2015-04
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Essay<br />
uninteressante Frage: Ist der Begriff Lebensende gleichbedeutend<br />
mit Tod? Ich denke nein. Das Lebensende ist das<br />
Ende des Lebens, der Tod aber ist ein großes Geheimnis,<br />
mit dem man sich zu Lebzeiten auseinandersetzen sollte,<br />
um die wahre Tiefe des Lebens auszuloten. Das Sterben ist<br />
eine Sache, der Tod aber eine andere.<br />
Lebensbilanz und Sinn des Lebens<br />
Als letzten Punkt meiner Gedanken über das Alter die<br />
wohl schwierigste Frage, die sich jeder Mensch früher oder<br />
später sicherlich einmal stellt: Was ist der Sinn des Lebens?<br />
Dabei geht es mir nicht um die große philosophische Frage<br />
die der deutsche Philosoph Martin Heidegger (1889-1976)<br />
stellte: Warum ist überhaupt Seiendes<br />
und nicht vielmehr Nichts?<br />
Dieser, für mich unbeantwortbaren<br />
Frage nachzugehen, überlasse ich<br />
gerne Anderen. Mir geht es hier um<br />
den ganz persönlichen Sinn des Lebens.<br />
Was ist der Sinn meines Lebens? Es gibt nach meiner<br />
Erkenntnis keinen allgemein gültigen, neutralen und für<br />
alle Menschen einheitlichen Sinn.<br />
Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist immer eine im<br />
höchsten Grad individuelle, persönliche und private Angelegenheit,<br />
genau wie das Leiden, die Liebe und der Tod.<br />
Deshalb dürfte sie auch so schwer zu beantworten sein. Und<br />
überhaupt. Was verbirgt sich eigentlich hinter dem Wort<br />
„Sinn“? Könnte ich nicht auch fragen: Welche Bedeutung,<br />
welchen Zweck, welchen Wert oder welchen Nutzen hat<br />
mein Leben? Welchen Maßstab, welche Kriterien lege ich<br />
an? Vielleicht ist es ja auch „sinnvoll“ einmal nach dem<br />
Gegenteil von Sinn zu fragen: der Sinnlosigkeit. Nicht selten<br />
erkennen wir erst wie wichtig uns etwas ist, wenn wir<br />
es verloren haben. Oder bekommt mein Leben immer dann<br />
einen (kurzfristigen) Sinn, wenn ich ein Ziel erreicht habe?<br />
Wäre dann die Summe meiner erreichten Ziele der Sinn<br />
meines Lebens? Fragen über Fragen.<br />
Ich denke, im Alter verschärft sich die Frage nach dem<br />
Sinn in zweierlei Hinsicht, sowohl mit Blick auf die Vergangenheit,<br />
als auch auf die gegenwärtige Lebenssituation.<br />
Auf der einen Seite, weil sie zunehmend rückwärts gewandt<br />
ist: Was war der Sinn meines Lebens in einer nicht mehr<br />
veränderbaren und festgeschriebenen Vergangenheit? Bei<br />
diesem Blick in den Rückspiegel des Lebens kann es durchaus<br />
sein, dass sich die tiefere Bedeutung eines schicksalhaften<br />
Ereignisses oder einer Handlung erst im Nachhinein<br />
offenbart. Die vorher angenommene Sinnlosigkeit erhält<br />
erst im zeitlichen Abstand gesehen einen Sinn. Wie sagt<br />
der dänische Philosoph Sören Kierkegaard (1813-1855):<br />
Man muss das Leben vorwärts leben, verstehen kann man<br />
es nur rückwärts. Leichter gesagt als getan. Auf der anderen<br />
Seite können die im Alter zunehmenden gesundheitlichen<br />
Einschränkungen und Abhängigkeiten von fremder Hilfe<br />
die Frage aufwerfen: Wozu lebe ich noch? Das ergibt doch<br />
alles keinen Sinn mehr. Ich bin meinen Mitmenschen nur<br />
Man muss das Leben vorwärts<br />
leben, verstehen kann man es<br />
nur rückwärts Kierkegaard<br />
noch eine Last. Dabei können so pessimistische Gedanken<br />
hochkommen wie sie Schopenhauer formuliert hat: Man<br />
kann das Leben als eine störende Episode in der seligen<br />
Ruhe des Nichts auffassen. Für mich allerdings kein hilfreicher<br />
Gedanke.<br />
Eine „sinnvolle“ aber auch nicht immer leichte Tätigkeit<br />
im Alter ist für mich Biographiearbeit, die Auseinandersetzung<br />
mit der eigenen Vergangenheit. Eine<br />
Selbstreflexion über das bisher gelebte Leben, sozusagen<br />
eine Lebensbilanz. Wie bereits erwähnt, erscheint uns<br />
das Leben rückblickend und oberflächlich betrachtet als<br />
(zu?) schnell vergangen. Wo ist die Zeit geblieben? Vieles<br />
ist in Vergessenheit geraten. Um es philosophisch auszudrücken,<br />
der Zeitsack der Vergangenheit<br />
ist leer. Ihn wieder mit<br />
lebendigen Erinnerungen zu füllen<br />
ist ein Ziel der Biographiearbeit.<br />
Sie ist so etwas wie ein innerer<br />
Jakobsweg den man geht, um dem<br />
Leben neuen Halt und Orientierung zu geben. Dabei stellt<br />
sich auch die Frage nach dem letzten Grund. Für einen in<br />
christlicher Tradition glaubenden Menschen ist der Seinshorizont<br />
seines Lebens nicht leer. Sein letzter Grund und<br />
Anker der Hoffnung ist Gott als das absolute Gegenüber,<br />
bei dem das Alter keine Rolle spielt. Schließen möchte<br />
ich meine Gedanken und Fragen über das Alter mit einem<br />
Zitat von Cicero (107- 43 v. Chr.):<br />
Nicht das Alter ist das Problem,<br />
sondern unsere Einstellung dazu.<br />
4/<strong>2015</strong> durchblick 71<br />
<br />
Eberhard Freundt<br />
Quellenangaben: 1) aus „Winter in Wien“ von Reinhold Schneider. 2) Hinweis: Dies trifft<br />
in erster Linie auf die Wohlstandsgesellschaften in den Industrieländern zu. In vielen<br />
Entwicklungsländern dürfte diese Situation leider auch heute noch anzutreffen sein. 3) aus<br />
„Schandmaulkompetenz“ von Konrad Paul Liessmann. 4) Prof. Dr. Petra Gehring: Vortrag<br />
Der Umgang mit der Endlichkeit. 5) Wikipedia.