ultreïa - Schweizerischen Vereinigung der Freunde des Jakobsweges
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ULTREÏA No 48 - Nov 2011<br />
PILGERN UND TIERE<br />
Vögel, Schlangen, Hund und Wildkatze – alles an einem Tag<br />
Vor 6 Uhr stand ich in <strong>der</strong> Pilgerunterkunft<br />
von Varaire auf, bereitete<br />
Kaffee, ass das Frühstück, und,<br />
<strong>der</strong> Tag war noch kaum angebrochen,<br />
war ich schon unterwegs. Bodenfrost<br />
lag über den Wiesen, es<br />
war kaltes, aber klares Wetter. Die<br />
Stimmung an diesem frühen Morgen<br />
gefiel mir sehr.<br />
Singdrosseln und Rotkehlchen begleiteten<br />
mich, und <strong>der</strong> Kuckuck<br />
sollte entlang <strong>der</strong> ganzen Strecke<br />
singen. Wie<strong>der</strong> konnte ich über<br />
den einsamen Eichenwäl<strong>der</strong>n Adler<br />
sichten, zwei Schwalbenschwänze<br />
gaukelten über den Weg, später sah<br />
ich einen Storch, und bei Camp de<br />
Pech erblickte ich zuerst eine kleine,<br />
später eine ausgewachsene Ringelnatter<br />
und schliesslich noch eine<br />
grosse, grüne Eidechse.<br />
Bei Mas de Vers rastete ich, lag<br />
am Boden und musste wohl eingeschlafen<br />
sein. Plötzlich stand ein<br />
riesiges Tier über mir, im Gegenlicht<br />
konnte ich nur die Umrisse<br />
wahrnehmen. Ich war überzeugt,<br />
es sei ein Wolf und wagte kaum<br />
zu atmen. Schliesslich musste ich<br />
mich aber bewegen. Der Schäferhund,<br />
um den es sich handelte, trat<br />
zurück, liess mich aufstehen, kam<br />
wie<strong>der</strong> und presste seine Schnauze<br />
an meinen Oberschenkel. Ich streichelte<br />
das Tier und sah auf einmal,<br />
warum es getröstet werden wollte.<br />
Ein tiefer Schnitt klaffte in seiner<br />
Schnauze, auch eine Hinterpfote<br />
war verwundet. Der Hund war offenbar<br />
in die Falle eines Wil<strong>der</strong>ers<br />
geraten. Schliesslich trollte er sich<br />
davon, ich blieb traurig und nachdenklich<br />
zurück.<br />
Noch unwahrscheinlicher war das<br />
Erlebnis danach. Von weitem entdeckte<br />
ich am Rande einer Waldlichtung<br />
einen rötlich-braunen<br />
Fels, wie ich meinte. Doch plötzlich<br />
bewegte sich <strong>der</strong> Stein. Hinter einer<br />
Mauer kauerte ich mich nie<strong>der</strong>,<br />
nahm das Fernglas. Jetzt konnte<br />
ich die grosse Raubkatze erkennen.<br />
Das muskulöse Tier bewegte<br />
sich nicht. Auf einmal sprang es mit<br />
einem gewaltigen Satz vorwärts,<br />
packte die Beute, eine grosse Maus,<br />
und verschlang sie. Ich hatte Glück,<br />
<strong>der</strong> Wind wehte mir entgegen, die<br />
Katze hatte mich nicht wahrgenommen.<br />
Aus rund 80 Metern Entfernung<br />
konnte ich sie in Ruhe beobachten,<br />
den sehr kurzen, wie<br />
abgeschnitten wirkenden Schwanz<br />
mit den senkrechten Streifen, die<br />
lebhaften Augen. Zuerst glaubte<br />
ich, es handle sich um einen Luchs,<br />
die langen Ohrbüschel fehlten aber<br />
eindeutig. Schliesslich packte mich<br />
<strong>der</strong> Teufel. Ich stand auf und ging<br />
langsam, immer wie<strong>der</strong> wartend,<br />
auf das Raubtier zu, das mich neugierig<br />
betrachtete. Durchs Fernglas<br />
hatte ich das Gefühl, ich könnte es<br />
berühren. Erst als ich mich auf rund<br />
20 Meter genähert hatte, verschwand<br />
es mit einem Sprung ins Gebüsch.<br />
Die Wildkatze musste rund<br />
20 Kilos gewogen haben.<br />
Hans Kloter, Villigen<br />
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