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ultreïa - Schweizerischen Vereinigung der Freunde des Jakobsweges

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PELERINAGE ET ANIMAUX<br />

einem Schweizer Wald. Was für Zufälle<br />

es doch gibt!<br />

Ein Jahr später vernehme ich von<br />

einer Freundin, im letzten Jahr habe<br />

eine entflohene Kobra in <strong>der</strong> Nähe<br />

von Lausanne einen Hund totgebissen.<br />

Schlangen überall<br />

Da ich wie<strong>der</strong> einmal auf <strong>der</strong> Suche<br />

nach <strong>der</strong> Einsamkeit bin, schlafe ich<br />

heute draussen unter freiem Himmel.<br />

In <strong>der</strong> Nacht besucht mich etwas,<br />

das sich ziemlich dick anfühlt<br />

– eine Schlange. Im Halbschlaf<br />

spüre ich, wie sich ein längliches<br />

Etwas unter meinem Schlafsack bewegt,<br />

wohl die Wärme meines Körpers<br />

suchend. Wie ich meine Beine<br />

anziehe, schlängelt „es“ davon und<br />

verschwindet im Dunkel <strong>der</strong> Nacht.<br />

Froh, dass die Schlange nicht in<br />

meinem Schlafsack, son<strong>der</strong>n ausserhalb<br />

war, schlummere ich zum<br />

Glück bald wie<strong>der</strong> ein.<br />

Den darauffolgenden Wegabschnitt<br />

werde ich mein Leben lang nie<br />

mehr vergessen.<br />

Von <strong>der</strong> Kapelle aus muss ich entlang<br />

eines schroffen Felsban<strong>des</strong>,<br />

steil abfallend durch einen unheimlichen<br />

Wald mit unübersichtlichem<br />

Dickicht und eng stehenden, moosbewachsenen<br />

Bäumen, links und<br />

rechts <strong>des</strong> verwachsenen Pfads,<br />

marschieren. Die tiefliegenden Äste<br />

formen über dem abschüssigen<br />

Weg einen Tunnel, in den kaum<br />

Sonnenlicht fällt.<br />

Grauen steigt in mir hoch. Ein Gefühl<br />

erfasst mich, das mir eingibt,<br />

ich würde heute mit absoluter Gewissheit<br />

erneut einer Schlange begegnen.<br />

Noch nie in meinem Leben<br />

war eine Ahnung so konkret,<br />

ein künftiges Ereignis so unaus-<br />

weichlich. Ich beschleunige meinen<br />

Schritt. Im dunklen Dickicht<br />

sehe ich nichts. Da und dort ein Rascheln,<br />

das mich aufhorchen lässt.<br />

Konzentriert und gebannt starre<br />

ich auf den Boden vor mir, als es<br />

links neben mir zischt. Ich wende<br />

meinen Blick zum zischenden Geräusch<br />

hin und sehe sekundenlang<br />

in die Augen einer riesigen, sich<br />

senkrecht aufbäumenden Schlange,<br />

die mit einem undefinierbaren<br />

Kreuzmuster versehen ist. In Augenhöhe<br />

steht sie fast aufrecht, nur<br />

etwa einen Meter von mir entfernt.<br />

Es scheint mir, als müsste ich sterben,<br />

so sehr erschrecke ich. Meine<br />

Vorahnung hat mich also nicht getäuscht.<br />

Meine Schritte werden immer<br />

schneller. Der Weg ist so eng, dass<br />

ich mit meinem Oberkörper fast die<br />

Bäume streife. Da, wie<strong>der</strong>, nur 20<br />

cm vor meinem Bauch sehe ich im<br />

Augenwinkel eine schwarzbraune<br />

Schlange den Baum herunterkriechen.<br />

Verzweifelt beginne ich zu<br />

weinen und laut zu schreien. Völlig<br />

verlassen und allein, sehne ich<br />

mir das Ende <strong>des</strong> Weges durch diesen<br />

Horrorwald herbei. Rasch ein<br />

Stossgebet himmelwärts gesandt<br />

– und endlich liegt es vor mir, das<br />

Dorf.<br />

Glücklich am Etappenziel angekommen,<br />

eile ich sogleich in die Kirche,<br />

<strong>der</strong>en Türen weit offen stehen,<br />

und danke Gott für seinen Schutz.<br />

Während ich den Vögeln zusehe,<br />

die ungeniert im Kirchenraum herumflattern,<br />

und <strong>der</strong>en Zwitschern<br />

vernehme, denke ich bei mir: Auch<br />

Schlangen sind Lebewesen Gottes.<br />

Christine Stal<strong>der</strong>, Her<strong>der</strong>n<br />

(Quellennachweis Seite 40)<br />

44 ULTREÏA No 48 -Nov 2011

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