Das betriebliche Magazin für nachhaltige Beschaffung, Ausgabe Oktober 2022

Aus Wissenschaft und Forschung
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz als Chance
für eine ganzheitliche Neuausrichtung des
Risikomanagements in der Beschaffung
Wie in der Ausgabe April 2020 der „Kleinen Kniffe“ ausgeführt, stellen E-Tools zur Unterstützung der
operativen Beschaffungsaufgaben ein quasi unverzichtbares Hilfsmittel zur Steigerung von Effizienz und
Transparenz bei gleichzeitiger lückenloser Dokumentation dar. Nicht nur die Öffentlichen sind hier nicht
immer bereits dort angekommen, wo sie hinwollen oder hinsollten.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Wanja Wellbrock, Prof. Dr. Daniela Ludin (Hochschule Heilbronn)
Volatile Lieferketten,
Lieferengpässe und
Produktionsausfälle
Fehlende Vorprodukte in der Lieferkette
führten laut einer Umfrage
des Instituts der deutschen Wirtschaft
(IW) im vierten Quartal 2021
bei 75% der befragten 2.800 Unternehmen
zu Produktionsausfällen.
Gut 50% der Unternehmen haben
mit entsprechenden Ausfällen von
bis zu 10% zu kämpfen, 17% von bis
zu 20% und sechs % sogar mit über
20%. Als Ursachen werden primär
Störungen des internationalen
Warenhandels, bspw. durch die
Schließung von Häfen oder anderen
Infrastruktureinrichtungen sowie
mehrfache Produktionsschließungen
bei Lieferanten weltweit
genannt. Bis Ende 2021 resultierten
diese Ursachen primär aus den
negativen Effekten der sogenannten Corona-Pandemie, die die
gesamte Weltwirtschaft nahezu komplett auf den Kopf gestellt hat
(Bardt und Grömling 2021).
Kernthesen des Beitrags
Das vorherrschende Postulat der quasi-maximalen
Kosteneffizienz in der Beschaffung wird allmählich vom Postulat
der Resilienz als Unternehmensziel abgelöst werden.
Zunehmende staatliche Maßnahmen und gesetzliche Vorgaben
wie die CO 2
-Bepreisung, die CSR-Berichtspflicht und das
EU-Lieferkettengesetz werden zu Veränderungen in den globalen
Supply Chains in Richtung weniger umweltschädlicher Produktionen
und Lieferanten sowie kürzerer Transportwege führen.
Ein nicht unerheblicher Teil von „Zukunftsrohstoffen“, die
für Elektromobilität, Windkraft, Photovoltaik, Elektronik, medizinische
Geräte u.v.a.m., benötigt werden, ist knapp und zwingt
zum Umdenken.
E-Tools zur Unterstützung der operativen Beschaffungsaufgaben,
die vor allem von jungen Start-ups entwickelt werden,
bieten schon heute ein unverzichtbares Hilfsmittel zur Steigerung
von Effizienz und Transparenz bei gleichzeitiger lückenloser
Dokumentation.
Während Experten Ende
2021 noch von einer Erholung der
Lieferketten bis zur zweiten Jahreshälfte
2022 ausgingen, hat sich
die Perspektive hierauf seit dem 24.
Februar 2022 komplett geändert.
Der Einmarsch russischer Truppen
in der Ukraine führte nochmals zu
einer deutlichen Anspannung der
Situation in den globalen Lieferketten.
Der Handel mit Russland
und der Ukraine wurde nahezu
komplett eingestellt, wodurch eine
erhöhte Knappheit an Rohstoffen
und Vorprodukten nahezu unausweichlich
ist. Laut einer Befragung
des ifo Instituts hat sich die Belastung
der Lieferketten daher im
Vergleich zum vierten Quartal
2021 nochmals erhöht. Im Mai
2022 gaben rund 77,2% der befragten
Industrieunternehmen an, von
Produktionsbehinderungen durch
knappe Rohstoffe und Vormaterialien
betroffen zu sein (ifo Institut 2022). Von einer Entspannung
kann somit bei weitem nicht die Rede sein.
Eine zunehmende Globalisierung der Supply Chain, eine Zentralisierung
von Produktions- und Distributionsstandorten sowie
niedrigere Bestände entlang der Lieferkette führen zu einem immer
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