Das Ethnonym - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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auf das Inuit- sein, die Beschwörung des Menschseins gegenüber den Fremden<br />
fungiert als Beschwörung ihrer Verwandtschaft, als Insistieren auf der Fiktion<br />
ihrer Verwandtschaft, deren Wahrscheinlichkeit durch das Wanderleben, die<br />
Fluktuation der Gruppengrößen, die relativ hohe Gruppenfrequenz und das Recht<br />
eines jeden Jägers auf Gruppenanschluß, wo immer er auftaucht, gut begründet<br />
ist.<br />
Wo immer man auf Stammes- oder Völkernamen mit der Bedeutung Menschen<br />
stößt, darf man von einer Emphase der Verwandtschaft deshalb ausgehen, entweder<br />
weil die Verwandtschaft selbst noch nicht durch ein System politischer<br />
Korporation (präskriptive Heiratsregeln) organisiert wird wie bei den Eskimo.<br />
Deren Verwandtschaftsemphase erfüllt eine mit der korporativen Funktion und<br />
Bedeutung der Verwandtschaft vergleichbare Funktion, da die miut- Gruppen,<br />
die sich ihrer bedienen, sich gemeinsam durch Fremde oder Feinde bedroht fühlen.<br />
Oder die kategorische Beschwörung des Menschseins erscheint unter der<br />
Bedingung korporativer Organisation der Verwandtschaft als eine opportune<br />
Betonung der Solidarität von Deszendenzgruppen, deren Einheit die situationsbedingte<br />
Assoziation der schon bestehenden autonomen Verbände beschwört,<br />
weil die nach Abstammung und Residenz differenzierten Stammesgruppen sich<br />
durch einen gemeinsamen Feind oder Konkurrenten bedroht fühlen, dessen<br />
Gesellschaft ähnlich organisiert ist wie die ihre.<br />
Dies scheint die Selbstreflexion und Selbstbezeichnung der Hottentotten als<br />
Menschen: Khoi-khoin, in dem Verhältnis zu ihren Bantu- Nachbarn zu motivieren.<br />
Der ethnonyme Bezug auf sich als Mensch ist also keineswegs ein<br />
Merkmal der Primitivität und nur hinsichtlich einer Bedingung ein Korrelat bestimmter<br />
kulturgeschichtlicher oder kulturtypischer Stadien, denn man kann ihn<br />
keineswegs nur dem Stadium des Wildbeutertums oder der protosegmentären<br />
Verwandtschaftsorganisation zuordnen. Er korreliert durchaus mit anderen Erscheinungen<br />
wie etwa dem Hirten- und Feldbauerntum oder mit der korporativen<br />
(segmentären) Verwandtschaftsorganisation.<br />
Wenn das aber stimmt, daß die Herausstellung des Menschseins ein äußerstes<br />
Verwandtschaftsverhältnis beschwört, dann verliert sie jene ethnonyme Bedeutung<br />
ganz bestimmt in den Kulturen, in denen Verwandtschaft keine politische<br />
Bedeutung mehr hat oder keine politische Funktion mehr erfüllt, was einer kulturgeschichtlichen<br />
oder kulturtypologischen Zuordnung in dieser Hinsicht entgegenkommt.<br />
Aber andererseits bestünde unter Gruppen von Verwandten oder<br />
Gruppen, die in fiktiven Verwandtsbeziehungen stehen, ohne die Situation der<br />
Abwehr von Fremden oder Feinden kein Grund zu einer vergleichbaren, kategorial<br />
fixierten emphatischen Selbstversicherung als Exklusivverband der<br />
Menschheit, so daß auch mit dem Fehlen dieses <strong>Ethnonym</strong>entypus unter den genannten<br />
Bedingungen zu rechnen ist. Tatsächlich kommt es auch vor, daß<br />
Stämme oder Völker sich selbst gar nicht zusammenfassend bezeichnen, d.h. sich<br />
selbst nicht als übergeordnete Einheit von Verwandten identifizieren.