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neue perspektiven? kreative kammerpunkte?

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Systemische Therapie/Familientherapie<br />

„dysfunktionalen Strukturen” (Minuchin,<br />

1977) oder „pathologischen Dreiecken”<br />

(Haley, 1977). Erst mit dem Konzept des<br />

„problemdeterminierten Systems”<br />

(Goolishian & Anderson, 1988), das durch<br />

die Interaktion um ein Problem herum<br />

konstituiert wird, gelingt ein grundlegender<br />

Ausstieg aus linearen Verursachungsund<br />

damit Schuldzuweisungstheorien. Das<br />

hat zur Konsequenz, dass Probleme nicht<br />

als den Menschen oder den Familien,<br />

sondern „nur“ als deren Kommunikationen<br />

zugehörig betrachtet werden. Diese<br />

Sichtweise verringert die Gefahr von<br />

Schuldzuweisungen und führt zu mehr<br />

Lösungs- und Veränderungsoptimismus.<br />

Familien „haben“ in dieser Perspektive dann<br />

keine „pathologische Familiendynamik“, sondern<br />

sind nur an problemerzeugenden<br />

und –aufrechterhaltenden Kommunikationen<br />

beteiligt. „Problemdeterminiertes System“<br />

heißt auch: die Familienmitglieder<br />

müssen nicht die wichtigsten Mitglieder des<br />

zu therapierenden Systems sein. Die Nachbarn,<br />

die Arbeitskollegen oder die Behandler,<br />

aber auch die inneren Prozesse<br />

des Symptomträgers können an der Problemkommunikation<br />

intensiver beteiligt und<br />

für deren Auflösung bedeutsamer sein.<br />

1.3.5. Systemische Familienmedizin<br />

Systemische Therapie/Familientherapie<br />

wird seit Jahrzehnten auch bei körperlichen<br />

Erkrankungen eingesetzt (Minuchin<br />

et al., 1991). Unter dem Einfluss des biopsychosozialen<br />

Systemmodells von Engel<br />

(1977) wurde die systemische Familienmedizin<br />

als Behandlungsansatz für Familien<br />

und Patienten mit körperlichen Erkrankungen<br />

entwickelt (McDaniel et al., 1997;<br />

Kröger et al., 2000). Systemische Familienmedizin<br />

fokussiert die Aus- und Wechselwirkungen<br />

körperlicher Erkrankungen im<br />

Familiensystem einerseits und die Optimierung<br />

der patientenbezogenen Kooperation<br />

im Gesundheitssystem andererseits.<br />

Familiäre und individuelle Faktoren werden<br />

nicht primär für die Genese von körperlichen<br />

Erkrankungen verantwortlich gemacht,<br />

aber biomedizinische Vorgänge<br />

und psychosoziales Geschehen beeinflussen<br />

sich wechselseitig. Familiäre Faktoren<br />

können den Krankheitsverlauf günstig oder<br />

ungünstig beeinflussen und sind ein wichtiger<br />

Ansatzpunkt für therapeutische und<br />

8<br />

präventive Maßnahmen, gerade auch bei<br />

schweren und chronischen Krankheiten<br />

(Rolland, 1994; Seiffge-Krenke, 1996;<br />

Warschburger & Petermann, 2002). Zum<br />

maßgeblichen Betrachtungssystem zählen<br />

neben dem Patienten und seiner Familie<br />

auch die Behandler und weitere soziale<br />

Systeme, die mit beeinflussen, welche<br />

Wirklichkeitssicht die Familie von der Krankheit<br />

entwickelt. Neben der „harten“<br />

Wirklichkeitsebene biologischer Faktoren<br />

sind aus systemischer Sicht besonders die<br />

Bedeutungsgebungsprozesse und die Erzählungen<br />

um das Krankheitsgeschehen<br />

herum relevant (Boss, 2000; Patterson,<br />

2002; Welter-Enderlin, 1996). Körperliche<br />

Erkrankungen wirken auf eine Familie; aber<br />

was Patient und Familie aus der Krankheit<br />

machen, ob sie zu einer günstigen oder<br />

weniger günstigen Konstruktion von Wirklichkeit<br />

finden, hängt mit von familären<br />

Prozessen ab, die durch Systemsiche Therapie/Familientherapie<br />

beeinflusst werden<br />

können (Reiss, Steinglass & Howe, 1993).<br />

Die Wirksamkeit somatischer und psychotherapeutischer<br />

Interventionen wächst,<br />

wenn Angehörige systematisch in die Behandlung<br />

einbezogen werden: Dies betrifft<br />

sowohl Interventionen zur Gesundheitsförderung<br />

als auch solche zur Risikoreduktion<br />

(Campbell, 2000). Systemische<br />

familiäre Interventionen zeigen nicht nur<br />

eine hohe Akzeptanz, sondern auch einen<br />

positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf<br />

bei Erwachsenen und Kindern.<br />

2. Diagnostik<br />

2.1. Das Verhältnis von Diagnostik<br />

und Intervention<br />

In der Systemischen Therapie wird nicht<br />

zwischen einer Explorations- und einer<br />

Interventionsphase unterschieden. Diagnostik<br />

und Intervention gehen fast nahtlos<br />

ineinander über. Denn einerseits werden<br />

komplexe Systemprozesse oft erst<br />

dann deutlich, wenn man sie zu verändern<br />

versucht. Andererseits haben die<br />

wichtigsten therapeutischen Instrumente,<br />

insbesondere das zirkuläre Fragen und die<br />

Handlungsmethoden (Skulptur, Zeitlinie,<br />

Sprechchor), aber auch schon das anfängliche<br />

Genogramminterview starke therapeutische<br />

Wirkung.<br />

2.2. Genogramm, Überweisersystem,<br />

Skulpturtests<br />

Viele systemische Therapeuten erstellen<br />

besonders in Familientherapien zur ersten<br />

Orientierung ein Genogramm (einen<br />

Familienstammbaum) als visuelle Darstellung<br />

einer Familie über mindestens drei<br />

Generationen hinweg. Zu allen Familienangehörigen<br />

werden Daten wie Geburtsund<br />

evtl. Todesjahr, Nationalität/Religion,<br />

Beruf, wichtige Krankheiten und wichtige<br />

Potenziale gesammelt, die einen ersten<br />

Überblick über Ressourcen und Belastungen<br />

im Zusammenhang vermitteln. Die<br />

Familienskulptur (Schweitzer & Weber,<br />

1982) als symbolisch-metaphorische Darstellung<br />

emotionaler Bindungen und hierarchischer<br />

Strukturen in der Familie kann<br />

außer mit menschlichen Darstellern als „lebende<br />

Skulptur“ auch – z.B. in Einzeltherapie<br />

und Forschung – mit Ersatzfiguren<br />

durchgeführt werden. Ein Teil dieser „family<br />

placement techniques“ kann auch systematisch<br />

und quantitativ ausgewertet werden.<br />

2.3. Formalisierte familiendiagnostische<br />

Verfahren<br />

Es gibt einen große Menge an Familienexperimenten,<br />

Familienfragebögen und<br />

Ratingskalen zur Paar- und/oder Familieninteraktion,<br />

die in der Familienforschung<br />

und familientherapeutischen Forschung<br />

gute Dienste leisten. Einen guten Überblick<br />

gibt Cierpka (2002). Wir verzichten<br />

hier auf eine eingehende Darstellung, da<br />

sie für die systemtherapeutische/<br />

familientherapeutische Praxis, anders als<br />

Genogramme, zirkuläres Fragen und analoge<br />

und Handlungsmethoden, nur geringe<br />

Alltagsbedeutung aufweisen.<br />

3. Therapeutische<br />

Haltungen<br />

Die allgemeinen Behandlungsziele entsprechen<br />

denen anderer Psychotherapieverfahren:<br />

Symptomreduktion und Verbesserung<br />

des allgemeinen Wohlbefindens.<br />

Auch in der Beachtung psychotherapeutischer<br />

Grundkonzepte wie zuhörendem<br />

Verstehen, Empathie, und Selbstreflexion<br />

der eigenen emotionalen Reaktionen gibt<br />

es Überlappungen. Eine Reihe von thera-<br />

Psychotherapeutenjournal 1/2007

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