2015-04
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Gesellschaft<br />
Flüchtlinge im Kreis Siegen-Wittgenstein<br />
Landrat Andreas Müller beantwortet Fragen<br />
Mit Schreiben vom 9. Oktober <strong>2015</strong> haben sich die<br />
Landräte der fünf Kreise Südwestfalens „aus großer<br />
Sorge um unser Land“ an Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel gewandt. Diese Sorge begründen sie mit dem<br />
„offenbar nicht mehr kontrollierten Zustrom an Flüchtlingen<br />
nach Deutschland“ und weisen darauf hin, „dass unsere Aufnahmekapazitäten<br />
und Möglichkeiten begrenzt sind.“<br />
Am 29. Oktober<br />
beantwortete Andreas<br />
Müller, Landrat<br />
des Kreises Siegen-Wittgenstein<br />
und Mitunterzeichner,<br />
dem durchblick<br />
dazu zuvor schriftlich<br />
eingereichte<br />
Fragen.<br />
db: Wie viel Aufnahmeeinrichtungen<br />
befinden<br />
sich im Kreis Siegen-Wittgenstein<br />
und wie groß ist die<br />
Zahl der hier zurzeit<br />
untergebrach-<br />
Landrat Andreas Müller<br />
ten Flüchtlinge?<br />
LR: Im Kreis Siegen-Wittgenstein gibt es zwei Erstaufnahmeeinrichtungen<br />
in Bad Berleburg und Burbach mit regulär<br />
zusammen 1.000 Plätzen. Dazu kommen zwei Notunterkünfte<br />
in Siegen für 450 und in Bad Laasphe für ursprünglich 350<br />
Personen. Nach einem Amtshilfegesuch der Regierungspräsidentin<br />
haben wir auf dem Gelände der Siegerland Kaserne<br />
in Burbach ein weiteres Gebäude für 200 Personen angemietet<br />
und die Kapazität in Bad Laasphe um 150 Plätze aufgestockt.<br />
Damit haben wir im Kreisgebiet 2.150 Plätze für<br />
die Erstaufnahme von Flüchtlingen. Hinzu kommen 2.000<br />
Flüchtlinge, die den Städten und Gemeinden zugewiesen<br />
sind und auch von diesen untergebracht werden.<br />
db: Im Schreiben an Bundeskanzlerin Merkel heben Sie<br />
die Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft hervor, mit der viele<br />
Bürgerinnen und Bürger die Flüchtlinge willkommen heißen.<br />
Erwarten Sie, dass die Hilfsbereitschaft auf dem Niveau<br />
erhalten bleibt?<br />
LR: Das zu „erwarten“ wäre sicher vermessen. Es handelt<br />
sich ja um ein freiwilliges Engagement. Wenn ich mir aber<br />
die Menschen anschaue, die sich engagieren, dann stelle ich<br />
fest, dass dies aus der tiefen Überzeugung heraus geschieht,<br />
Foto: Kreis Siegen-Wittgenstein<br />
Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, die<br />
alles aufgegeben und verloren haben, zu helfen, so gut es<br />
geht. Und ich bin schon guter Dinge, dass diese Motivation<br />
auch künftig trägt und die Hilfsbereitschaft anhält.<br />
db: Die Leistungen und Anstrengungen der haupt- und<br />
ehrenamtlichen Helfer werden von Ihnen als „großartig“<br />
bezeichnet und dankbar anerkannt. Aber neben der Aufnahme<br />
und Versorgung von Flüchtlingen bleibt deren eigentliche<br />
Arbeit unerledigt. Wie lange ist das möglich und<br />
zu verantworten?<br />
LR: Man muss zwischen zwei Arten von ehrenamtlichem<br />
Engagement unterscheiden. Das eine geschieht nach Feierabend,<br />
in der Freizeit. Etwa, wenn es um Sprachunterricht<br />
oder die Freizeitgestaltung mit Flüchtlingen geht. Dieses<br />
kann so lange weitergehen, wie die Menschen motiviert<br />
sind. Das andere Engagement bezieht sich darauf, wenn<br />
mit Ehrenamt quasi hauptamtliche Strukturen ersetzt werden<br />
sollen. Zum Beispiel beim Betrieb von Notunterkünften.<br />
Das geht nur für eine sehr kurze Zeit, weil dann der Urlaub<br />
der Ehrenamtlichen, z.B. des DRK, der Malteser, des<br />
THW oder der Freiwilligen Feuerwehren, aufgebraucht ist<br />
und sie zurück zu ihrer Arbeit müssen. In diesen Bereichen<br />
müssen in erster Linie hauptamtliche Strukturen geschaffen<br />
werden. Das Ehrenamt kann hier maximal kurzzeitig einspringen<br />
oder überbrücken helfen.<br />
db: Welche Hauptaufgabe sehen Sie in dieser historisch<br />
einmaligen Situation für die politischen Akteure in der<br />
Region?<br />
LR: Die Aufnahme der Flüchtlinge ist zuallererst eine gesamtgesellschaftliche<br />
Aufgabe, die nur gemeinsam gelingen<br />
kann. Bund, Länder, Kommunen aber auch Kirchen<br />
oder Sozialverbände sind hier gefordert. Die eigentliche<br />
Integrationsarbeit muss dann vor Ort in den Städten und<br />
Gemeinden gleistet werden, einfach, weil die Flüchtlinge<br />
dort leben. Aber auch das wird nur gelingen, wenn die<br />
Gesellschaft insgesamt die Integration der Flüchtlinge als<br />
eine Gemeinschaftsaufgabe versteht und lebt. Wir als Politiker<br />
haben zum einen die Aufgabe, eine sachliche Diskussion<br />
über die anstehenden Herausforderungen und die<br />
Lösungsmöglichkeiten zu führen und da, wo wir in der Verantwortung<br />
stehen, Angebote zu schaffen. Angefangen bei<br />
der Akquise und Bereitstellung von Wohnraum für Flüchtlinge,<br />
die auf Dauer bleiben, über Sprach- und Integrationskurse<br />
bis hin zur Schaffung von Kita-, Schul-, Aus- und<br />
Weiterbildungsplätzen und auch natürlich beim Werben um<br />
Arbeitsmöglichkeiten. Zum anderen erwarten die Bürger<br />
aber auch zu Recht, dass Politik darauf hinweist, wo unsere<br />
Grenzen liegen und wann wir an einen Punkt kommen, an<br />
dem wir einen weiteren Zuzug von Flüchtlingen vielleicht<br />
24 durchblick 4/<strong>2015</strong>