Wina Mai 2021
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Gemachte Unsicherheit<br />
Ein Mord,<br />
DER NACHWIRKT<br />
Axel Magnus ist mit dieser einen Erzählung<br />
aufgewachsen: Die Großmutter, bei der er aufwuchs,<br />
schilderte immer und immer wieder,<br />
wie ihr Vater eines Tages in der NS-Zeit abgeholt<br />
wurde und nicht mehr wiederkam. Als<br />
Erwachsener wurde ihm nach und nach klar, wie<br />
diese Familientragödie sein eigenes Leben beeinflusste<br />
– positiv wie negativ. Im Alter von 40<br />
Jahren machte er sich daher daran zu recherchieren,<br />
was dem Urgroßvater zugestoßen war.<br />
Text: Alexia Weiss, Fotos: Daniel Shaked<br />
Wir treffen einander ganz<br />
Corona-konform im<br />
Freien, um über den Verbleib<br />
von Hugo Quittner<br />
(1875–1941) zu sprechen, über dessen Leben,<br />
Magnus’ Leben und eine Lücke, die<br />
immer da ist, die nicht zu füllen ist. Der<br />
dafür gewählte Ort ist kein zufälliger: der<br />
Leon-Zelman-Park in Wien-Landstraße.<br />
Magnus lebt im dritten Bezirk, ist in der<br />
SPÖ Landstraße aktiv, übt mehrere Funktionen<br />
in der Gewerkschaft der Privatangestellten<br />
(GPA) aus, die ebenfalls in diesem<br />
Bezirk zu finden ist.<br />
Hier, auf dem ehemaligen Areal des<br />
Aspangbahnhofes, befindet sich aber vor<br />
allem das Mahnmal, das daran erinnert,<br />
das von hier aus mehr als 47.000 Jüdinnen<br />
und Juden von den Nationalsozialisten<br />
deportiert wurden. Einer von ihnen<br />
war Hugo Quittner. Er verließ Wien am<br />
23. November 1941. Wie Magnus inzwischen<br />
recherchierte, war der an diesem<br />
Tag aus Wien abgefahrene Zug einer jener,<br />
der die gewaltsam mit ihm Beförderten<br />
direkt in den Tod im Baltikum transportierte.<br />
„Mein Urgroßvater gehörte wohl zu<br />
jenen, die nach der Ankunft im Osten sofort<br />
in eine Grube geschossen wurden.“<br />
Die Großmutter, die 1992 verstarb,<br />
wusste bis an ihr Lebensende nicht, wie<br />
das Leben ihres Vaters schließlich geendet<br />
hatte. „Damals gab es das Findbuch noch<br />
nicht, und eine Internetrecherche war<br />
auch noch nicht möglich. Wahrscheinlich<br />
hätte man die relevanten Informationen<br />
schon damals im Dokumentationsarchiv<br />
des Österreichischen Widerstands gefunden.“<br />
Doch damals war Magnus noch<br />
nicht auf die Idee gekommen nachzuforschen.<br />
Er selbst kam 1967 in Salzburg zur Welt. Die<br />
Eltern ließen sich scheiden, als er eineinhalb<br />
Jahre alt war, der Vater hatte die<br />
Mutter misshandelt, die Mutter wurde<br />
alkoholkrank. Axel und seine Schwester<br />
übersiedelten daher zu den Großeltern,<br />
die Großmutter beschreibt der Enkel<br />
heute als „Helikopteroma“. „Sie war<br />
ein Kontrollfreak, hat nie losgelassen. Wir<br />
haben auch extrem lange bei ihr im Bett<br />
geschlafen, und das ist von ihr ausgegangen.“<br />
Die Großmutter habe sich wie eine<br />
Übermutter verhalten und habe immer<br />
„zu gut aufgepasst“. Im Rückblick könnte<br />
das damit zu tun haben, dass ihr Sohn im<br />
Alter von fünf Monaten bei einem Bombenangriff<br />
starb. Es könnte aber auch daran<br />
liegen, dass sie nie erfahren habe, was<br />
mit ihrem Vater passiert ist. Immer und<br />
immer wieder habe sie jedenfalls von<br />
dem Tag erzählt, an dem der Vater abgeholt<br />
worden war. „Aber wahrscheinlich<br />
war es eine Kombination.“<br />
Was das mit ihm als Kind und auch als<br />
Erwachsenen machte, darüber wurde sich<br />
Axel Magnus erst nach Jahrzehnten klar.<br />
Hilfreich war da auch eine Psychotherapie.<br />
Heute tritt der Politik- und Kommu-<br />
24 wına | Juni/Juli <strong>2021</strong><br />
sommer_doppel1.indb 24 29.06.<strong>2021</strong> 10:05:26