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neue perspektiven? kreative kammerpunkte?

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Systemische Therapie/Familientherapie<br />

6<br />

Familien-Systemtherapie 1 (Robin &<br />

Foster, 1989) sowie die Funktionale<br />

Familientherapie (Sexton & Alexander,<br />

2003). All diese Ansätze basieren überwiegend<br />

auf der strukturell-strategischen<br />

Familien-Systemtherapie (Minuchin,<br />

1974), beziehen sich auf den sozialen<br />

Konstruktivismus, integrieren aber<br />

auch verhaltenstherapeutische Interventionen<br />

in ihr Vorgehen (Sexton & Alexander,<br />

2003).<br />

Die in diesen Entwicklungsphasen geschaffenen<br />

psychotherapeutischen Methoden<br />

werden in integrativen Meta-Modellen, wie<br />

sie z.B. Pinsof (1995) entwickelt hat, zusammengefasst.<br />

Pinsof empfiehlt, im Setting<br />

(„mit wem arbeitet man“) wie im Behandlungsfokus<br />

(„was man verändern<br />

soll“) stets mit dem Einfachen, kurzfristig<br />

Realisierbaren zu beginnen und zum Komplizierteren,<br />

Anspruchsvolleren erst dann<br />

voranzuschreiten, wenn das einfachere<br />

Arbeiten nicht ausreicht. Als das am direktesten<br />

zum Ziel Führende sieht Pinsof das<br />

Arbeiten mit der Familie auf der Verhaltensebene<br />

an; als das langwierigste das Arbeiten<br />

mit einzelnen Personen an deren<br />

Selbstkonzept.<br />

Angesichts zunehmend dichteren Austausches<br />

zwischen psychotherapeutischen<br />

Schulen, wie wir ihn etwa in der Zeitschrift<br />

„Psychotherapie im Dialog“ (Thieme Verlag)<br />

zwischen psychoanalytisch-tiefenpsychologischen,<br />

kognitiv-behavioralen, humanistischen,<br />

körperorientierten und Systemischen<br />

Therapeuten führen, intensiviert<br />

sich derzeit auch der Austausch der Systemischen<br />

Therapie/Familientherapie beispielsweise<br />

mit der Familienpsychologie<br />

(Schneewind, 2000), der Bindungstheorie<br />

(v. Sydow, 2002), und der Traumatherapie<br />

(Bräutigam, 2006).<br />

1.3. Systemtheorie und<br />

Systemische Therapie<br />

1.3.1. Systeme werden immer von<br />

Beobachtern mitkonstruiert<br />

Die frühe Systemtheorie betrachtete Systeme<br />

als ontologisch vorgegebene Phänomene,<br />

die zwar in ihrer Komplexität oft<br />

schwer erfassbar, aber bei entsprechend<br />

guter Beobachtung doch ohne wesentlichen<br />

Beobachterbias objektiv beschreib-<br />

bar seien. Die Einflüsse der Erkenntnistheorie<br />

des radikalen Konstruktivismus, später<br />

des sozialen Konstruktionismus sowie<br />

sprachphilosophischer und postmoderner<br />

Denkfiguren führten zu einem <strong>neue</strong>n Verständnis:<br />

Systeme gibt es nicht in einem<br />

ontischen Sinn, sondern sie sind abhängig<br />

von systemintern produzierten Operationen<br />

und von Beschreibungen von<br />

Realitätsbereichen durch Beobachter.<br />

Der radikale Konstruktivismus (v. Glasersfeld,<br />

1985; v. Foerster, 1985) nimmt an,<br />

dass wir unsere Annahmen über die Welt<br />

grundsätzlich nicht als „wahr” oder „falsch”<br />

objektiv beurteilen können und interessiert<br />

sich deshalb bei den verschiedensten<br />

Ideen nicht für deren Wahrheitsgehalt,<br />

sondern für deren Nützlichkeit für die<br />

Lebensgestaltung der Beteiligten. Gegenüber<br />

dem ursprünglich individualistisch<br />

konzipierten Konstruktivismus betont der<br />

soziale Konstruktionismus (Gergen, 1991)<br />

stärker das gemeinsame Aushandeln von<br />

Realitätssichten im Dia- oder Polylog, den<br />

Wert von Perspektivenvielfalt sowie den Einfluss<br />

sozialer Prozesse auf die Konstruktion<br />

des „Selbst”.<br />

1.3.2. Konzepte zur Beschreibung<br />

therapeutisch wichtiger<br />

Systemprozesse<br />

Eine systemische Sichtweise stellt das Verhalten<br />

von Elementen stets in einen situativen<br />

Kontext. In diesem Beobachtungsrahmen<br />

sind folgende Konzepte besonders<br />

wichtig:<br />

Zirkularität: Das Verhalten jedes Mitgliedelements<br />

eines Systems ist zugleich Ursache<br />

und Wirkung des Verhaltens der anderen<br />

Mitglieder. Einseitige lineare Ursache-Wirkungs-Beschreibungen<br />

(„Er trinkt,<br />

weil sie sich ihm verweigert”, oder umgekehrt:<br />

„Sie verweigert sich ihm, weil er<br />

trinkt”) sind Ergebnis willkürlicher Interpunktionen<br />

aus verständlichen Motiven.<br />

Kommunikation: Jede Kommunikation ist<br />

ein Austausch von Botschaften zwischen<br />

Systemmitgliedern. Bei diesen lässt sich ein<br />

Inhaltsaspekt („Was wird explizit gesagt?”)<br />

von einem Beziehungsaspekt unterscheiden<br />

(„Was denkt A darüber, dass B gerade<br />

dies gerade jetzt zu C sagt?”). Der<br />

Beziehungsaspekt einer Nachricht stimmt<br />

oft nicht mit dem Inhalt überein und ist<br />

dem Sender oft weniger bewusst, löst aber<br />

beim Empfänger meist heftigere Reaktionen<br />

aus.<br />

Der zirkuläre Austausch von Kommunikationen<br />

führt über die Zeit hinweg zum<br />

wiederholten Auftreten bestimmter Kommunikationsabläufe<br />

(Redundanzen), in<br />

denen ein Beobachter Muster (formal<br />

ähnliche Kommunikationsabläufe bei<br />

wechselnden Inhalten) erkennen kann, die<br />

als Regeln formuliert werden können („Immer<br />

wenn die Mutter sich ärgerlich zeigt,<br />

weint das Kind, und der Vater wendet sich<br />

ihm besorgt zu.”). In pathologischen Fällen<br />

werden diese Muster in der<br />

systemischen Therapie zunächst verdeutlicht<br />

und dann infragegestellt.<br />

System-Umwelt-Grenzen unterscheiden,<br />

was zu einem System gehört und was<br />

nicht. Sie werden in sozialen und psychischen<br />

Systemen entsprechend deren<br />

Sinn-Verständnis ausgehandelt: Gehören<br />

die Schwiegermutter und der Freund der<br />

Tochter zur Familie? Sollten Angehörige in<br />

eine stationär-psychosomatische Behandlung<br />

integriert werden? Sind niederträchtige<br />

Racheimpulse legitime Mitglieder meiner<br />

Gefühlswelt? Ob solche Grenzziehungen<br />

angemessen eng oder weit sind<br />

und ob die Grenzen ggf. verschoben werden<br />

sollten, ist oft Thema Systemischer Therapie.<br />

Morphostase und Morphogenese: Man<br />

kann bei der Beobachtung von Systemen<br />

mehr auf ihre Versuche, „alles beim Alten<br />

bleiben zu lassen“ (Morphostase bzw.<br />

Homöostase) oder auf ihre Veränderungstendenzen<br />

(Morphogenese) achten und<br />

diese hervorheben. Die Kernfrage des<br />

Homöostase-Konzeptes lautet: Wie können<br />

Systeme in einem Gleichgewicht gehalten<br />

oder aber aus einem für pathologisch<br />

gehaltenen Gleichgewicht herausgebracht<br />

werden? Morphogenetisch hingegen<br />

interessiert, wie frühere Systemzustände<br />

aus kleinen Fluktuationen heraus<br />

manchmal sehr plötzlich und überra-<br />

1 „Behavioral“ meint hier nicht „verhaltenstherapeutisch“,<br />

sondern bezieht sich auf die<br />

Handlungsorientierung des Ansatzes.<br />

Psychotherapeutenjournal 1/2007

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