Nr. 83 - Sommer 2022
Mont Saint-Michel: die Geheimnisse des "Gefängnisbergs" Drôme: die Schönheit der Dörfer Okzitanien: Céret, das "Mekka des Kubismus" Territoire de Belfort: die Stärke der Kleinen
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Territoire de Belfort: die Stärke der Kleinen
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en Régime geändert, hätte in der Folge vermutlich nichts<br />
mehr die Ruhe dieser bemerkenswerten Gisants gestört.<br />
Dabei ist es zu Beginn gar nicht so schlecht um sie bestellt:<br />
Ein Dekret vom 2. November 1789 überführt die<br />
Gräber einschließlich der Pleurants in Staatsbesitz, um<br />
sie auf diese Weise zu schützen. Einige Jahre später,<br />
1793, ordnet allerdings ein neuer Erlass – der viel eher<br />
dem revolutionären Geist der Epoche<br />
entspricht – schlicht und einfach die<br />
Zerstörung « aller königlichen Bildnisse<br />
» an. Daraufhin werden auch die<br />
genannten Grabmale umgehend dem<br />
Erdboden gleichgemacht. Die « Trauernden<br />
» jedoch, die einfacher zu demontieren<br />
und zu transportieren sind,<br />
werden in alle Winde zerstreut. Dieses<br />
vorübergehende « Untertauchen » trägt<br />
letzten Endes zu ihrer Rettung bei.<br />
1799 tauchen die meisten von ihnen<br />
zur allgemeinen Überraschung wieder<br />
auf und werden zu Füßen originalgetreuer<br />
Rekonstitutionen der Grabmäler<br />
im ehemaligen Palast der Herzöge von<br />
Burgund (in dem sich heute das Musée<br />
des Beaux-Arts befindet) aufgestellt.<br />
Doch damit ist die Angelegenheit<br />
noch nicht zu Ende. Nach wie vor fehlen mehrere Pleurants.<br />
Vor allem für eine der Statuen, die <strong>Nr</strong>. 17, soll es<br />
sehr lange dauern, bis sie wieder ihren ursprünglichen<br />
Platz einnehmen kann …<br />
Bereits 1794 ist der Pleurant retenant ses larmes zwar<br />
– gemeinsam mit einigen seiner « Brüdern » – bei einem<br />
Antiquitätenhändler in Dijon aufgetaucht, doch aufgrund<br />
eines bis heute unergründlichen Mysteriums verliert sich<br />
die Spur direkt wieder. Erst als sie 1811 an einen privaten<br />
Kunstsammler verkauft wird, stößt man erneut auf diese<br />
Skulptur. Doch damit ist der Irrweg dieses « Trauernden »<br />
immer noch nicht beendet. Zwei Jahre später, 1813, gerät<br />
er in den Besitz einer Pariser Familie, wo er fast 200 Jahre<br />
lang verbleibt,<br />
ohne Aufsehen zu<br />
erregen.<br />
2013 kommt<br />
allerdings Bewegung<br />
in die<br />
Angelegenheit.<br />
Zu diesem Zeitpunkt<br />
erben drei<br />
Wo kann man den<br />
« Trauernden <strong>Nr</strong>. 17 »<br />
(und all die anderen)<br />
besichtigen?<br />
Musée des Beaux-Arts<br />
de Dijon<br />
Palais des Ducs et des Etats<br />
de Bourgogne<br />
Geöffnet täglich außer<br />
Dienstag.<br />
Der Zutritt zu den<br />
Dauerausstellungen,<br />
darunter der Saal mit den<br />
Grabmälern der Herzöge<br />
von Burgund und den<br />
Pleurants, ist kostenlos.<br />
www.beaux-arts.dijon.fr<br />
Schwestern in<br />
Paris den Pleurant<br />
No. 17, ohne den<br />
Hintergrund und<br />
die Geschichte der<br />
Statuette zu kennen.<br />
Sie lassen die<br />
Skulptur von Sachverständigen<br />
schätzen und erfahren zu ihrer großen Freude,<br />
dass diese fast 3 Millionen Euro wert ist! Da die drei<br />
Erbinnen das große Geschäft wittern, begleichen sie 2014<br />
anstandslos die Erbschaftssteuer, werden damit – vermeintlich<br />
– rechtmäßige Besitzerinnen des Schatzes und<br />
vertrauen das wertvolle Stück dem renommierten Auktionshaus<br />
Pierre Bergé an, um es versteigern zu lassen.<br />
Gemäß den gesetzlichen Vorschriften<br />
beantragt das Auktionshaus beim<br />
französischen Staat eine Ausfuhrgenehmigung,<br />
ein unerlässliches Dokument<br />
im Hinblick auf einen möglichen<br />
Verkauf ins Ausland. Die Antwort lässt<br />
nicht lange auf sich warten und ist für<br />
die Erbinnen eine herbe Enttäuschung.<br />
Anstatt der gewünschten Genehmigung<br />
erhalten sie vom Staat postwendend<br />
die Aufforderung, das Werk auszuhändigen,<br />
denn die drei Schwestern<br />
sind – wenngleich « unschuldig » – in<br />
den Besitz einer Sache gelangt, die « öffentliches<br />
Eigentum » ist. Im Klartext:<br />
Die Statuette ist seit dem Dekret von<br />
1789 staatliches Eigentum, deshalb<br />
muss sie an den Staat zurückgegeben<br />
werden.<br />
Es folgt eine lange juristische Auseinandersetzung.<br />
Die Schwestern sind nicht gewillt, sich etwas wegnehmen<br />
zu lassen, was sie als ihr Eigentum ansehen. Es gibt<br />
Urteile und Berufungen, im Laufe der Jahre geht die<br />
Angelegenheit bis vor den obersten französischen Verwaltungsgerichtshof,<br />
nämlich den Conseil d’État. Da der<br />
französische Staat über stichhaltige Beweise verfügt, die<br />
eine Rückforderung des Werkes stützen, bestätigt die<br />
oberste Gerichtsbarkeit am 21. Juni 2018, dass der Pleurant<br />
No 17 « öffentliches Eigentum » ist, und zwar « unveräußerlich<br />
und unverjährbar ». Am 11. Juli 2020 wird das<br />
Urteil schlussendlich umgesetzt und die Skulptur an die<br />
Stadt Dijon zurückgegeben,<br />
wo sie nach<br />
mehr als 200-jähriger<br />
Abwesenheit<br />
ihren Platz zu Füßen<br />
des Grabmals wieder<br />
einnimmt. Die Trauernden<br />
sind wieder<br />
(nahezu) vereint,<br />
denn noch immer<br />
fehlen sieben von<br />
ihnen: Vier befinden<br />
sich heute in den<br />
Vereinigten Staaten,<br />
im Cleveland<br />
Museum of Art,<br />
drei sind nach wie<br />
vor verschollen …<br />
Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2022</strong> · 21