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Wina Mai 2021

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Abkehr von der Deklamation<br />

© Charles Scolik sen. / Ullstein Bild / picturedesk.com<br />

aterbesucher und sammelte bald schon<br />

den Mut, den bekannten Schauspieler Bogumil<br />

Dawison eines Tages früh am Morgen<br />

zu besuchen, um diesem privat vorzusprechen.<br />

Er trug seinen Monolog aus<br />

Schillers Die Räuber mit derartigem Pathos<br />

und Schwung vor, dass, als er sich auf einen<br />

Stuhl warf, dieser in Stücke brach.<br />

Der überraschte Dawison lächelte und<br />

sagte: „Es ist nicht unbedingt notwendig,<br />

bei dieser Szene einen Stuhl zu zerbrechen,<br />

aber sonst haben Sie ganz geschickt<br />

vorgetragen.“<br />

Dawison stellte den jungen Enthusiasten<br />

dem damaligen Burgtheater-Direktor<br />

Heinrich Laube vor, und da dieser das Talent<br />

Sonnenthals sofort erkannte, gab er<br />

ihm den Rat, an kleineren Theatern seine<br />

Fähigkeiten weiterhin zu beweisen.<br />

So begann Adolf Sonnenthal seine Theaterlaufbahn<br />

zuerst in Temesvár (Timisoara),<br />

ging von dort an das Theater von<br />

Hermannstadt (Sibiu), wo er von 1852 bis<br />

1854 blieb, und war danach in Graz in<br />

der Saison 1854–1855 engagiert, von wo<br />

er schließlich ins ferne Königsberg (Kaliningrad)<br />

zog. Am 18. <strong>Mai</strong> 1856 spielte Adolf<br />

Sonnenthal das erste Mal in Wien – vorerst<br />

noch als Gast und in der Rolle des Mortimer<br />

in Schillers Maria Stuart. Da der Erfolg<br />

auch in Wien nicht ausblieb, wurde<br />

er 1859 an das Burgtheater engagiert, Im<br />

Jahr darauf heiratete er Pauline Pappenheim,<br />

mit der er fünf Kinder hatte: Felix,<br />

Hermine, Edmund, Sigmund und Paul.<br />

Adolf Sonnenthal wurde rasch zum<br />

großen Vorbild seiner Generation: Die<br />

Kleider, die er trug, beeinflussten die<br />

Wiener Mode, Zeitungen publizierten<br />

seine Sprüche und berichteten über alles,<br />

was ihn betraf – von seinem Beinbruch<br />

über den frühen Tod seiner Ehefrau<br />

1872 bis zu den Geschichten seiner<br />

Kinder und Enkelkinder.<br />

nig Lear, Hamlet, Nathan,<br />

Macbeth und Clavigo zählten<br />

zu seinen legendärsten<br />

Rollen, er war aber auch in<br />

Komödien erfolgreich und<br />

galt als einer der ersten<br />

großen „Konversationsschauspieler“.<br />

Er war einer<br />

der ersten Schauspieler,<br />

der die pathetische Bühnendeklamation<br />

durch natürliches<br />

Sprechen und realistischen<br />

Gestus ersetzte,<br />

sein Name war auf der<br />

ganzen Welt bekannt und<br />

man lud ihn mehrmals<br />

zu Gastspielen, darunter<br />

nach Russland (1884, 1900)<br />

und in die USA (1885, 1899, 1902), ein.<br />

Deutsch war Sonnenthals Muttersprache,<br />

doch auch seine Französischkenntnisse<br />

waren beachtlich, und so übersetzte<br />

der Schauspieler, Regisseur und spätere<br />

Intendant in seiner kargen Freizeit eine<br />

beachtliche Anzahl an damals populären<br />

französischen Stücken.<br />

1870 wurde er Hauptregisseur und Direktor<br />

des Burgtheaters, 1884 dessen Generaldirektor.<br />

1881 wurde der hochgerühmte<br />

Künstler von Kaiser Franz Joseph<br />

mit der „Eisernen Krone“ und dem Ritter-Titel<br />

ausgezeichnet, 1906 folgte das<br />

Offizierskreuz des Franz-Joseph-Ordens,<br />

weitere Ehrungen erhielt er vom Badener<br />

Großherzog und vom bulgarischen Fürsten.<br />

Doch nicht nur Publikum und Adel<br />

verehrten ihn, sondern auch seine Kollegen:<br />

So wurde Sonnenthal zum ersten<br />

Präsidenten des Verbandes österreichischer<br />

Schauspieler ernannt, und zu seinem<br />

40-jährigen Bühnenjubiläum überraschten<br />

ihn seine Kollegen mit einem aus<br />

reinem Gold gefertigten Lorbeerkranz,<br />

der die Aufschrift „Dem Meister des deutschen<br />

Schauspiels – die Schauspielkünstler<br />

der Burg 1. Juni 1896“ trug; auf einem<br />

der äußeren Blätter kann man heute noch<br />

die Jahresangaben „1856–1896“ erkennen.<br />

Mit seinem Elternhaus und seiner Geburtsstadt<br />

Budapest blieb Adolf Sonnenthal<br />

sein Leben lang eng verbunden,<br />

verzichtete aber dennoch 1889 auf seine<br />

ungarische Staatsbürgerschaft, was eine<br />

Reihe von Budapestern damals auch verärgerte.<br />

Solange es existierte, war er Mitglied<br />

des Ensembles des Deutschen Theaters in<br />

Pest, und sein gelegentliches Auftreten<br />

galt für seine Verehrer stets als vielbeachtetes<br />

Fest. Und so war es nur einem glücklichen<br />

Zufall des Schicksals geschuldet, dass<br />

„Es ist nicht<br />

unbedingt<br />

notwendig, bei<br />

dieser Szene<br />

einen Stuhl zu<br />

zerbrechen,<br />

aber sonst<br />

haben Sie<br />

ganz geschickt<br />

vorgetragen.“<br />

Bogumil Dawison<br />

Realistischer Gestus. Berühmt wurde Sonnenthal<br />

unter anderem für sein großes Erinnerungsvermögen,<br />

das ihm das Erlernen<br />

immer neuer Rollen erleichterte.<br />

Während der 53 Jahre, die er am Burgtheater<br />

verbrachte, spielte er nicht weniger<br />

als 400 Rollen, die er alle später stolz<br />

in seinen Memoiren auflistete. Selten gab<br />

es einen Monat, in dem er lediglich eine<br />

Rolle spielte – in seinen ersten vier Bühnenjahren<br />

trat er während der Theatersaison<br />

monatlich in drei bis vier Neuinszenierungen<br />

auf. Sonnenthal zeichnete sich<br />

in allen Sparten des Theaters aus, Faust,<br />

Wallenstein, Karl Moor, Don Carlos, Köer<br />

am 20. Dezember 1889,<br />

dem Tag, an dem das Theater<br />

durch einen Brand zerstört<br />

wurde, trotz der vorherigen<br />

Ankündigung seines<br />

Besuchs nicht auftrat.<br />

Als einer der bestbezahlten<br />

Schauspieler der Monarchie<br />

nahm Sonnenthal<br />

immer wieder an damals<br />

populären Benefizveranstaltungen<br />

teil, zu denen<br />

auch solche für jüdische<br />

Wohltätigkeitsvereine gehörten.<br />

Sein Judentum war<br />

kein Geheimnis, und seine<br />

Popularität wurde vorerst<br />

durch den aufkommenden<br />

Antisemitismus nicht gemindert. Doch<br />

zur Jahrhundertwende war der Antisemitismus<br />

in Wien bereits derart erstarkt,<br />

dass seine Ernennung zum Ehrenbürger<br />

der Stadt nicht mehr durchgesetzt werden<br />

konnte.<br />

Sein 50-jähriges Berufsjubiläum feierte<br />

das Burgtheater mit einer Aufführung<br />

von Nathan der Weisen; und während<br />

seiner letzten Lebensjahre bearbeitete er<br />

Shakespeares Kaufmann von Venedig mit<br />

dem Wunsch, durch eine neue Interpretation<br />

des Shylock als dem in seinen Rechten<br />

verletzten wahren Helden des Stücks<br />

dem Antisemitismus auf seine Weise entgegenzutreten.<br />

Adolfs Sonnenthal starb am 4. April<br />

1909 während eines Gastspiels am Deutschen<br />

Theater in Prag. Alle Zeitungen der<br />

Monarchie brachten ausführliche Nachrufe,<br />

Kaiser Franz Joseph lud Sonnenthals<br />

Kinder zu sich ein, um persönlich sein<br />

Beileid auszudrücken, und am 5. November<br />

1911 wurde ihm zu Ehren eine Büste<br />

im Burgtheater aufgestellt. Heute erinnert<br />

eine Gasse in Ottakring an den einst vielgeliebten<br />

Charakterdarsteller.<br />

Von seinen Nachfahren folgte ihm zwei<br />

Frauen auf Bühne: Seine Enkelin Helene<br />

von Sonnenthal (1893–1953) wurde Theaterschauspielerin<br />

und trat in Tschechien,<br />

Deutschland und Österreich auf. Eine<br />

weitere Enkelin, die sieben Jahre jüngere<br />

Sängerin und Schauspielerin Luise „Luzi“<br />

von Sonnenthal, heiratete 1924 keinen Geringeren<br />

als den weltberühmten Komponisten<br />

Erich Wolfgang Korngold (1897–<br />

1957). 1932 emigrierte sie mit ihrem Mann<br />

in die USA, wo sie 1962 in Hollywood starb.<br />

In der Datenbank von Yad Vashem findet<br />

man unter den ermordeten Juden 13-<br />

mal den Namen Sonnenthal.<br />

wına-magazin.at<br />

51<br />

sommer_doppel1.indb 51 29.06.<strong>2021</strong> 10:06:31

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