Das Ethnonym - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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Kein ding sei wo das wort gebricht." 4<br />
<strong>Das</strong> angemessene, gelungene oder echte Benennen erscheint selbst diesem Modernen<br />
noch als ein Akt der Hierophanie, als eine Offenbarung, als ein Geschenk<br />
des Schicksals. Beide Dichter, der heilige wie der profane, der antike wie der<br />
moderne, wenden sich an ihre Muse um Hinweise auf wesentliche Anzeichen zu<br />
erhalten, für das, was sie zu erkennen oder zu begreifen erstreben, und bedienen<br />
sich dabei notgedrungen der dritten Funktion des Sagens oder der Benennung,<br />
des Apells, ohne die selbst der Hinweis und das Anzeichen im Verborgenen<br />
blieben. Beide Dichter weisen daraufhin, daß sie selbst nur einer göttlichen oder<br />
wie auch immer verstandenen, aber ihnen äußerlichen Kraft oder Macht ihre Person<br />
(personare= durchtönen) leihen, und daß ihr Sagen die Rede oder der Hinweis<br />
eines oder einer Anderen ist. Beide Dichter stellen sich selbst als das Subjekt<br />
der Sprache infrage. Selbstverständlich bezweifeln sie nicht, daß sie selber<br />
sprechen, wenn sie sprechen, aber indem sie daraufhinweisen, daß nicht jedes<br />
Wort und nicht jeder Satz, den sie sagen, auch angemessen, gelungen oder wirklich<br />
echt gesprochen ist, daß nicht jede Äußerung durch den Hörer unmittelbare<br />
Zustimmung und weitersagende Verstärkung findet, daß nicht jede Aussage als<br />
ein Funke der Evidenz überspringt und sich ausbreitet, weisen sie auf ein Geschehen<br />
innerhalb des Sprechens hin, daß die Äshetiker unter dem Gesichtspunkt<br />
der Begabung, Inspiration oder des Genies, die Philosophen unter dem Gesichtspunkt<br />
der adaequatio rei et intellectus, die Politologen unter dem Gesichtspunkt<br />
der Überzeugung oder Demagogie und die Soziologen unter dem Gesichtspunkt<br />
der Chance des Brauchs (die Wörter als Bräuche) problematisieren.<br />
Tatsächlich ist jede bewußte Benennung sowie Namengebung auch immer ein<br />
Urteil, ein Gedanke, wenn auch nicht immer ein Urteil allgemeiner Geltung. Der<br />
allgemein gebrauchte Name schließlich erweist sich auch als allgemein anerkanntes<br />
Urteil. <strong>Das</strong> gilt auch für den hinweisenden Zeigeakt: Sieh mal dort! Er<br />
beinhaltet folgende Distinktionen: Der Angesprochene soll schauen und kein<br />
anderer, er soll schauen und nicht hören, und zwar jetzt und nicht später und das<br />
dort und nicht hier. <strong>Das</strong> Urteil über den Angesprochenen lautet in dieser Aufforderung:<br />
er schaut in eine andere Richtung und ist mit etwas anderem beschäftigt<br />
als jener, der den Hinweis ausspricht und zum Hinsehen auffordert.<br />
Wer etwas entdeckt und danach benennt, will, daß andere mitentdecken, das Bezeichnete<br />
zur Kenntnis nehmen, und zwar im Sinne der Hinweise des Namens.<br />
<strong>Das</strong> Urteil über das Benannte, das im Namen als seine Botschaft steckt, hat also<br />
neben der indikativen Funktion auch imperativen oder appelativen Charakter, es<br />
wertet, nachdem das Sagen des Namen entdeckt hat.<br />
Beurteilt und gewertet wird außerdem im Kontext weltanschaulicher oder<br />
spezieller praktischer wie theoretischer Diskurse der jeweiligen Sprecher. Die<br />
Erscheinung Wasser bedeutet im religiösen Symbol, als dichterische Metapher<br />
oder als chemische Formel jeweils etwas anderes. Über die Werthaltung, die dem<br />
Akt der Benennung oder Bezeichnung inhärent ist, läßt das Synonym Bedeutung,<br />
4 Stefan George, Gedichte, Stuttgart 1981, S.67