal 45-Jährige<br />

bereits 1935 die Biografie ihres Mannes<br />

im Amsterdamer Querido Verlag herausgebracht.<br />

wına-magazin.at<br />

45<br />

sommer_doppel1.indb 45 29.06.<strong>2021</strong> 10:06:26

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