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neue perspektiven? kreative kammerpunkte?

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Zur Diskussion: Kommentare zum Artikel von Lisa Schneider „Lesbische Frauen in der Psychotherapie“<br />

choanalyse war und ist mit ihren Theorien<br />

zwar einflussreich, was manch einer<br />

ein Dorn im Auge sein mag, befand sich<br />

aber mit ihren die Theorie beeinflussenden<br />

Vorurteilen praktisch in schlechter<br />

Gesellschaft nahezu aller Therapeuten.<br />

Schneider selbst erwähnt ja die berüchtigten<br />

VT-Therapieversuche zur sog. Heilung<br />

von Homosexualität (ebd., S. 367).<br />

Schneider kritisiert zwar, durchaus zu Recht,<br />

dass nicht-analytische Forschung von<br />

AnalytikerInnen oft nicht rezipiert wird, aber<br />

umgekehrt scheint es nicht besser zu sein,<br />

sonst könnte Schneider nicht zu diesem<br />

Schluss kommen.<br />

Es wäre fruchtbarer das Ergänzungsverhältnis<br />

zu sehen zwischen Psychoanalytikerinnen,<br />

die traditionell in klinisch-theoretischer<br />

Forschung ihre Stärken haben,<br />

und soziologischen oder psychologischen<br />

Forscherinnen, die mit konkretem<br />

Zahlenmaterial z.B. belegen konnten, dass<br />

lesbische Frauen „psychisch nicht gestörter<br />

sind als heterosexuelle“ (ebd., S. 369).<br />

Tendenziös ist leider, wie Schneider anschließend<br />

den Eindruck erweckt, dass es<br />

den Emanzipationsbewegungen und den<br />

mit ihr verbundenen ForscherInnen zu<br />

verdanken sei, dass ein Prozess des Umdenkens<br />

in Gang kam, der dazu führte,<br />

dass APA und WHO Homosexualität im<br />

DSM III-R (APA, 1987) und ICD-10 (WHO,<br />

1991) nicht mehr als Krankheit aufführten.<br />

Es ist sicher richtig, dass die<br />

Emanzipationsbewegungen (u.a. Frauenbewegung<br />

und Schwulenbewegung) ab<br />

Ende der 60er Jahre zu einem liberaleren<br />

Klima beitrugen, in dessen Gefolge sich<br />

der Umgang mit nicht nur sexuellen Minderheiten<br />

zu ändern begann. Dieses veränderte<br />

gesellschaftliche Umfeld beeinflusste<br />

auch die Forscher, sodass z.B.<br />

Friedman (ein amerikanischer Psychiater<br />

und Psychoanalytiker) seine Untersuchung<br />

an männlichen Homosexuellen durchführen<br />

konnte, mit der (für die konservativen<br />

Forscher durchaus überraschend) kein<br />

Beleg dafür gefunden werden konnte,<br />

dass homosexuelle Männer kränker seien<br />

als heterosexuelle. Diese Untersuchung<br />

mit ihren „objektiven“ Daten trug wesentlich<br />

dazu bei, dass die APA – durchaus<br />

36<br />

widerwillig – ihre diagnostischen Kriterien<br />

veränderte. Und, man muss es leider sagen,<br />

es war wohl auch nicht unwichtig,<br />

dass Friedman ein bekennender Hetero<br />

ist.<br />

III<br />

Ein insgesamt sehr verdienstvoller Artikel.<br />

Schade nur, dass Schneider einen Gegensatz<br />

zwischen Psychoanalyse bzw.<br />

Psychoanalytikerinnen und anderen, dem<br />

Umfeld der Frauenbewegung zugerechneten<br />

Forscherinnen und Therapeutinnen<br />

konstruiert, der sachlich gar nicht gerechtfertig<br />

und politisch eher kontraproduktiv<br />

ist. So als wären Fortschritte im Verständnis<br />

lesbischer Frauen sicher nicht auf Seiten<br />

und mit Hilfe der Psychoanalyse zu<br />

suchen. Andererseits, warum sollte frau<br />

vertraute Feindschaften aufgeben?<br />

Den sorgfältig erarbeiteten Empfehlungen<br />

für die therapeutische Arbeit ist auf jeden<br />

Fall eine weite Verbreitung zu wünschen.<br />

Sie enthalten Hinweise, die zu befolgen<br />

selbstverständlich sein sollte. Wenn es so<br />

wäre, hätten diese Empfehlungen jedoch<br />

gar nicht geschrieben werden müssen.<br />

Nachtrag<br />

Freud vorzuwerfen, er habe „keine umfassende<br />

Theorie der weiblichen Homosexualität“<br />

(Schneider, 2006, S. 366f) entwickelt,<br />

ist geradezu absurd. Ein solcher Vorwurf<br />

macht Freud nachträglich zu einem Über-<br />

Vater, der etwas versäumt hätte, was er hätte<br />

tun können, wenn er nur gewollt hätte.<br />

Freud war immerhin Vorreiter darin, über<br />

Homosexualität nachzudenken, seine Vorurteile<br />

in Frage zu stellen und Homosexualität<br />

nicht einfach als degenerative Erscheinung<br />

oder als Krankheit aufzufassen. Er<br />

stellte die Theorie der generellen Bisexualität<br />

aller Menschen auf – eine These, die<br />

bis heute wissenschaftlich fruchtbar ist. Aber<br />

die weibliche Sexualität blieb für ihn immer<br />

ein „dunkler Kontinent“, erst recht die lesbische<br />

Sexualität, der er in der Gegenübertragung<br />

als Mann seiner Zeit nicht<br />

gewachsen war. Trotzdem konnte er theoretisch<br />

z.B. die sexuellen Wünsche der Tochter<br />

gegenüber ihrer Mutter anerkennen (vgl.<br />

Poluda 2001, S. 82).<br />

Dass die AnalytikerInnen späterer Generationen<br />

so wenig beitrugen zu einem<br />

besseren Verständnis und zu einer<br />

Entpathologisierung lesbischer Frauen,<br />

dass sie im Gegenteil zur Verfestigung von<br />

Vorurteilen erheblich beitrugen, ist zutiefst<br />

bedauerlich, wenngleich vielleicht menschlich<br />

verständlich.<br />

Literatur<br />

American Psychiatric Association (APA).<br />

(1987). Diagnostic and statistical<br />

manual of mental disorders, DSM-III-<br />

R. Washington, DC: APA.<br />

Düring, S. (2001). Probleme der weiblichen<br />

sexuellen Entwicklung. In V.<br />

Sigusch (Hrsg.), Sexuelle Störungen<br />

und ihre Behandlung (3., neu bearb.<br />

und erw. Aufl.). (S. 53-65). Stuttgart:<br />

Thieme.<br />

Friedman, R. C. (1993). Männliche Homosexualität.<br />

Berlin: Springer.<br />

Gissrau, B. (1993). Sympathie für die<br />

„Anormalität“? Ist Homosexualität an sich<br />

eine Krankheit? In E.-M. Alves (Hrsg.),<br />

Stumme Liebe. Der „lesbische Komplex“<br />

in der Psychoanalyse. (S. 11-44). Freiburg:<br />

Kore.<br />

Imhorst, E. (2005). Internalisierte Homophobie<br />

und Depression – Überlegungen<br />

zur psychoanalytischen Behandlung<br />

eines 68jährigen Mannes. Psychotherapie<br />

im Alter, 2 (3), 95-108.<br />

Poluda, E. S. (2001). Probleme der weiblichen<br />

homosexuellen Entwicklung. In<br />

V. Sigusch (Hrsg.), Sexuelle Störungen<br />

und ihre Behandlung (3., neu bearb.<br />

und erw. Aufl.). (S. 79-101). Stuttgart:<br />

Thieme.<br />

Sigusch, V. (Hrsg.). (2001). Sexuelle Störungen<br />

und ihre Behandlung (3., neu<br />

bearb. und erw. Aufl.). Stuttgart: Thieme.<br />

World Health Organization (WHO). (1991).<br />

The ICD-10 classification of mental and<br />

behavioural disorders. Clinical descriptions<br />

and diagnostic guidelines. Geneve:<br />

WHO.<br />

Dipl.-Psych. Elisabeth Imhorst<br />

Psychologische Psychotherapeutin (PA)<br />

Volksgartenstraße 18<br />

50677 Köln<br />

Elisabeth.Imhorst@dpv-mail.de<br />

Psychotherapeutenjournal 1/2007

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