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2015-04

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Unterhaltung<br />

Wie werde ich satt?<br />

Kanonen -<br />

Ofen<br />

Was ein Kanonenofen ist?<br />

Wem er bekannt, ihn nie vergisst.<br />

Standfest auf vier Füßen war er,<br />

sein Aschekasten niemals leer.<br />

Wie ein Kanonenroh geformt,<br />

dazu das Ofenrohr genormt.<br />

Verschwanden in der Ofentür<br />

für Wärme<br />

Kohle, Holz, Papier,<br />

stellte man noch oben auf<br />

einen Wasserkessel drauf.<br />

Aufgestellt in Unterstände<br />

wärmte er Soldatenhände.<br />

Auch für Baracken dazumal<br />

war er zum Heizen ideal.<br />

In unsrer schnelllebigen Zeit<br />

geriet er in Vergessenheit.<br />

Itz erre wäch!<br />

Woar nuer uss Blech.<br />

Gerda Greis<br />

PS.:<br />

Es gibt ihn immer noch<br />

so einfach wie er damals war,<br />

doch heutzutage aufgemotzt,<br />

anzuschauen wunderbar.<br />

Meine Lehrzeit als „Bürokaufmann”<br />

bei der Eisen- und<br />

Blechwarenfabrik Bertrams<br />

in Siegen begann Anfang 1945. Bis<br />

zum Kriegsende, und noch lange Zeit<br />

danach, war unser einzigster Gedanke,<br />

das ständige Hungergefühl im Magen<br />

loszuwerden. Essbares zu organisieren<br />

war oft mit mancherlei Umständen verbunden<br />

und nicht immer erfolgreich.<br />

Eines Tages, zur Mittagszeit, sagte<br />

meine Kollegin: „Ich weiß, wo wir einen<br />

Teller Suppe bekommen können!”<br />

„Wo?” „Im Lazarett!” Wir sind<br />

dann in der Mittagstunde vom<br />

Betrieb aus über die Geleise<br />

zum „Bahnhof Eintracht”,<br />

durchs „Stumme Loch”, über<br />

die „Schemscheid”, den „Ziegenberg”<br />

hoch und zum unteren<br />

Eingang vom Lazarett gelaufen<br />

- später Jung-Stilling-Krankenhaus.<br />

Lenchen kannte dort einen<br />

Pfleger, der hatte ihr gesagt:<br />

„Komm mal vorbei!”<br />

Da waren wir nun und besagter<br />

junger Mann überrascht.<br />

Er hatte sich das Treffen wohl<br />

anders vorgestellt, ohne Mitläufer.<br />

Wir durften trotzdem bleiben,<br />

vielleicht auch, weil wir<br />

so erschöpft aussahen. Nach<br />

längerem Warten brachte er<br />

uns eine dünne, wässrige Linsensuppe<br />

mit je zwei kleinen<br />

Bröckchen Wurst, die kaum zu<br />

erkennen waren als das, was sie<br />

sein sollten. Den ganzen Kraftaufwand<br />

hat es nicht gelohnt.<br />

Wir waren noch hungriger.<br />

Eine Zeit lang gab es bei<br />

uns zuhause eine Mondamin-<br />

Milch-Wassersuppe. Aus dem<br />

Lebensmittellager der nahegelegenen<br />

Spedition konnten meine<br />

Mutter und ich, als der Besitzer<br />

die Stadt verließ und das Lager<br />

dann gestürmt wurde, gerade noch einen<br />

Wäschekorb voll mit Mondamin-<br />

Packungen ergattern. In der Nachbarschaft<br />

war unser Mondamin-Raub für<br />

Familien mit kleinen Kinder mehr als<br />

nur willkommen.<br />

Ab und an, weil man gut bekannt<br />

war, holte ich beim Metzger Wurstebrühe.<br />

Abends im Dunkeln bin ich mit<br />

einer großen Milchkanne zur Hintertüre<br />

der Metzgerei gegangen. Fünf<br />

Mal klopfen, Kanne abgeben, warten,<br />

Kanne gefüllt zurück. Außer „Danke”<br />

kein Wort gesprochen und wieder nach<br />

Hause. Meine Mutter sagte: „Ho ha se<br />

werer fel Schbäck-schdeckelcher on<br />

Blotwurschtbröckelcher dren.”- „Heute<br />

haben sie wieder viel Speckstücke<br />

und Blutwurstbröckchen drin.”- Wurstebrühe<br />

wurde mit Graupen schnittfest<br />

aufgekocht, gewürzt mit Salz, Lorbeerblatt,<br />

Nelken und wenn noch vorhanden<br />

mit Pfeffer. Es war ein sättigender<br />

und auch schmackhafter Brotbelag.<br />

Mit einer Freundin bin ich an einem<br />

Sonntag durch Siegen gezogen, von<br />

einem Bunker zum anderen. An den<br />

Bunkereingängen boten wir dem Aufsichtspersonal<br />

unsere Hilfe an. Helfen<br />

wollten wir wirklich, hatten ja Zeit,<br />

doch Helfer gab es genug. Gerne genommen<br />

haben wir aber die uns angebotenen<br />

belegten Brote. Es war eine gute<br />

Möglichkeit, auf diese Art und Weise<br />

ein bisschen satt zu werden, und meine<br />

kleine Schwester freute sich riesig über<br />

die mitgebrachten „Hasenbrote”.<br />

Unser Bäcker Völkel in der Nachbarschaft<br />

hatte kein Mehl mehr. Was<br />

dieser Mann mit seinen Töchtern geleistet<br />

hat, ist mehr als einen Orden<br />

wert. Sie gingen nie in den Bunker, sie<br />

haben nur Brot gebacken, damit wir<br />

alle in der Umgegend etwas zu essen<br />

hatten. Und nun kein Mehl mehr! Lebensmittelmarken<br />

ja, aber woher das<br />

Brot nehmen, wenn das Mehl fehlt?<br />

In Eiserfeld sollte es noch Brot geben.<br />

So fuhren dann ein Junge aus der<br />

Nachbarschaft und ich mit den Fahrrädern<br />

nach Eiserfeld. Auf halber Strecke<br />

ertönten die Sirenen, Fliegeralarm.<br />

Bis zu einem schützenden Stollen an<br />

der Eiserfelder Straße schafften wir es<br />

nicht, die Tiefflieger waren schneller.<br />

Mit den Rädern in den Straßengraben<br />

an der Sieg war eins, doch eine gute Deckung<br />

gab uns das nicht. Vorsichtig sind<br />

wir hinter einen dicken Baum gekrochen,<br />

konnten die Piloten in den Flugzeugen<br />

sehen, so unglaublich tief sind sie geflogen.<br />

Nach einer Weile hörten wir nichts<br />

mehr und erreichten noch einen Stollen,<br />

haben dort lange bis zur Entwarnung<br />

gesessen und gleichzeitig erfahren, dass<br />

es in Eiserfeld auch kein Brot mehr gab.<br />

„Wer hat am längsten von seinem Brot!<br />

Das war unser Spiel!”<br />

28 durchblick 4/<strong>2015</strong>

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