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Wina Mai 2021

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DAS LETZTE MAL<br />

Das letzte Mal,<br />

dass ich reisen wollte, aber doch nicht<br />

durfte, war wenige Wochen nach der Geburt<br />

meines Kindes. Es ist ein Baby für<br />

Fortgeschrittene – ich bin Anfängerin.<br />

Diese Lautstärke bei gleichzeitig fehlendem<br />

Schlaf hat mich trotz der Freude hart<br />

erwischt. Da kam der Satz aus mir: „Wie<br />

schön wäre es, einfach für ein Wochenende<br />

auf Erholung zu fahren.“ Ich meinte<br />

natürlich ohne Baby.<br />

Das letzte Mal, dass ich mich gerne mit<br />

einem Wochenendurlaub belohnt hätte,<br />

ist eigentlich jetzt. Jetzt bin ich an einem<br />

Punkt, an dem ich uns gern dafür belohnen<br />

würde, wie gut wir mittlerweile mit den<br />

Grenzerfahrungen des Elternseins umgehen.<br />

Unser Baby dürfte jetzt sogar mit.<br />

Das letzte Mal, dass ich von einer Reise<br />

am liebsten nicht wieder zurückgekommen<br />

wäre, war – wenn ich etwas antworten<br />

muss – Pula in Kroatien. Eigentlich freue<br />

ich mich nämlich immer aufs Zurückkommen<br />

zu unseren Katzen. Aber dieser Urlaub<br />

war der perfekte Sommer: ein Mobile<br />

Home direkt am Meer. Der Morgenkaffee im<br />

Schlafgewand am Strand. Eine Wespe beobachten,<br />

wie sie sich Stück für Stück vom<br />

Schinken schneidet. Eine Reisegemeinschaft,<br />

die ich ins Herz geschlossen habe.<br />

Das letzte Mal, dass ich etwas unfrisiert<br />

gemacht habe, war heute: ein Spaziergang<br />

im Prater mit dem Haarknoten von vorm<br />

Schlafengehen am Vorabend. Für die Lesebühne<br />

bin ich dann doch zu eitel für keine<br />

Frisur, aber privat bin ich für eine Frisur, die<br />

sitzt, oft zu faul.<br />

Das letzte Mal, dass ich auf einer Veranstaltung<br />

mit perfekt frisierten Menschen<br />

war, war vielleicht bei meiner Sponsion.<br />

Außerdem war ich die einzige Frau mit<br />

Hose. Das hat mich doch etwas schockiert.<br />

Das war viel auffälliger als jegliche Haartracht.<br />

VOM WEGFAHREN<br />

UND WESPEN<br />

Für alles gibt es ein erstes Mal – aber auch ein letztes! In diesem Monat<br />

berichtet Autorin Nadine Kegele aus der Baby-Nachtschicht von<br />

einem Urlaub, der niemals hätte zu Ende gehen müssen.<br />

Die Vorarlbergerin Nadine Kegele, 40, debütierte 2013 mit dem Buch Annalieder,<br />

im selben Jahr wurde sie zum Ingeborg-Bachmann-Preis eingeladen und gewann<br />

dort den Publikumspreis. 2017 erschien ihre Protokollsammlung Lieben muss man<br />

unfrisiert über das Selbstverständnis von Frauen. Im Text für das Theaterstück Bin<br />

noch in Tanger und darf nicht reisen/Thérèse beschäftigte sie sich mit Therese Zauser,<br />

geboren 1910, die als 19-Jährige Feldkirch verließ und als Artistin arbeitete. In<br />

Nordafrika und den Mittelmeerländern trat sie als Sängerin und Tänzerin (oder,<br />

wie sie es nannte, „danseuse et chanteuse fantaisiste“) auf. Nach einem Auftritt in<br />

Deutschland wurde Zauser wegen feindlicher Äußerungen gegenüber dem Naziregime<br />

denunziert, verhaftet und im Oktober 1941 in das KZ Ravensbrück transportiert.<br />

Dort verliert sich ihre Spur. Die Sterbeurkunde des KZ Ravensbrück ist auf<br />

den 11. Februar 1942 datiert.<br />

Bin noch in Tanger und darf nicht reisen/Thérèse:<br />

30.6., 20 Uhr, Theater Hamakom,<br />

hamakom.at<br />

© www.detailsinn.at<br />

64 wına | Juni/Juli <strong>2021</strong><br />

sommer_doppel1.indb 64 29.06.<strong>2021</strong> 10:06:48

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