16.05.2022 Aufrufe

Nr. 83 - Sommer 2022

Mont Saint-Michel: die Geheimnisse des "Gefängnisbergs" Drôme: die Schönheit der Dörfer Okzitanien: Céret, das "Mekka des Kubismus" Territoire de Belfort: die Stärke der Kleinen

Mont Saint-Michel: die Geheimnisse des "Gefängnisbergs"
Drôme: die Schönheit der Dörfer
Okzitanien: Céret, das "Mekka des Kubismus"
Territoire de Belfort: die Stärke der Kleinen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ON LIT EN FRANCE<br />

Unsere Auswahl an Büchern, über die man<br />

zurzeit in Frankreich spricht<br />

NOVELLEN<br />

HISTORISCHE ERZÄHLUNG<br />

Une sortie honorable<br />

Les petits personnages<br />

Marie Sizun, Arléa, 260 Seiten,<br />

20 €, ISBN 978-2363082909<br />

Die « kleinen Figuren » von denen Marie Sizun<br />

in den 30 Novellen in diesem Buch spricht, sind<br />

« diese Winzigen, diese Namenlosen », die Maler manchmal in ihre<br />

Gemälde integrieren, « wie Statisten zweiten Grades, die ohne<br />

Zweifel die Gesamtaussage des Bildes stützen, deren individuelles<br />

Schicksal jedoch offensichtlich niemanden interessiert ». Diese<br />

unaufdringlichen menschlichen Gestalten haben die Autorin schon<br />

immer neugierig gemacht. Die am Anfang jeder Novelle abgebildeten,<br />

mehr oder weniger bekannten Gemälde haben die Fantasie von<br />

Marie Sizun beflügelt, und sie erzählt uns amüsiert die Geschichten<br />

der « nur grob umrissenen Kreaturen ». Aus der unerwarteten und<br />

nicht alltäglichen Begegnung zwischen Kunst und Literatur sind<br />

liebenswerte und sehr poetische kleine Leseerlebnisse entstanden.<br />

Ein erfreuliches und ermutigendes Buch!<br />

Éric Vuillard, Actes Sud, 208 Seiten, 18,50 €, ISBN 978-2330159665<br />

Éric Vuillard, der 2017 für sein Buch L’ordre du jour den Prix Goncourt<br />

erhielt (das Buch erschien 2018 in Deutschland bei Matthes & Seitz<br />

unter dem Titel Die Tagesordnung), besitzt echtes Talent: Auf der<br />

Basis eingehender Recherchen – man könnte sie auch nahezu als<br />

verbissen bezeichnen – gelingt es ihm, Abschnitte der Geschichte,<br />

die jeder zu kennen glaubt, unter einem neuen Blickwinkel zu<br />

zeigen. In diesem Fall geht es um den Indochina-Krieg (1946-1954),<br />

einen nicht sehr rühmlichen Abschnitt der französischen<br />

Kolonialgeschichte, in dem sehr viel Blut floss. Der Autor<br />

zeichnet ein lehrreiches Porträt dieser Zeit, indem<br />

er uns sowohl mit nach Saigon (Vietnam), auf eine<br />

vom Michelin-Konzern auf üble Weise ausgebeutete<br />

Gummibaum-Plantage, als auch in die französische<br />

Nationalversammlung mitnimmt. Das Bild der<br />

politischen und militärischen Klassen dieser Zeit<br />

ist oftmals erschreckend. Ein nützliches Werk, das<br />

bewegt und nachdenklich macht!<br />

HISTORISCHER ROMAN<br />

Le gosse<br />

Véronique Olmi, Albin Michel, 304<br />

Seiten, 20,90 €, ISBN 978-2226448040<br />

An dieses Buch erinnert man sich mit<br />

Sicherheit noch lange, nachdem man es<br />

gelesen hat. Le gosse, der kleine Junge, das<br />

ist Joseph, ein sogenannter Titi parisien, ein<br />

Pariser Bengel, wie man auf Deutsch sagen<br />

würde: ein lebenslustiger Kerl, der 1919<br />

im Armenviertel Bastille in Paris geboren<br />

wird. Zunächst führt Joseph ein glückliches<br />

Leben mit Mutter und Großmutter, bis sein<br />

Leben eines Tages eine Wendung nimmt:<br />

Als Joseph sieben Jahre alt ist, stirbt seine<br />

Mutter, und er wird offiziell Pupille de l’État,<br />

ein vom Jugendamt betreutes Waisenkind.<br />

Anstatt nun vom französischen Staat in<br />

Obhut genommen zu werden, landet der<br />

Waise jedoch in der Hölle des Gefängnisses<br />

Petite Roquette (eine schreckliche<br />

Pariser Anstalt, die heute noch düstere<br />

Erinnerungen hervorruft, obwohl sich an<br />

ihrer Stelle heute ein Park befindet). Später<br />

teilt Joseph das tragische Schicksal vieler<br />

anderer Waisenkinder der damaligen Zeit in<br />

einem der sogenannten « Kinder-Bagnos »,<br />

die es überall im Land gibt. Dennoch gelingt<br />

es ihm, in diesem schrecklichen Umfeld die<br />

Liebe zu finden und schließlich die Freiheit<br />

zu erlangen. Ein erschütterndes Buch,<br />

wunderschön aus der Sicht des Kindes<br />

geschrieben. Anmerkung: Zum Thema der<br />

« Kinder Bagnos » haben wir in Frankreich<br />

erleben <strong>Nr</strong>. 76 einen Artikel publiziert (26.<br />

August 1934: Am Tag als die Kinder aus dem<br />

Bagno auf Belle-Île-en-Mer flüchten).<br />

14 · Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2022</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!