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neue perspektiven? kreative kammerpunkte?

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Systemische Therapie/Familientherapie<br />

7. Versorgungsrelevanz<br />

Systemische Therapie/Familientherapie ist<br />

in den USA und den meisten europäischen<br />

Ländern (z. B. Finnland, Italien, Polen,<br />

Schweiz, Schweden, Ungarn, UK) ein<br />

anerkanntes Psychotherapieverfahren (Conen,<br />

2002; Kaslow, 2000a; Kaslow, 2000b;<br />

Pisarsky, 2002) und auch in Deutschland<br />

weit verbreitet. Nach Erhebungen mehrerer<br />

Landespsychotherapeutenkammern<br />

wird die Systemische Therapie/Familientherapie<br />

von rund einem Viertel bis einem<br />

Drittel der approbierten Psychotherapeuten<br />

und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten,<br />

die in Institutionen<br />

arbeiten, praktiziert (16,5% Rheinland-Pfalz,<br />

27% Nordrhein-Westfalen, 27,1% Niedersachsen,<br />

37% Baden-Württemberg;<br />

Landespsychotherapeutenkammer Baden-<br />

Württemberg, 2005). In einer groß angelegten<br />

internationalen Studie identifizierten<br />

sich 21% der befragten Psychotherapeuten<br />

(auch) mit dem systemischen Ansatz;<br />

34% arbeiteten (auch) mit einem Paarund<br />

28% mit einem Familiensetting<br />

(Orlinsky & Ronnestad, 2005).<br />

Derzeit haben 12,5% der niedergelassenen<br />

approbierten und kassenzugelassenen<br />

Kinder-/Jugendlichen- und Erwachsenen-Psychotherapeuten<br />

in Deutschland<br />

eine abgeschlossene systemische Therapieweiterbildung.<br />

24,5% geben an, dass<br />

Systemische Therapie/Familientherapie für<br />

ihre praktische Arbeit einen hohen Nutzen<br />

habe; 41% bejahen die Aussage, dass<br />

diese ihre persönliche therapeutische<br />

Identität präge (Psychotherapeutenkammer<br />

BW, 2005; Psychotherapeutenkammer<br />

NRW, 2004; Psychotherapeutenkammer<br />

RLP, 2005; Schindler &<br />

v. Schlippe, 2006).<br />

Im stationären Bereich gehört Familientherapie<br />

seit 1991 nach der Personalverordnung<br />

Psychiatrie zum Regelangebot<br />

aller psychiatrischen und kinder- und<br />

jugendpsychiatrischen Kliniken (BMG<br />

1990). Bei einer bundesweiten Erhebung<br />

der „Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden<br />

Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />

und Psychotherapie e.V.“<br />

(2002) gaben 90% der Klinikleiter an,<br />

dass in ihrer Einrichtung (auch) Familientherapie/Systemische<br />

Therapie durchge-<br />

14<br />

führt wird. Ferner werden systemische<br />

Ansätze in Deutschland auch in Suchtkliniken<br />

und in psychosomatischen Akutund<br />

Rehabilitationskliniken häufig und erfolgreich<br />

eingesetzt.<br />

An Erziehungs- und Familienberatungsstellen<br />

für Eltern, Kinder und Jugendliche,<br />

an denen eine große Zahl approbierter<br />

Psychotherapeutinnen und Kinder- und<br />

Jugendlichenpsychotherapeuten arbeitet<br />

(Bundeskonferenz für Erziehungsberatung/BKE,<br />

2005), geben 60% der Fachmitarbeiter<br />

an, über eine systemische bzw.<br />

familientherapeutische Zusatzqualifikation<br />

zu verfügen (Mitteilung von Herbert Schilling,<br />

Geschäftsstelle der BKE, 2005; s. auch<br />

www.bke.de).<br />

8. Wie könnte die Integration<br />

der Systemischen<br />

Therapie/Familientherapie<br />

die kassenfinanziertePsychotherapie<br />

beeinflussen? –<br />

Eine Zukunftsvorstellung<br />

Wir sehen die Systemische Therapie/Familientherapie<br />

langfristig als integrierten Teil<br />

stationärer und ambulanter Kassenpsychotherapie,<br />

dort noch stärker als Basisphilosophie<br />

und Grundlagenverfahren<br />

denn als hochspezialisiertes Zusatzverfahren<br />

und in dichter Kooperation mit Psychotherapeuten<br />

anderer Grundorientierungen. Wir<br />

sehen in einer solchen Integration die Chance,<br />

die gute Qualität des bisherigen<br />

Versorgungssystems in einigen wichtigen<br />

Aspekten noch weiter zu erhöhen.<br />

1. Der soziale Lebenskontext der Patienten<br />

gerät noch stärker in den Blick. Angehörige<br />

werden in einem doppelten Sinne<br />

intensiv einbezogen: Ihr Leiden an der<br />

Symptomatik des Patienten wird direkter<br />

mitbehandelt; ihr Engagement und ihre<br />

lange Kenntnis des Patienten werden stärker<br />

für die Behandlung genutzt. Davon<br />

profitieren insbesondere Familien mit<br />

mehreren psychisch erkrankten Mitgliedern,<br />

und es trägt zu einem verlässlicheren<br />

und längeren Verbleib gerade<br />

schwankend motivierter Patienten in der<br />

Therapie bei.<br />

2. Die ausgeprägte Kontext-, Lösungs- und<br />

Ressourcenorientierung mit ihrem Blick auf<br />

„das Gute im Schlechten“ sowie der Ansatz,<br />

nicht ganze Menschen, sondern<br />

„bloß Kommunikationen“ zu verändern,<br />

tragen zu einem tendenziell optimistischen<br />

und gelassenen Herangehen auch an<br />

schwierige klinische Probleme bei.<br />

3. Gerade Patienten mit jenen Diagnosen,<br />

die in der Kassenpsychotherapie bislang<br />

noch eine Randstellung einnehmen, und<br />

auf die sich die Systemische Therapie spezialisiert<br />

hat, könnten stärker in den Fokus<br />

geraten. Dazu gehören Süchte, Essstörungen,<br />

Psychosen, chronische körperliche Krankheiten,<br />

Störungen des Sozialverhaltens und<br />

Delinquenz. Störungsübergreifend gehören<br />

dazu Patienten aus Migrantenfamilien und<br />

aus Unterschichtmilieus.<br />

4. Als „lange Kurzzeittherapie“ bietet sie<br />

vermehrt niedrig frequente Therapieverläufe<br />

über längere Zeiträume an, wie sie<br />

besonders Patienten mit chronischen und/<br />

oder chaotischen Krankheitsverläufen<br />

brauchen können.<br />

5. Als kooperationsorientierter Ansatz reflektiert<br />

sie die Beziehung zwischen verschiedenen<br />

Behandlern und hilft durch<br />

kooperationsfördernde Settings („Familie-<br />

Helfer-Konferenzen“) das Case-Management<br />

bei komplexeren Psychotherapiefällen<br />

überschaubarer zu machen.<br />

9. Ausblick<br />

International und in Deutschland hat sich<br />

die Systemische Therapie/Familientherapie<br />

neben den psychodynamischen, kognitivbehavioralen<br />

und humanistischen Psychotherapieverfahren<br />

etabliert und wird<br />

von einem großen Teil der in Deutschland<br />

approbierten Psychotherapeuten/<br />

Kinder- und Jugendpsychotherapeuten<br />

bereits parallel zu den Richtlinienverfahren<br />

eingesetzt (Schindler & v. Schlippe, 2006).<br />

Der sozial- und berufsrechtliche Status der<br />

Systemischen Therapie/Familientherapie<br />

wird dieser Bedeutung des Verfahrens<br />

derzeit noch nicht gerecht. Es gilt daher<br />

Wege zu finden, wie sie als Ergänzung der<br />

derzeit etablierten Verfahren, über die vielen<br />

bereits existierenden ermutigenden<br />

Psychotherapeutenjournal 1/2007

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