Wina Mai 2021
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Perspektiven von Frauen<br />
hen und soll maßgeblich<br />
zur Durchsetzung des internationalen<br />
Stils beigetragen<br />
haben. (Das Werbeplakat<br />
für die Messe von<br />
1934 wurde übrigens vom<br />
österreichischen Grafiker<br />
Franz Krausz designt.) Die<br />
Aufträge für die Dutzenden<br />
Pavillons und Einrichtungen<br />
der Messe wurde durch<br />
teilweise anonyme Ausschreibungen<br />
vergeben,<br />
an denen die jungen Architektinnen<br />
gegen führende<br />
Berufskollegen im Land<br />
antraten – und gewannen. „Der Beitrag<br />
dieser Frauen zur Architektur im Land<br />
ist nicht weniger wichtig als jener ihrer<br />
männlichen Kollegen jener Zeit“, meint<br />
Davidi, „doch ihre Namen sind teilweise<br />
aus der Geschichte ausradiert.“<br />
Elsa Gidoni-Mandelstamm entwarf für<br />
die Levant Fair unter anderem das Café<br />
Galina, das, wie viele ihrer Projekte, viel<br />
internationalen Beifall erntete. In Folge<br />
ihrer Arbeit für die Messe wurde sie zu<br />
Ausschreibungen für öffentliche Gebäude<br />
eingeladen und gewann die Aufträge<br />
für die Haushaltschule im Neve-<br />
Jizhak-Viertel in Tel Aviv und für das Beit<br />
HaHaluzot, das einstige Haus der Pionierinnen,<br />
in der King-George-Straße. Die<br />
erst 1933 aus Berlin eingewanderte Architektin<br />
eröffnete ihr eigenes Büro und<br />
wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.<br />
Einige ihrer im internationalen<br />
Stil erbauten Häuser im alten Norden<br />
Tel Avivs sind erhalten geblieben und stehen<br />
unter Denkmalschutz. „Ich konnte zu<br />
Anfang nichts über Gidoni finden“, berichtet<br />
Davidi: „Erst nach und nach habe<br />
ich Material zusammengetragen und verstand,<br />
wie signifikant ihre Arbeit war. Sie<br />
hat hier einen wichtigen Beitrag zur Architektur<br />
geleistet, doch sie ist im Ausland<br />
viel bekannter als hier in Israel.“ Gidoni<br />
blieb nur fünf Jahre und ging dann<br />
„Der Beitrag<br />
dieser Frauen<br />
zur Architektur<br />
im Land<br />
ist nicht weniger<br />
wichtig<br />
als jener ihrer<br />
männlichen<br />
Kollegen jener<br />
Zeit.“<br />
Dr. Sigal Davidi<br />
Die Architektin Sigal Davidi hat mehr<br />
als ein Jahrzehnt damit verbracht, die<br />
Werke und den Werdegang dieser „vergessenen<br />
Architektinnen“ in mühsamer<br />
Puzzle-Arbeit zu recherchieren. In ihrem<br />
kürzlich erschienen Buch Ein neues Land<br />
erbauen, Architektinnen und Frauenorganisationen<br />
in Palästina unter dem Britischen Mandat<br />
(erschienen auf Hebräisch in der Open<br />
University Press) beschreibt sie die signifikante<br />
Rolle der Frauen in der Architektur<br />
jener Zeit: „Diese erste Generation von<br />
Architektinnen im Land durchbrach die<br />
Grenzen des weiblichen Stereotyps der<br />
‚unterstützenden Gefährtin‘, der in der<br />
zionistischen Utopie üblich war, und es<br />
ist bemerkenswert, wie sie sich in einer<br />
bis dahin rein männlichen Arbeitswelt<br />
durchsetzten. Sie führten ihre eigenen<br />
Architekturbüros und waren professionell,<br />
unabhängig und total auf ihre Arbeit<br />
fokussiert. Das Niveau ihrer Erfolge<br />
und Errungenschaften war sehr hoch und<br />
kann kaum mit der Situation von Architektinnen<br />
in anderen Ländern jener Epoche<br />
verglichen werden. Ihr Beitrag ist von<br />
großer Bedeutung, vor allem in Tel Aviv.“<br />
Frauen wurden erst nach und nach zu<br />
Beginn des 20. Jahrhunderts zum Architekturstudium<br />
zugelassen, in Deutschland<br />
und Österreich im Jahr 1919. Dieses<br />
hundertjährige Jubiläum wurde in Berlin<br />
mit der großen Ausstellung Frau Architekt<br />
gewürdigt. Das Technion eröffnete seine<br />
Fakultät erst später, und so kamen zu Beginn<br />
der 1920er-Jahre und bis zur Machtübernahme<br />
der Nationalsozialisten in<br />
Deutschland über ein Dutzend gut ausgebildete<br />
und begabte junge Architektinnen<br />
aus Europa, vor allem aus dem deutschsprachigen<br />
Raum, in das Land und erbauten<br />
hier ganze Wohnviertel, Schulen<br />
und sogar Synagogen. Hier konnten<br />
sie zu jener Zeit relativ leicht große Aufträge<br />
bekommen, was in Europa damals<br />
für Frauen noch schwierig war.<br />
„Der Bauboom in der Zeit vor der<br />
Staatsgründung versorgte alle mit ausreichend<br />
Arbeit“, erläutert Davidi. Sie<br />
wurde auf das Phänomen der „vergessenen<br />
Architektinnen“ aufmerksam, als<br />
sie ihre Doktorarbeit über die Levant-<br />
Fair, die Orient-Messe, recherchierte.<br />
Diese in den 1930er-Jahren regelmäßig<br />
in Palästina abgehaltene internationale<br />
Architekturausstellung, an der sich<br />
zahlreiche europäische Staaten beteiligten,<br />
war in Fachkreisen hoch angesenach<br />
New York ging, wo sie Wolkenkratzer<br />
an prominenten Adressen in Manhattan<br />
entwarf und Teil der Architektengruppe<br />
rund um Walter Gropius und dem Österreicher<br />
Richard Neutra wurde, die an einem<br />
Projekt von modularen, vorgefertigten<br />
Häusern arbeitete.<br />
Die gebürtige Wienerin<br />
Dora Gad war zwar „nur“<br />
Innenarchitektin, zeichnet<br />
aber für viele prestigeträchtige<br />
Projekte verantwortlich,<br />
darunter die Innenausstattungen<br />
des Israel<br />
Museums, der Knesset, des<br />
Tel Aviver Hilton Hotels sowie<br />
der Hotels Accadia und<br />
Sharon in Herzlia. Sie entwarf<br />
auch die Einrichtung<br />
der ZIM-Passagierschiffe.<br />
Dass alle diese Frauen<br />
einfach vergessen wurden,<br />
führt Davidi auf zwei mögliche<br />
Gründe zurück: „Geschichte<br />
wird zumeist von<br />
Männern geschrieben,<br />
‚HerStory‘ wird dabei nicht so sehr berücksichtigt.<br />
Und außerdem spielt es vielleicht<br />
auch eine Rolle, dass viele dieser<br />
erfolgreichen Architektinnen keine Kinder<br />
und keine eigene Familie hier hatten,<br />
sodass es niemanden gab, dem es wichtig<br />
gewesen wäre, ihr Andenken zu bewahren.“<br />
Die erste bedeutende Architektin im<br />
Land war übrigens Lotte Cohn. Sie kam<br />
aus Deutschland und plante schon in den<br />
1920er-Jahren zahlreiche Projekte und<br />
ganze Stadtviertel im modernen internationalen<br />
Stil oder Bauhaus-Stil, darunter<br />
die Landwirtschaftsschule für Frauen<br />
in Nahalal, das Rasco-Viertel und das Kaete<br />
Dan Hotel an der Küstenstraße von Tel<br />
Aviv, an dessen Stelle heute das Dan Hotel<br />
steht. Sie war es auch, die die erste mit<br />
Elektrizität betriebene moderne öffentliche<br />
Küche entwarf. „Sie schrieb interessante<br />
Texte über architektonische Planung<br />
und das Leben hier im Land, vieles<br />
aus der Perspektive einer Frau, die Architektur<br />
für Frauen macht“, ergänzt Davidi.<br />
Lotte Cohn soll auch einen ausgeprägten<br />
Sinn für Humor gehabt haben. In Anspielung<br />
auf ihre männlichen Berufskollegen<br />
soll sie gesagt haben: „Im Gegensatz<br />
zu meinen Kollegen habe ich das Privileg,<br />
eine Küche nicht nur zu entwerfen,<br />
sondern dann auch in ihr zu kochen.“<br />
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sommer_doppel1.indb 35 29.06.<strong>2021</strong> 10:06:06