Wina Mai 2021
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Lower East Side<br />
© ullstein bild/Ullstein Bild/picturedesk.com<br />
Man importierte<br />
kaum mehr<br />
Operettennoten,<br />
setzte<br />
dagegen auf<br />
amerikanische<br />
Ware und auf<br />
die Suche nach<br />
einem eigenen<br />
nationalen Ton.<br />
strikt zu bleiben. Dort betrieb Morris ein<br />
türkisches Bad, Ira sollte eine Zeitlang bei<br />
ihm arbeiten.<br />
Song Plugger. Entscheidend für die Zukunft<br />
der Söhne sollte einen Anschaffung<br />
werden, die ursprünglich für Ira gedacht<br />
war: ein Klavier. Doch schnell hatte es der<br />
jüngere George für sich okkupiert, nahm<br />
auch ernsthaft Unterricht. Er verließ die<br />
Schule mit 15 und verdiente sein erstes<br />
Geld bereits mit Musik, als so genannter<br />
Song Plugger. Dabei ging es darum, Noten<br />
zu verkaufen, indem man den prospektiven<br />
Kunden die Stücke vorspielte und sie<br />
eventuell auch für unterschiedliche Stimmen<br />
tonartmäßig versetzte.<br />
Eine weitere Einnahmequelle erschloss<br />
sich George, indem er Walzen für<br />
automatische Klaviere aufnahm. Darunter<br />
war nun schon die eine oder andere<br />
Geniales Duo.<br />
Das Klavier wur-<br />
de eigentlich für<br />
Ira angeschafft,<br />
der schrieb aber<br />
lieber Songtexte,<br />
während Geor-<br />
ge bereits mit<br />
15 Jahren sein<br />
erstes Geld mit<br />
Musik verdiente.<br />
eigene Komposition, freilich unter Phantasienamen.<br />
Und er begleitete Sängerinnen auf<br />
der Bühne bei leichten Vaudeville-Programmen.<br />
1919 schrieb er seinen ersten Hit, Swanee,<br />
kassierte erstmals Tantiemen. Und auch<br />
das Komponieren fürs Musical begann in diesen<br />
Jahren.<br />
Obwohl Ira der Ältere war, begann er später<br />
mit seiner Arbeit für die Unterhaltungsbranche.<br />
Er hatte wohl einen Schulabschluss, das<br />
College aber geschmissen und dann bei seinem<br />
Vater mitgearbeitet. Doch auch er konnte<br />
sich der Faszination des Yiddish Theater District<br />
nicht entziehen. Sein Talent für das Textschreiben<br />
wurde Anfang der 1920er-Jahre erkannt,<br />
als sein Bruder bereits am Weg nach<br />
oben war. Und um diesem nicht in die Quere<br />
zu kommen, lieferte Ira seine ersten Songtexte<br />
unter Pseudonym ab, eben als Arthur Francis.<br />
Doch ab dem großen Erfolg von Lady, Be Good<br />
brauchte er sich nicht mehr zu verstecken und<br />
wurde mit seinem Bruder zum kongenialen<br />
Dream Team der Musicalbühne.<br />
Der Erfolg der beiden war sicher ihren außergewöhnlichen<br />
Talenten geschuldet, so Amy<br />
C. Baumgartner. Sie analysierte in ihrer Master-Arbeit<br />
an der University of Virginia den<br />
Aufstieg der Gershwins etwas umfassender.<br />
Was die musikalische Seite anging, so integrierte<br />
George erfolgreich Jazz-Elemente, die<br />
wohl in Städten wie New Orleans oder Chicago<br />
bereits <strong>Mai</strong>nstream waren, New York hinkte<br />
aber noch etwas hinterher. Die internationale<br />
Politik spielte ebenfalls eine Rolle: Die<br />
USA hatten sich nach dem Ersten Weltkrieg<br />
in eine selbstgewählte Isolation zurückgezogen,<br />
und diese betraf auch die kulturelle Produktion.<br />
Man importierte kaum mehr Operettennoten,<br />
setzte dagegen auf amerikanische<br />
Ware und auf die Suche nach einem eigenen<br />
nationalen Ton.<br />
Diesem spürte George Gershwin auch abseits<br />
der Musical-Bühnen nach, eine Etage<br />
höher auf der Prestigeskala, zwischen Unterhaltungsmusik<br />
und so genannter ernster<br />
Musik. Schon 1924 komponierte er sein erstes<br />
klassisches Stück, die Rhapsody in Blue, beeinflusst<br />
von zeitgenössischen französischen<br />
Komponisten wie Maurice Ravel oder Claude<br />
Debussy, aber schon mit genuin amerikanischem<br />
Schwung und voller Elemente von Jazz<br />
und Blues. Das Werk machte ihn nun auch in<br />
der „seriösen“ Musikwelt bekannt. Und er verfolgte<br />
diesen Weg weiter, parallel zu neuen,<br />
wieder erfolgreichen Musicals. Bei einem Aufenthalt<br />
in Paris Mitte der 1920er-Jahre entstand<br />
An American in Paris.<br />
Dort traf er auch auf Ravel, und von diesen<br />
Begegnungen gibt es mehrere – nicht ganz<br />
seriös belegte – Zitate. So soll Ravel die Bitte<br />
wına-magazin.at<br />
47<br />
sommer_doppel1.indb 47 29.06.<strong>2021</strong> 10:06:27