Das Ethnonym - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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<strong>Ethnonym</strong>s deutlich, der nämlich das faktische kulturelle, soziale und politische<br />
Verhältnis der Namengeber und der Benannten ausmacht.<br />
Stellen wir außerdem noch die heute durch die Glottochronologie (einem von<br />
Maurice Swadesh 25 begründeten Spezialzweig der historischen Sprachwissenschaft)<br />
gewonnenen Einsichten über die Veränderung der Lexika von Sprachen in<br />
Rechnung, nach denen es tausend Jahre dauert, bis 19% des Wortschatzes einer<br />
Sprache verloren gehen, dann darf man davon ausgehen, daß Plischke nicht nur<br />
übertriebene Vorstellungen über die Dynamik des Laut- und Bedeutungswandels<br />
hegte, sondern auch über das Vermögen der Sprachforschung, jene im Wortinhalt<br />
angedeuteten Institutionen aufzuklären. Plischkes Problemstellung wird angesichts<br />
der damaligen Vorherrschaft der diachronischen Linguistik in Deutschland,<br />
speziell der junggrammatischen Schule, verständlich, vielleicht aber hat ihn auch<br />
nur die bis dato von der Philologie und Geographie dominierte Behandlung dieser<br />
Frage entsprechend voreingenommen. 26<br />
Die Materiallage über <strong>Ethnonym</strong>e zur Abfassungszeit seines Aufsatzes verbot<br />
Plischke endlich das Vorgehen, das seine sprachgeschichtliche Problemstellung<br />
forderte, so daß sich die Revision der Stammes- und Völkernamen, die er durchführte,<br />
schließlich in einer Gliederung ihrer möglichen kulturellen und sozialen<br />
Funktionen erschöpfte, deren Bezugssystem aber keineswegs die fraglichen<br />
Kultursysteme bildeten, sondern das System seiner eigenen Kultur, noch enger,<br />
das System seiner Wissenschaft zum Zeitpunkt der Abfassung seines Aufsatzes.<br />
<strong>Das</strong> Paradoxon seines Aufsatzes erscheint daher mit seiner Ausführung dessen,<br />
wovor er einleitend warnte, mit der Darstellung der eigenen Projektion, in der er<br />
die bekannt gemachten Namen vorstellt.<br />
Tatsächlich referiert er die Stammes- und Völkernamen nur noch unter dem Gesichtspunkt<br />
der Selbst- oder Fremdbezeichnung und der möglichen Schlüsse, die<br />
man aus den einzelnen Namen im Hinblick auf diese Unterscheidung ziehen kann.<br />
"Die Selbstbenennung beruht in erster Linie nicht auf rassischer oder kultureller<br />
Eigenart, sondern auf dem Bewußtsein, im Lebensraum und seiner Tier- und<br />
Pflanzenwelt der Mensch zu sein... Dazu gesellen sich Selbstbenennungen, die<br />
geboren sind aus dem Stolz auf eigene Leistung und Tapferkeit." 27 Aus der Identifizierungsfunktion<br />
der Selbstbezeichnung schließt er, wenn auch nicht explizit,<br />
so doch indirekt ausgesprochen, auf die projektive Funktion der Fremdbenennungen.<br />
"Zu erklären ist diese Form der Selbstbenennung aus den einfachen<br />
Kulturzusammenhängen dieser Stämme. Sie sind innig vertraut mit der gesamten<br />
Natur ihres Lebensraumes... In ihnen ist aber trotzdem lebendig das Bewußtsein<br />
des Besonderen, Mensch zu sein, sosehr sie sich auch sonst mit dem Reiche der<br />
Natur, besonders mit der Tier- und Pflanzenwelt, wesenseins fühlen mögen. Sie<br />
25 M.Swadesh, Lexicostatistic Dating of Prehistoric Ethnic Contacts, in: Proceedings of American<br />
Philosophical Society, 1952, S.452-63<br />
26 Siehe: J.J.Egli, Nomina geographica, Leipzig 1872; F.G.Schultheiß, Germanische und andere Völkernamen,<br />
in: Globus, 63, 1893, S.94 ff, S.101ff, S.128ff<br />
27 H.Plischke, Völkerkundliches zur Entstehung von Stammes- und Völkernamen, in: M.Hesch, G.Spannaus,<br />
Kultur und Rasse, Festschr. für Otto Reche, München, Berlin 1939, S.407