2015-04
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Weihnachtssatire<br />
Das Überraschungsziel<br />
Strahlend verkündete Vater: „So, dieses Jahr machen<br />
wir zu Weihnachten mal etwas ganz anderes!“ Meine<br />
Geschwister und ich verdrehten die Augen. Waren<br />
wir doch gerade erst von unseren verschiedenen Wohnorten<br />
im Elternhaus eingetroffen und freuten uns auf ein<br />
paar erholsame Tage. Doch sobald die komplette Familie<br />
zusammenkommt, wird der Vater irgendwie zum Freizeitaktivisten,<br />
manchmal mit unabsehbaren Folgen.<br />
Letztes Jahr hatte uns die Ankündigung, „mal etwas ganz anderes“<br />
zu unternehmen, in eine Ski-Halle geführt und kurz<br />
danach in die Unfallambulanz. Weihnachten verbrachten<br />
wir dann, mit Gehgipsen, Handgelenkschienen und Bandagen<br />
dekoriert, auf dem Sofa. Zum Glück war Vater nichts<br />
passiert … und deshalb hat er wohl für dieses Weihnachtsfest<br />
nichts dazugelernt.<br />
Mein ältester Bruder startete einen vergeblichen Versuch<br />
Vater umzustimmen und fragte: „Können wir nicht<br />
mal ganz normal auf einen Weihnachtsmarkt gehen, zu<br />
viel Glühwein und Eierpunsch trinken und dann zu Hause<br />
vor dem Fernseher einschlafen, so wie andere Menschen<br />
auch?“ Mutters Einwand: „Bei diesem Mistwetter mit vier<br />
Grad, Dauerregen und frischem Wind wäre es doch zu Hause<br />
viel gemütlicher“, fand leider auch kein Gehör.<br />
Vater war unerbittlich! „Los, los, alles ist schon gebucht,<br />
es wird euch ganz bestimmt viel Spaß machen … ach ja,<br />
und vergesst nicht die Badesachen einzupacken.“<br />
Falls einer von uns Kindern auf einen Kurzurlaub nach<br />
Mallorca gehofft hatte, so wurde er bitter enttäuscht. Die<br />
mit fünf Erwachsenen fast überfüllte Familien-Limousine<br />
meiner Eltern<br />
fuhr an der Autobahnausfahrt<br />
zum Flughafen<br />
vorbei und<br />
kämpfte sich<br />
durch das „Sauwetter“<br />
in immer<br />
ländlichere Regionen<br />
vor. „Oh<br />
Gott, was sollen<br />
wir denn hier in<br />
dieser Einöde?“,<br />
fragte mein jüngerer<br />
Bruder. Er<br />
saß, seinem Status<br />
angemessen,<br />
in der Mitte des<br />
Rücksitzes, total<br />
unbequem.<br />
Ich entdeckte<br />
als erste eine<br />
Reihe von Hinweisschildern, die uns zu unserem Überraschungsziel<br />
bringen sollten, einem „exotischen Paradies<br />
vor der Haustüre“. Wir landeten in einer ehemaligen<br />
Flugzeughalle, die auf mindestens 30 Grad beheizt, mit<br />
unzähligen UV-Lampen erleuchtet und mit einigen Pools<br />
und tonnenweise Sand zum Urlaubsparadies umgewandelt<br />
worden war. Jeder von uns erhielt ein Armband mit Zugangschip,<br />
bevor wir unsere Badesachen anzogen und die<br />
„Schlechtwetterkleidung“ in Spinden einschlossen. Danach<br />
gelangten wir durch eine Art Temperaturschleuse, deren<br />
Türe man nur mit Chip öffnen konnte, in die große Halle.<br />
Hier wimmelte es von leicht bekleideten Besuchern, die<br />
teilweise schon die Strandliegen in Beschlag genommen<br />
hatten. Am Ufer eines künstlich angelegten Badesees wucherte<br />
üppiges Grün – ob nun echt oder künstlich – konnte<br />
ich aus der Entfernung nicht erkennen. Vogelgezwitscher<br />
vom Band und Strandmusik aus den Lautsprechern übertönte<br />
fast das Rauschen der großen Gebläse, mit denen<br />
warme Luft in diese Kunstwelt getrieben wurde.<br />
„Super!“ Meine Brüder rannten sofort los. Der Jüngere<br />
Richtung Strand, wo gerade ein Beachvolleyball-Spiel<br />
stattfand. Der Ältere ergatterte sofort einen Platz an der<br />
Theke einer Strandbar und begann einen Flirt mit der Bedienung,<br />
die außer einem viel zu knappen Bikinioberteil<br />
nur eine Art Grasrock zu tragen schien.<br />
Meine Eltern stapften eilig durch den Sand in Richtung<br />
ein paar freigewordener Liegestühle. „Komm schon!“ rief<br />
mir mein Vater zu. Doch ich blieb noch einen Moment<br />
lang stehen und versuchte, alles in mich aufzunehmen: Das<br />
Foto: Rita Petri<br />
20 durchblick 4/<strong>2015</strong>