09.04.2024 Aufrufe

2015-04

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Weihnachtssatire<br />

Das Überraschungsziel<br />

Strahlend verkündete Vater: „So, dieses Jahr machen<br />

wir zu Weihnachten mal etwas ganz anderes!“ Meine<br />

Geschwister und ich verdrehten die Augen. Waren<br />

wir doch gerade erst von unseren verschiedenen Wohnorten<br />

im Elternhaus eingetroffen und freuten uns auf ein<br />

paar erholsame Tage. Doch sobald die komplette Familie<br />

zusammenkommt, wird der Vater irgendwie zum Freizeitaktivisten,<br />

manchmal mit unabsehbaren Folgen.<br />

Letztes Jahr hatte uns die Ankündigung, „mal etwas ganz anderes“<br />

zu unternehmen, in eine Ski-Halle geführt und kurz<br />

danach in die Unfallambulanz. Weihnachten verbrachten<br />

wir dann, mit Gehgipsen, Handgelenkschienen und Bandagen<br />

dekoriert, auf dem Sofa. Zum Glück war Vater nichts<br />

passiert … und deshalb hat er wohl für dieses Weihnachtsfest<br />

nichts dazugelernt.<br />

Mein ältester Bruder startete einen vergeblichen Versuch<br />

Vater umzustimmen und fragte: „Können wir nicht<br />

mal ganz normal auf einen Weihnachtsmarkt gehen, zu<br />

viel Glühwein und Eierpunsch trinken und dann zu Hause<br />

vor dem Fernseher einschlafen, so wie andere Menschen<br />

auch?“ Mutters Einwand: „Bei diesem Mistwetter mit vier<br />

Grad, Dauerregen und frischem Wind wäre es doch zu Hause<br />

viel gemütlicher“, fand leider auch kein Gehör.<br />

Vater war unerbittlich! „Los, los, alles ist schon gebucht,<br />

es wird euch ganz bestimmt viel Spaß machen … ach ja,<br />

und vergesst nicht die Badesachen einzupacken.“<br />

Falls einer von uns Kindern auf einen Kurzurlaub nach<br />

Mallorca gehofft hatte, so wurde er bitter enttäuscht. Die<br />

mit fünf Erwachsenen fast überfüllte Familien-Limousine<br />

meiner Eltern<br />

fuhr an der Autobahnausfahrt<br />

zum Flughafen<br />

vorbei und<br />

kämpfte sich<br />

durch das „Sauwetter“<br />

in immer<br />

ländlichere Regionen<br />

vor. „Oh<br />

Gott, was sollen<br />

wir denn hier in<br />

dieser Einöde?“,<br />

fragte mein jüngerer<br />

Bruder. Er<br />

saß, seinem Status<br />

angemessen,<br />

in der Mitte des<br />

Rücksitzes, total<br />

unbequem.<br />

Ich entdeckte<br />

als erste eine<br />

Reihe von Hinweisschildern, die uns zu unserem Überraschungsziel<br />

bringen sollten, einem „exotischen Paradies<br />

vor der Haustüre“. Wir landeten in einer ehemaligen<br />

Flugzeughalle, die auf mindestens 30 Grad beheizt, mit<br />

unzähligen UV-Lampen erleuchtet und mit einigen Pools<br />

und tonnenweise Sand zum Urlaubsparadies umgewandelt<br />

worden war. Jeder von uns erhielt ein Armband mit Zugangschip,<br />

bevor wir unsere Badesachen anzogen und die<br />

„Schlechtwetterkleidung“ in Spinden einschlossen. Danach<br />

gelangten wir durch eine Art Temperaturschleuse, deren<br />

Türe man nur mit Chip öffnen konnte, in die große Halle.<br />

Hier wimmelte es von leicht bekleideten Besuchern, die<br />

teilweise schon die Strandliegen in Beschlag genommen<br />

hatten. Am Ufer eines künstlich angelegten Badesees wucherte<br />

üppiges Grün – ob nun echt oder künstlich – konnte<br />

ich aus der Entfernung nicht erkennen. Vogelgezwitscher<br />

vom Band und Strandmusik aus den Lautsprechern übertönte<br />

fast das Rauschen der großen Gebläse, mit denen<br />

warme Luft in diese Kunstwelt getrieben wurde.<br />

„Super!“ Meine Brüder rannten sofort los. Der Jüngere<br />

Richtung Strand, wo gerade ein Beachvolleyball-Spiel<br />

stattfand. Der Ältere ergatterte sofort einen Platz an der<br />

Theke einer Strandbar und begann einen Flirt mit der Bedienung,<br />

die außer einem viel zu knappen Bikinioberteil<br />

nur eine Art Grasrock zu tragen schien.<br />

Meine Eltern stapften eilig durch den Sand in Richtung<br />

ein paar freigewordener Liegestühle. „Komm schon!“ rief<br />

mir mein Vater zu. Doch ich blieb noch einen Moment<br />

lang stehen und versuchte, alles in mich aufzunehmen: Das<br />

Foto: Rita Petri<br />

20 durchblick 4/<strong>2015</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!