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Wina Mai 2021

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Not in my Name – lo be shmi<br />

schrieben sich unzählige Frauen<br />

in Israel in ihre Handflächen und<br />

protestieren so gegen Gewalt<br />

und Hass im eigenen Land.<br />

Editorial<br />

Der Atemzug zwischen der Euphorie über fallende<br />

Masken und einen Hauch an Normalität und Freiheit<br />

und dem Sirenengeheul des Krieges war zu<br />

kurz, um richtig durchatmen zu können. Kaum<br />

haben die Israelis die Quarantäne verlassen, müssen sie<br />

auch schon zurück in die Enge ihrer Sicherheitsräume und<br />

Bunker. Erneut bringt ein bewaffneter Konflikt zwischen<br />

der Terrororganisation Hamas und Israel Angst und Trauer<br />

über die Region. Das ist nichts Neues, könnte man denken.<br />

Doch dieser Konflikt birgt einige neue Momente in sich, die<br />

einen mit Sorge erfüllen.<br />

Anfang April tauchte das erste Video über den Social-Media-Kanal<br />

TikTok auf, in dem ein muslimischer Israeli einen<br />

orthodoxen Juden in einer Jerusalemer Straßenbahn ohrfeigt.<br />

Seither tauchen immer wieder Videos mit ähnlichem<br />

Inhalt auf und erinnern erschreckend an Aufnahmen aus<br />

dem Zweiten Weltkrieg.<br />

Eine Ohrfeige ist erniedrigend, das wird jeder<br />

Psychologe bestätigen. Geohrfeigte Menschen<br />

sind keine kriegerischen Auseinandersetzungen,<br />

brennende Synagogen nicht<br />

der legitime Ausdruck politischer Kritik. Das<br />

sind eindeutig rassistisch, antisemitisch motivierte<br />

Gewaltakte. Und Gewalt schürt Gewalt<br />

– vermutlich ist das reines Kalkül – und<br />

stärkt damit die Extreme auf beiden Seiten.<br />

Zugleich werden aber auch die sozialen Medien<br />

genutzt, um zu angeblich israelkritischen<br />

Veranstaltungen aufzurufen, die derzeit europaweit<br />

vielerorts stattfinden. Die jüdische<br />

Bevölkerung des Kontinents zeigt sich besorgt<br />

über den on- und offline erfahrenen Hass und<br />

die rasch ansteigende Bedrohung: Flaggenverbrennungen<br />

vor Synagogen in Deutschland,<br />

Skandieren antisemitischer und rassistischer<br />

Propaganda in Wien, Amsterdam, London – es sind Reminiszenzen<br />

an die dunkelsten Jahre unserer Geschichte.<br />

Der Konflikt in Israel ist bedrohlich und komplex – Emotionalität,<br />

Unwissenheit und Fake News machen ihn nur<br />

noch gefährlicher. Und mittlerweile haben nicht nur die<br />

Menschen der Region Angst. Doch Angst ist kein guter Ratgeber.<br />

Das haben wir spätestens durch die Pandemie begriffen.<br />

Sie hat in den letzten Monaten zu falschen Entscheidungen,<br />

Verschwörungstheorien und Aggression geführt,<br />

anstatt jede vorhandene Energie in die Lösung einer weltweit<br />

bedrohlichen Situation zu investieren. Sie hat dazu geführt,<br />

dass sich das Virus explosionsartig verbreiten konnte.<br />

Nach vielen Monaten unermüdlicher internationaler Forschung<br />

hoffen wir derzeit alle, dass die Impfungen nun das<br />

Ende der Pandemie bedeuten werden.<br />

Rassismus, Antisemitismus und Verschwörungstheorien<br />

ähneln in ihrem Verhalten Viren: Sie mutieren schnell, damit<br />

wir sie nicht erwischen können. Doch nach Jahrhunderten<br />

rassistischer und antisemitischer Gewaltäußerungen und<br />

dem Versuch, diese zu analysieren, zu verstehen und zu verhindern,<br />

stehen wir im <strong>Mai</strong> <strong>2021</strong> erneut vor der Situation, dass<br />

wir keine wirklichen Gegenmittel gegen dieses Virus haben,<br />

das sich ebenso pandemisch wieder zu verbreiten versucht.<br />

Quarantäne hilft da wohl nichts. Wissen, ausgewogene Berichterstattung<br />

und Dialog auf allen Seiten könnten vermutlich<br />

zumindest maskenähnlich vor der Verbreitung schützen.<br />

Doch die Impfung, die uns alle einmal ein friedliches Miteinander<br />

erleben lässt, muss noch gefunden werden.<br />

Julia Kaldori<br />

„Unsere Zweifel<br />

sind Verräter und<br />

häufig die Ursache<br />

für den Verlust<br />

von Dingen,<br />

die wir gewinnen<br />

könnten, scheuten<br />

wir nicht den<br />

Versuch.“<br />

William Shakespeare<br />

© Ariella Bernstein<br />

wına-magazin.at<br />

1<br />

sommer_doppel1.indb 1 29.06.<strong>2021</strong> 10:04:37

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