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2015-04

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Historisches<br />

Um die Nachmittagszeit brachte die Magd Vesper, und<br />

zwar Riesenlaibe frischgebackenes Brot, das in Scheiben<br />

geschnitten und mit frischer Butter bestrichen wurde, dazu<br />

gab es Pflaumenmus und den üblichen „Muckefuck“ aus<br />

Kathreiner oder Lindes. An diesem „Festmahl“ durften<br />

auch die Kinder teilnehmen. Für mich war das immer ein<br />

großes Ereignis, an der frischen Luft und unter fröhlichen<br />

Menschen zu schwelgen. Wenn Oma dann später wieder<br />

nach Hause ging, füllte der Bauer ihr die mitgebrachte Kanne<br />

noch mit frischer Milch.<br />

Auch mit Opa konnte man viele Abenteuer erleben. Wir<br />

gingen oft zusammen durch die Landschaft, um Kräuter<br />

und Blüten zu sammeln, wie Lindenblüten, Schafgarbe,<br />

Huflattich, Kamille und andere. Diese<br />

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wurden dann auf dem Dachboden getrocknet<br />

und dienten im Winter als Tee.<br />

Opa kannte buchstäblich gegen jedes<br />

Zipperlein ein Kräutlein.<br />

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Dann begann die Suche nach den Pilzen.<br />

Opa wusste genau, wie die Stellen<br />

aussehen mussten, an denen man eine<br />

ganz bestimmte Pilzsorte finden konnte.<br />

Die ersten Pilze waren die Wiesenchampignons<br />

(Bild 1), dann die Birkenpilze Bild<br />

2), Maronenpilze oder Braunkappen (Bild<br />

3), Butterpilz (Bild 4), Steinpilze (Bild<br />

5), Pfifferlinge (Bild 6), und auch Reizker<br />

(Bild 7). Ich lernte so jeden essbaren<br />

Pilz kennen und wir brachten körbeweise<br />

davon nach Hause. Hier wurde dann<br />

von Oma eine leckere Pilzmahlzeit hergestellt.<br />

Sie schnitt die Pilze in Scheiben,<br />

würzte sie mit Kümmel, der z.B. auch an<br />

den Feldrainen wuchs. Dazu gab es kross<br />

gebratene Bratkartoffeln. Man konnte die<br />

Pilze aber auch in Rührei verarbeiten oder<br />

trocknen, um sie später in einer leckeren<br />

Bratensoße unterzubringen.<br />

Wenn die Blaubeeren reif waren,<br />

fuhren wir ein Stück mit dem Zug in die<br />

Weckelsdorfer Felsen und nahmen einen<br />

Wassereimer und ein paar kleinere Gefäße<br />

mit. Hier in den Felsen wuchsen die<br />

Waldbeeren besonders üppig. Am Ende<br />

des Tages brachten wir tatsächlich einen<br />

Eimer voll nach Hause. Hier waren dann<br />

wieder die Kochkünste von Oma gefragt.<br />

Es gab am Abend heiße Blaubeeren mit<br />

Hefeklößchen oder es wurden Beeren<br />

und Zwieback in ein Gefäß geschichtet<br />

und heiße Milch darüber gegossen. Auch<br />

Blaubeerkuchen wurde gebacken mit<br />

Streuseln darauf. Der Rest wurde eingeweckt<br />

für den Winter.<br />

Irgendwann war dann auch Mohnernte. Wie viele Mohngerichte<br />

es in Schlesien gab, kann man gar nicht aufzählen.<br />

Es war auch immer ein Familienereignis, wenn ein großes<br />

Fass Sauerkraut eingemacht wurde und ein ebenso großes<br />

Fass Salzgurken. Um die Gurken herbeizuschaffen, fuhr Opa<br />

immer in die Gurkenstadt Liegnitz und brachte rucksackweise<br />

diese wunderbaren Früchte nach Hause. Ein weiteres Hobby<br />

von Opa war es, hinter dem Haus in einem Schuppen Kaninchen<br />

zu züchten. Wir Kinder sammelten dann Löwenzahn<br />

und andere Kräuter, um die Stallhasen zu füttern. Wir spielten<br />

auch gerne mit den Häschen auf der Wiese. Irgendwann aber<br />

wurden sie von Opa geschlachtet und dienten als Sonntagsbraten<br />

mit Sauerkraut und Kartoffelklößen. Das Fell wurde zu<br />

Winterkleidung für die Kinder verarbeitet.<br />

Da es damals keine Kühlschränke gab, musste zur<br />

Haltbarmachung Fleisch geräuchert oder gepökelt werden.<br />

Obst wurde gedörrt. Daraus wurde im Winter „Schlesisches<br />

Himmelreich“ gemacht, welches mein Leibgericht<br />

wurde. Dieses Gericht war bis hinüber nach Böhmen und<br />

dem Sudetenland bekannt. Ein schöner schlesischer Korn,<br />

vielleicht auch zwei, waren von einem solchen Festmahl für<br />

Erwachsene nicht wegzudenken.<br />

Ansonsten kletterten wir Kinder immer wieder auf Bäume,<br />

entweder auf eine riesige stachlige Fichte, um der Oma<br />

auf der zweiten Etage ins Küchenfenster zu schauen, was<br />

diese maßlos erschreckte oder wir spielten „Fallschirmspringen“,<br />

das heißt. wir kletterten bis in die dünnen biegsamen<br />

Wipfel der Bäume und ließen uns von dort herunterfallen.<br />

Nicht immer bog sich der Wipfel weit genug nach<br />

unten und wir mussten abspringen. Ein Wunder, dass dabei<br />

die Knochen heil geblieben sind.<br />

Die Winter in Schlesien waren lang. Es lag viel Schnee.<br />

Schlitten fahren und Ski laufen bis zur Erschöpfung machten<br />

– warm eingemummelt – viel Spaß. Danach schmeckte<br />

das „Schlesische Himmelreich“ besonders gut. Müde fielen<br />

wir abends ins Bett.<br />

An Wochenenden kamen Mutter und Bruder zu Besuch.<br />

Oma hatte bereits die obligatorische „Abgerührte“ (Gugelhupf)<br />

für den Sonntag gebacken. Noch heute sehe ich<br />

Muttel den Teig für die Quarkpuffer kneten, die in Butter<br />

gebraten und mit Zimt und Zucker gegessen wurden. <br />

4/<strong>2015</strong> durchblick 31

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